Krisen und die Folgen: Studie untersucht Lebenssituation von Frauen in Offenbach
29.07.2024 – Frauen verdienen durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer, übernehmen Familie und Pflege und sind öfter in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Vor allem, wenn die Wirtschaft schrumpft und Arbeitsplätze abgebaut werden, sind Frauen die großen Verliererinnen. Dann wird der alltägliche Spagat zwischen Familie und Beruf zum Drahtseilakt, der Druck wächst, vor allem dann, wenn es allerorten an Kita-und sonstigen Betreuungsplätzen fehlt.
„Wirtschaftliche Gesamtsituation, gesellschaftliche Veränderungen, Corona-Krise: Dies sind nur drei Schlagworte, die mittelbar und unmittelbar auch Auswirkungen auf die Situation von Frauen in Offenbach haben und hatten“, weiß auch Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke. „Dank der vom Frauenbüro beauftragten Studie des in Offenbach ansässigen Instituts für berufliche Bildung, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik GmbH (involas) wissen wir jetzt genau, ob und in welchem Umfang dies auch bei uns zutrifft und wie wir dem, im Rahmen unserer Möglichkeiten wohlgemerkt, begegnen können.“
Zwischen Mai und Oktober vergangenen Jahres haben die Soziologin Susanne Huth und die Politikwissenschaftlerin Katinka Simon in ihrer explorativen Studie genau hingeschaut, Interviews geführt und die Situation in Hinblick auf die Rechte auf Entgeltgleichheit, körperliche Unversehrtheit sowie politische Mitbestimmung und Teilhabe untersucht.
Ausgehend von der Annahme, dass sowohl die Corona-Krise als auch die Wirtschaftskrise Frauen überproportional stark betroffen haben, sprachen sie mit Expertinnen. Dies waren die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA) der Arbeitsagenturen und Jobcenter, eine Mitarbeiterin des Vereins Frauen helfen Frauen e.V., die kommunale Weiterbildungsberaterin der VHS, die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag sowie die Leiterin des Freiwilligenzentrums Offenbach. Weitere Gespräche mit Frauen und eine Dokumentenanalyse zum vorliegenden Offenbacher Material ergänzten ihre Untersuchung.
Das Recht auf Entgeltgleichheit
Die gute Nachricht: Laut dem Hessischen Lohnatlas 2022 hat sich die Lohnlücke in der Stadt Offenbach im ersten Pandemiejahr 2020 mit minus 3,2 Prozent zugunsten der Frauen verschoben. 2019 lag dieser Wert noch bei plus 1,5 Prozent. Dazu beigetragen haben dürfte auch der wachsende Anteil hochqualifizierter Frauen in Vollzeitbeschäftigung, deren Entgelte eher anstiegen als die der Männer.
Sofern vollbeschäftigt, arbeiten Frauen in Offenbach häufiger ehrenamtlich als in Führungspositionen und sind überwiegend in medizinischen und nicht-medizinischen Gesundheitsberufen sowie in sozialen, kulturellen und unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen beschäftigt. Soweit folgt Offenbach dem deutschlandweiten Durchschnitt. Das Gros ist teilzeitbeschäftigt, vor allem Mütter, da es an Kinderbetreuungsplätzen fehlt. Fehlende Kinderbetreuung identifizieren die Autorinnen als größte Bremse für Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen. Infolge der Corona-Pandemie reduzierten sogar rund 25 Prozent der Frauen ihre Arbeitszeiten, um Kinder oder die Pflege älterer Familienmitglieder übernehmen zu können. Bei ihren männlichen Kollegen taten dies nur 17 Prozent der Beschäftigten. Ebenfalls bestätigt wurde die Annahme, dass Frauen stärker von Kurzarbeit und dem Wegfall von Minijobs betroffen waren als Männer und die Belastung insgesamt zunahm. Dass es Beratungs- und Unterstützungsangebote gibt, war den wenigsten Befragten bekannt.
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit
Gewalt ist, wenn jemand anderen Menschen wehtut oder Schaden zufügt. Aber wo fängt Gewalt eigentlich an? Dass hinter Gewalt oft mehr steckt, als die physische Asymmetrie der Geschlechter, dass es dabei häufig auch um Macht oder Abhängigkeiten geht, wird häufig unterschätzt. Ebenso, dass Gewalt viele Ausdrucksformen kennt und sich nicht unbedingt in tätlichen Übergriffen äußert. Worte können Waffen sein und zudem in der digitalen Welt ein enormes zerstörerisches Potenzial entfalten. Dass Gewalt insgesamt zugenommen hat, zeigt bereits der Blick in die Polizeistatistik: In Offenbach verzeichnete diese einen Anstieg der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, von 90 Delikten in 2018 auf 187 im Jahr 2022. Seitens der Polizei wird eine erhöhte Bereitschaft der Betroffenen, Übergriffe anzuzeigen und damit ein höheres Hellfeld, vermutet. Auch das niedrigschwellige Angebot „Soforthilfe nach Vergewaltigung“ der Stadt Offenbach im Verbund mit den örtlichen Kliniken sowie unterschiedlichen Kooperationspartnern durchgeführte Projekt könnte hier einen Anteil haben.
Die ohnehin wenigen Frauenhausplätze waren vor der Corona-Pandemie zu 85 Prozent ausgelastet, während der Krise fehlten bis zu 12 Prozent. Dies werten die Autorinnen als Indiz für die Verstärkerwirkung von Krisen, in denen der Zugang zu Beratungsmöglichkeiten insbesondere in der Pandemie eingeschränkt war. Gleichzeitig werden Beratungen stärker angefragt als vorher.
Dass es eine Zunahme häuslicher Gewalt während der Pandemie auch aufgrund der veränderten Dating-Situation, in der Treffen statt an öffentlichen Orten wie Kneipen oder Cafés nun zuhause stattfanden, darf vermutet werden. Hinzu kommen kulturspezifische Rollenbilder, die es insbesondere zugewanderten Frauen erschweren, ihr gewaltbelastetes Umfeld zu verlassen. Zum Teil herrsche, so Simon und Huth, große Unwissenheit darüber, wo Gewalt überhaupt beginne und vieles werde als normal hingenommen. Sprachbarrieren und fehlende Deutschkenntnisse sorgten dann für eine Zementierung der Verhältnisse, da der Zugang zu Beratungsangeboten fehle. Dass der Bedarf an Beratung ungebrochen ist, zeigt sich nicht nur an den genannten Herausforderungen, sondern auch an einer Zunahme der in Anspruch genommenen persönliche Beratungen von 147 (2019) auf 273 (2020) im Verein Frauen helfen Frauen und einem Anstieg von 105 (2021) auf 139 (2022) im Frauennotruf.
„Mit der Studie „Frauen im öffentlichen Raum – eine gendersensible Analyse der Auswirkungen gesellschaftlicher Krisen in Offenbach“ haben wir valide Daten und eine gute Ausgangsbasis für unsere weitere Arbeit“, bekräftigt Auftraggeberin Dr. Inga Halwachs vom städtischen Frauenbüro. „Natürlich können wir nicht alle Ungleichheiten sofort bekämpfen, vieles braucht einen langen Atem, bis es auch die kleinsten Verästelungen unserer Stadtgesellschaft erreicht hat. Aber wir wissen auch, dass wir, wenn es beispielsweise um das Thema Gewalt geht, mit Kampagnen wie dem Frauenmarsch und weitere Aktionen rund um den Weltfrauentag am 8. März, sowie Plakataktionen während der Corona-Pandemie mit Hinweis auf telefonische Hilfeangebote in Hauseingängen und Geschäften sowie dem Arbeitskreis gegen häusliche und sexuelle Gewalt, Frauen Mut machen, sich zu melden und Gewaltverbrechen zur Anzeige zu bringen. Mit der im Oktober mit Luzia Rott besetzten Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul Konvention können wir jetzt weitergehen, denn die 81 Artikel dieses völkerrechtlichen Vertrags schützen und fördern Frauen in besonderer Weise. Der Weg zu echter Gleichstellung ist lang, aber wir gehen ihn.“