Ein System gegen Missbrauch und Ausbeutung – die AG Leistungsmissbrauch
23.10.2024
„Offenbach hat sich mit der Arbeitsgruppe ‚Leistungsmissbrauch‘ deutschlandweit einen Namen gemacht. Sie agiert über Behörden hinweg und deckt nicht nur Wucher, sondern auch Baumängel und unrechtmäßige Sozialleistungen auf. Während andere Städte zunehmend mit ganzen Straßenzügen konfrontiert sind, die matratzenweise vermietet werden, konnte Offenbach durch schnelles Handeln Schlimmeres verhindern“, sagt Stadtrat Paul-Gerhard Weiß.
Zum 20-jährigen Bestehen zieht der Ordnungsdezernent ein positives Fazit: „Wir haben vielfach Leistungsmissbrauch eingedämmt und Mietwucher von bis zu 150 Prozent aufgedeckt. Von dem konsequenten Einsatz profitieren auch die Bürgerinnen und Bürger.“
Die Kontrollen werden umfassend auch für andere Behörden dokumentiert und lösen weitere Prüfungen zum Beispiel durch die Steuerfahndung, Kriminalpolizei, Familienkasse aus. Mitunter werden Menschen angetroffen, die zur Fahndung ausgeschrieben sind. Regelmäßig fehlen Aufenthaltsgenehmigungen oder es gibt Hinweise für Scheinehen. Die AG Leistungsmissbrauch gleicht nach der Kontrolle die Situation vor Ort mit dem Melderegister im Bürgerbüro ab.
Oft führen Bürgerhinweise zu Kontrollen der Arbeitsgruppe, mitunter aber auch ständig überfüllte Mülltonnen oder zu viele Klingelschilder für die verfügbare Wohnfläche.
Rückblick
Gegründet wurde die Arbeitsgruppe Leistungsmissbrauch 2004 unter dem damaligen Oberbürgermeister Gerhard Grandke und dem Polizeipräsidenten Heinrich Bernhard unter dem Namen AG Sokrates. SOKRATES steht für „Sozialschädliche Kriminalitätsphänomene und Durchführung Anlassbezogener Täterorientierter Ermittlungen“.
2006 übernahm das Ordnungsamt der Stadt Offenbach mit seiner Geschäftsstelle Kommunale Prävention die Federführung der Arbeitsgruppe unter Leitung von Frank Weber, damals Abteilungsleiter, heute Leiter des Ordnungsamtes. 2022 übernahm Daniel Krüger die Leitung der Gruppe und organisiert seitdem die Sitzungen.
Bei der Gründung der Arbeitsgruppe standen vor allem illegaler Autohandel, dubiose Immobilienverkäufe, Geldwäschegeschäfte, Scheinehen, fiktive Kinder und unklare Verwandtschaftsverhältnisse im Fokus, durch die Sozialleistungen und Aufenthaltsgenehmigungen erschlichen sowie Steuern hinterzogen wurden. „Offenbach nahm durch das hervorragende Zusammenspiel unterschiedlicher Ämter und Behörden deutschlandweit eine Vorreiterrolle ein und diente als Blaupause für zahlreiche andere Städte und Landkreise“, betont Ordnungsdezernent Paul-Gerhard Weiß. Der Deutsche Städtetag wurde auf die AG aufmerksam und lud Weiß ein, gemeinsam mit der Amtsleitung des Ordnungsamtes, in Berlin die Arbeit der Arbeitsgruppe Vertreterinnen und Vertretern deutscher Großstädte wie München, Hamburg und Gelsenkirchen vorzustellen.
2008 änderte sich dann die Arbeit der AG SOKRATES deutlich, das führte zu einer Umbenennung in AG Leistungsmissbrauch. „Wir kamen damals zu einem Gebäude, in dessen Innenhof sich die Abfälle türmten. Die bereitgestellten Behälter reichten zur Entsorgung der anfallenden Abfälle bei weitem nicht mehr aus. Durch Ermittlungen der Mülldetektive des Ordnungsamtes wurde schnell klar, dass das Haus vollkommen überbelegt war – zum Teil mit drei Personen pro Zimmer“, erinnert sich Krüger.
Immer mehr Wohnungen wurden mit viel zu vielen Mietern gefüllt – fast alle bewohnt von Menschen aus Südosteuropa, die zuvor durch die EU-Osterweiterungen eine eingeschränkte Freizügigkeit erhielten und so auf der Suche nach Arbeit nach Offenbach kamen. Da sie günstigen Wohnraum benötigten, waren sie leichte Opfer für skrupellose Vermieter. Der starke Zuzug schlug sich auch in den Gewerbeanmeldungen beim Ordnungsamt nieder. 2009 bis 2013 gab es pro Jahr rund 1500 Anmeldungen - häufig eine Scheinselbständigkeit, um die Freizügigkeit nach EU-Recht zu erhalten.
Seit Ende der 2000er wurden 143 Wohngebäude mit dem Großaufgebot kontrolliert, hinzu kamen zahlreiche kleinere Objekte bzw. einzelne Wohnungen, die ein kleines Team der AG kontrollierte. Vier Häuser mussten vollständig geräumt werden. „Möglich wurden die Erfolge durch das hohe Engagement der Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Behörden und die Bereitschaft, behördenübergreifend zusammenzuarbeiten“, so Ordnungsamtsleiter Frank Weber. „Wenn es ein neues Problem gibt, das eine Behörde allein nicht lösen kann, schauen wir gemeinsam, wer welchen Beitrag leisten kann, um den Missstand zu beheben. So ist es möglich, gemeinsam Wohnverhältnisse zu verbessern, Ausbeutung von Menschen zu bekämpfen und unberechtigten Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen, sei es Sozialleistungen auf kommunaler Ebene oder Kindergeld auf Bundesebene, aufzudecken und zu stoppen.“
Die MainArbeit hat aufgrund der Mitarbeit in der Arbeitsgruppe in den Jahren seit 2016 hochgerechnet bis Ende 2024 rund 479.758 Euro unrechtmäßige Leistungen in Form von Kosten der Unterkunft eingespart. Dabei wird die Differenz der vorher tatsächlichen Kosten zu den anerkannten angemessenen Kosten für ein Jahr hochgerechnet.
„Der schnellen Reaktion und Anpassungsfähigkeit der in Arbeitsgruppe vertretenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es zu verdanken, dass frühzeitig Maßnahmen ergriffen wurden, die eine flächendeckende Ausbreitung der Phänomene verhinderten, wie es in vielen anderen Städten geschah. Die Arbeitsgruppe kann auf zahlreiche Erfolge zurückblicken, die nicht immer offensichtlich oder messbar sind - erst recht, wenn präventiv eingeschritten und so Schlimmeres verhindert wurde“, so Stadtrat Weiß.
Infobox
Folgende Dienststellen sind neben dem Ordnungsamt in der AG Leistungsmissbrauch vertreten: Bürgerbüro, Wohnungs-, Versicherungs- und Standesamt, Ausländeramt, Sozialamt, Jugendamt, MainArbeit, Amt für Planen und Bauen, Bauaufsichtsamt, Vermessungsamt, Staatsanwaltschaft, Amtsgericht, Landespolizei, Zoll, Finanzamt, Familienkasse sowie die hauptamtlichen Dezernenten und der Oberbürgermeister.