2. Bürgerwerkstatt in Bürgel: Tempo 30 und experimentelles Wohnen
12.07.2017
Gut 70 Bürgerinnen und Bürger haben sich an der 2. Bürgerwerkstatt für den Stadtteilentwicklungsprozess in Bürgel beteiligt. Sie diskutierten im Bootshaus Bürgel auf dem Gelände des Wassersportvereins über Maßnahmen und Projekte, die Impulse für die zukünftige Entwicklung geben können. Durch die Bürgerwerkstatt führte Moderatorin Kristina Oldenburg vom Büro Kokonsult aus Frankfurt.
„Der Stadtteilentwicklungsprozess ist eine Chance für Bürgel sich zielgerichtet an neue Herausforderungen anzupassen und zukunftsfähig zu entwickeln. In den letzten Monaten haben wir uns mit Ihnen gemeinsam intensiv mit Bürgel auseinandergesetzt. In Stadtteilspaziergängen und einem Workshop für Vereine haben viele Bürgerinnen und Bürger die Chance genutzt, ihre Innensicht auf den Stadtteil in den Prozess einzubringen und unsere fachlichen Einschätzungen daran zu prüfen. Im Ergebnis konnten wir viele Anregungen aufnehmen, aus denen wir erste Maßnahmenansätze abgeleitet haben. Diese möchten wir Ihnen heute gerne vorstellen“, so Marion Rüber-Steins, Referatskoordinatorin für Stadtentwicklung und Wohnbauförderung, in ihrer Begrüßung.
Stadtplanerin Anna Biegler vom Amt für Stadtplanung, Verkehrs- und Baumanagement gab in einer Präsentation zunächst einen Rückblick auf die vergangenen Monate. „Seit der Auftaktveranstaltung haben wir in vier Stadtteilspaziergängen zu den Themen ‚Ortskern und Sanierung‘, ‚Bürgel allgemein‘, ‚Senioren und Barrierefreiheit‘ sowie ‚Jugendliche und Kinder‘ mit vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern die Lage im Stadtteil diskutiert“, so Biegler. „Wichtig war es uns auch, den Vereinen in Bürgel eine eigene Plattform zu geben: sie haben nach unserer Wahrnehmung eine große Bedeutung für das Miteinander im Stadtteil und die Integration der Neubürger und daher eine ganz besondere Sicht auf Bürgel.“
Die Vereine sind durch ihre Angebote im Stadtteil und die Ausrichtung vieler Feste maßgeblich an der Lebendigkeit und Vielfältigkeit Bürgels beteiligt. Mit Sorge wird die Tendenz zur Überalterung der Vereine betrachtet. Da es nur wenige große und in die Jahre gekommene Veranstaltungssäle in Bürgel gibt, wünschen sich die Vereine ein Gemeinschaftszentrum, das den aktuellen Anforderungen an Veranstaltungen wie die Fastnacht entspricht.
Haus der Vereine gewünscht
Ob die Schaffung einer solchen, zweifellos wünschenswerten Infrastruktur allerdings zu realisierten sein wird, scheint in der finanziellen Lage der Stadt fraglich. In weiteren Schritten ist daher mit den Vereinen zu beleuchten, ob ggf. Kooperationsmodelle z.B. mit den Bedarfen in Rumpenheim oder einer anderen, nicht rein städtischen Trägerschaft eines solchen „Hauses der Vereine“ denkbar sein könnten.
Ein identifizierter Maßnahmenschwerpunkt gilt Bürgels historischer Mitte. Diese soll nach Meinung der Bürgerinnen und Bürger sichtbarer gemacht werden. Mit einem Sanierungsgebiet und einer Sanierungsberatung sollen Anreize für Eigentümer zur Aufwertung der historischen Bausubstanz geschaffen werden. Ein Gestaltungshandbuch kann als Orientierung für ein attraktives Ortsbild dienen und ein historischer Rundgang Besucher in die Vergangenheit des Stadtteils eintauchen lassen. „Maßnahmenschwerpunkt bleibt auch der Dalles. Aktuell ist er nicht barrierefrei und untergenutzt. Im Rahmen der Bürgerwerkstatt möchten wir gerne mit Ihnen diskutieren, welches Bild der Dalles in Zukunft haben soll“, so Biegler. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage „Wo fängt Bürgels historischer Kern eigentlich an? Ist das wirklich für alle erkennbar oder müssen bauliche Maßnahmen im öffentlichen Raum diesen Bereich besser herausstellen?“
Der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist auch in Bürgel zu spüren. Das geplante Neubaugebiet Bürgel-Ost kann die vorhandene Nachfrage nicht auffangen und deckt lediglich aufgestaute Bedarfe der vergangenen Jahre. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Offenbacher Stadtplanung, die im Masterplan identifizierten Wohnbauflächen im Stadtteil zu entwickeln. „Die Nachfrage nach Wohnraum insbesondere für Familien bleibt hoch. Wichtig ist, dass die Entwicklung der Neubaugebiete behutsam durchgeführt wird. Wir streben daher an die Neubaugebiete nicht gleichzeitig, sondern nach und nach anzugehen“, so Rüber-Steins.
Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Geländes der ehemaligen Farbwerke und der im Masterplan Offenbach vorgesehenen Bebauung „Bürgel-Süd“ ist eine Neuordnung des südlichen Ortseingangs zu prüfen. Biegler: „Aktuell ist Bürgels Süden durch bauliche Brüche geprägt. Eine Neuordnung werten wir als Chance für einen neuen Auftritt des Stadtteils und für eine attraktivere Gestaltung des Übergangs zum Kuhmühltal.
Zur Stärkung des Einzelhandels kam der Vorschlag aus der Bevölkerung, die Besucher des Mainradwegs, die aus der ganzen Region kommen, in den Stadtteil zu locken. Den Main über den historischen Dorfkern und den neugestalteten Dalles mit der Langstraße verknüpfen, so lautet die Strategie. Die von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen geforderte Schaffung von Infrastruktur auf dem Mainvorgelände für das Ausrichten von Festen, in Form von Stromanschlüssen und öffentlichen Toiletten, muss, insbesondere vor dem Hintergrund des Landschafts- und Hochwasserschutzes, zunächst geprüft werden.
Tempo 30 im Ortskern
Dem Wunsch nach mehr Verkehrsberuhigung im Ortskern soll durch Tempo 30 Streckengebot auf der Offenbacher, Ketteler und Langstraße nachgekommen werden. „Nach einer Testphase sollten dann auch bauliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung in Betracht gezogen werden“, so Ingo Kupfer, Leiter der Offenbacher Verkehrsplanung. Gleichzeit müsse – gerade bei den innerörtlichen Belastungen durch LKW-Verkehre auch auf Ursachenforschung gegangen werden. Woher kommen die LKWs und welche Ziele fahren sie an? Dabei sind auch die gewachsenen Standorte der Gewerbeparks an der Lammertstraße und im Süden Bürgels zu überdenken.
An fünf Thementischen mit den Schwerpunkten „Kultur- und Wohnprojekte“, „Verkehrsberuhigung“, „Grün“, „Dalles“ und „Versorgung und Gewerbe“, die wichtige Handlungsfelder für die zukünftige Entwicklung Bürgels darstellen, diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung und vertieften ihre konkreten Maßnahmenvorschläge.
Im Rahmen der Neuordnung des Bürgeler Südens wurde angeregt, die im Masterplan angedachte Umlegung der Mainstraße zu überdenken. Den Mainzer Ring mit einer solchen neuen Mainstraße zu verbinden wird als richtiger Weg gewertet, jedoch sollte daneben auch die Verbindung über die Offenbacher Straße nach Bürgel erhalten bleiben. Wie dieser Vorschlag mit der geplanten Renaturierung des Kuhmühlgrabens zu vereinbaren ist, wird nun fachlich weiter geprüft.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Arbeitstisches „Kultur- und Wohnprojekte“, wiesen auf das Potenzial für gemeinschaftliches und experimentelles Wohnen in Bürgel hin. Oft scheitern solche Vorhaben schon an der Suche einer geeigneten Immobilie. Eine Übersicht über freie städtische Liegenschaften, die sich für ein solches Projekt eignen, wäre hilfreich.
Bürgeler wollen experimentelles Wohnprojekt starten
Weitere Hürden sind dann organisatorische Fragen wie: wer ist Träger einer solchen gemeinschaftlichen Einrichtung? Eine der diskutierenden Gruppen hat bereits eine Genossenschaft gegründet und würde selbst ein Bestandsgebäude, bevorzugt am Dalles, erwerben. Gemeinschaftliche Wohnkonzepte beinhalten immer Ansätze, sich in der Nachbarschaft sozial und kulturell zu engagieren und könnten ein Bindeglied auch zu dem von den Vereinen angesprochenen „Haus der Vereine“ darstellen.
Zur Belebung des Dalles und zur Verbesserung der Versorgungsstruktur wurde die Initiierung eines Wochenmarkts nach Vorbild des Märktchens im Nordend vorgeschlagen. Was die Gestaltung des Dalles betrifft, waren sich die Beteiligten einig: Eine Lösung ist im Kompromiss zu suchen.
Mit herzlichem Dank der Verwaltung an das engagierte und konstruktive Mitwirken der Bürgeler wurde der 2. Bürgerworkshop leicht verspätet, aber noch knapp vor Ende des parallel laufenden Fußballspiels der Deutschen im Confed Cup beendet.
Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung fließen in das Entwicklungskonzept ein, das Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnens und zur Aufwertung des Stadtteils bündelt. Dieses wird nun von der Verwaltung erarbeitet und voraussichtlich im September in einer weiteren Bürgerwerkstatt den Bewohnerinnen und Bewohnern von Bürgel vorgestellt. Über das Konzept und seine Umsetzung entscheidet die Stadtverordnetenversammlung voraussichtlich im November.