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Stadt Offenbach

Vom Geschäft in den Kofferraum: Vor 50 Jahren öffnete Offenbachs erstes Parkhaus

21.10.2021

Das Parkhaus im Jahr 1994.

Seine Eröffnung ersehnte vor 50 Jahren das motorisierte Offenbach offenbar mit Ungeduld. Am 21. Oktober 1971 durchschnitt Ex-Oberbürgermeister Georg Dietrich endlich an der Zufahrt „Mittelseestraße“ das rot-weiße Band. Das erste Parkhaus in der Stadt konnte am nächsten Tag seinen Betrieb aufnehmen. Die 416 Plätze auf 5.400 Quadratmetern sollten die Parkraumnot in Offenbach lindern. Die Zahl der Personenkraftwagen in Offenbach hatte sich 1971 bei rund 120.000 Einwohnern  innerhalb von zehn Jahren auf 31.444 verdoppelt. In den Leserbriefspalten klagten verzweifelte Autofahrer immer öfter über endlose Runden zwischen Kaiserstraße und Aliceplatz.

Bereits Monate vor der Fertigstellung der Hochgarage bejubelten die Lokalseiten der Heimatzeitungen regelmäßig jedes neue Stockwerk, berichteten detailliert über den Bau einzelner Rampen und spekulierten, welche Lagerräume den Mietern der integrierten Ladenzeile zustehen. Ausführlich die Reportage über das Firstfest am 28. Juli 1971. Ein Kran hievte ein mit Girlanden geschmücktes Auto quasi als Richtkranz aufs Dach.

Den Startschuss ins behütete Parken begleitete eine große Menschenmenge, die, so die Chronisten, aus der nüchternen Zeremonie ein Volksfest machte. Eine Trachtenkapelle habe Schmissiges geblasen „bis das Freibier alle war“. Ein Zeichen wie sehr der Handel das Parkhaus erwartet habe, sei das vollständige Erscheinen der Vertreter der Interessengemeinschaft der Einzelhändler. 

Der Bauherr und Eigentümer des neuen Parkhauses, die Beton- und Monierbau Düsseldorf, so das Lob von Oberbürgermeister Dietrich, übergebe das Gebäude auf den Tag genau ohne eine Mark mehr als geplant auszugeben. Der Bauträger wollte das Parkhaus selbst betreiben. Die Ladenzeile in dem fünf geschossigen Betonbau – mit dem Slogan „vom Geschäft in den Kofferraum“ beworben – bezogen ein Teppichhandel, ein Geschäft für Haushalts- und Stahlwaren, eine Herrenboutique und ein Speiserestaurant. Umgerechnet 30 Cents mussten die Autofahrer anfangs für das Abstellen ihrer Benzinkutsche pro Stunde bezahlen.  Wohlgemerkt: In jener Zeit zählte auch in öffentlichen Garagen die Stunde sechzig Minuten. Viele Geschäfte erstatteten bei einem Einkauf die Gebühren.

Gute Erreichbarkeit und Parksituation der Innenstadt

Heute, 50 Jahre nach der Premiere, ist in der Offenbacher City die Zahl der Hoch- und Tiefgarage auf dreizehn angewachsen. Die Autofahrer finden hier 2.600 Einstellplätze. Alle Häuser werden von privaten Gesellschaften betrieben. In der Bismarckstraße kostet die Stunde Parkzeit einen Euro. In unmittelbarer Nähe zur Fußgängerzone 2,20 Euro. Zehn interaktive große Leittafeln an den Einfallstraßen führen die Autofahrer zum nächsten freien Platz.

Im öffentlichen Straßenraum stehen rund 2.400 Stellplätze zur Verfügung, die Hälfte davon kostenfrei. Die andere Hälfte ist mit Parkschein gebührenpflichtig. Zu den 2.400 Stellplätzen im öffentlichen Straßenraum gehören auch knapp 1.000 Buchten auf einem der drei Großparkplätze. Am Main müssen die ersten drei Stunden nicht bezahlt werden. Für das Abstellen eines Autos am Straßenrand verlangt der Parkscheinautomat 70 Cent pro halbe Stunde. Hier kann der Obolus in absehbarer Zeit auch per Handy gezahlt werden. In vielen Zonen sind die Tarife gestaffelt. Die Kosten werden nur noch von wenigen Ladeninhabern ersetzt.

„Anders als vor 50 Jahren ist die Offenbacher Innenstadt heute nicht nur mit dem Auto, sondern auch mit Bus und Bahn und mit dem Fahrrad sehr gut erreichbar. Heute haben wir Fahrradstraßen und Fahrradwege, die S-Bahn und den Offenbacher Busverkehr. Und es gibt ein deutlich größeres Angebot an Parkhäusern, von wo aus die Fußgängerzone und der Wilhelmsplatz in nur wenigen Schritten erreichbar sind. Ich erlebe es nur selten, dass ein Parkhaus zeitweise mal vollständig belegt ist“, so Oberbürgermeister Felix Schwenke.

Der Autoclub Europa (ACE) hat im Juli 2018 hessenweit die Parkmöglichkeiten in den Städten bewertet. Offenbach sei, so die Prüfer vom Fach, „top aufgestellt“. In Hessen wurde insgesamt nur elf Mal ein die Note „eins“ vergeben. Zweimal davon in Offenbach. Das Problem der Parkhausbetreiber heute ist: Die Autos wachsen. Sie sind im Schnitt jetzt 19 Zentimeter länger, 15 Zentimeter breiter und 23 Zentimeter höher.

Nachbesserungsbedarf gibt es nach Einschätzung des ACE nach einer erneuten Untersuchung im Oktober 2021 bei der Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer. Hier bestehe bei den privaten Betreibern erheblicher Nachholbedarf. Ein „dickes Lob“ gibt es nach dem Urteil der Tester für die Stadtverwaltung. „Die Behindertenparkplatzpolitik ist im Hessischen Vergleich in Offenbach wirklich vorbildlich“, wird Jens Womelsdorf, Regionalbeauftragter des ACE im Rhein-Main Extra Tipp zitiert. 

Dem von unabhängiger Seite als sehr gut attestiertem Parkplatzangebot in Offenbach steht jedoch der wachsende Autoverkehr gegenüber: „Auf unseren Straßen wird es immer enger“, betont Oberbürgermeister Schwenke: „Der Autoverkehr wächst weiter und der Straßenraum ist begrenzt. Das führt zu Konflikten und zu dem Wunsch nach mehr Verkehrsberuhigung, so wie sie für den Wilhelmsplatz dauerhaft geplant ist. Hinzu kommt der Klimawandel, der ein Umdenken erfordert: Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Das Auto kann nicht mehr überall den Vorrang haben. Immer mehr Menschen sind mit dem Fahrrad unterwegs. Auch für sie muss die Infrastruktur weiter ausgebaut werden, um sich in der Stadt gut fortbewegen zu können.“

Verkehrsdezernent Paul-Gerhard Weiß verweist auf den Verkehrsentwicklungsplan 2035 (VEP), der bis Ende 2022 erstellt werden soll: „Das Mobilitätsverhalten verändert sich, alle Mobilitätsformen sind gleichberechtigt zu betrachten. Wir müssen diese Entwicklungen in die langfristige Verkehrsplanung aufnehmen. Der VEP ist deshalb die neue Grundlage für alle Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Offenbach und für die Mobilitätsangebote in den kommenden Jahren.“ Wichtig ist, dass der Einkaufsstandort Offenbach mit allen Mobilitätsformen erreichbar ist.

Die Planungen für den Nahverkehr und das Fahrrad können dabei auf ein gut ausgebautes Verkehrsnetz in Offenbach aufsetzen, so Weiß weiter: „Wir haben allein in der Innenstadt 2.020 Fahrradstellplätze, das Radroutennetz ist 100 Kilometer lang, 80 moderne Niederflurbusse verbinden auf neun Linien alle Stadtteile und umliegende Gemeinden im dichten Takt mit dem Zentrum. Jährlich befördern sie etwa 12,5 Millionen Fahrgäste. An der S-Bahn-Station Marktplatz steigen jährlich rund 4,8 Millionen Menschen aus.“ Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 1971 wurden am Offenbacher Hauptbahnhof nur 700.000 Fahrkarten verkauft. „Bei allen Fragen der Mobilität dürfen wir die Fußgänger nicht vergessen. Zurzeit wird der Marktplatz neugestaltet und aufgewertet. Ziel ist dabei auch, den Fußgängern mehr Sicherheit und Bewegungsfreiheit zu geben. Und auch die Verkehrsberuhigung am Wilhelmsplatz dient dazu, die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. Insofern sind grundsätzlich Parkhäuser wichtig, ebenso wie auch Quartiersgaragen, um die Straßen und Bürgersteige vom ruhenden Verkehr zu entlasten“, so Weiß abschließend.

Es war übrigens die Industrie- und Handelskammer Offenbach, die bereits im Jahre 1972 öffentlich mahnte, die Stadtkerne für Fußgängerzonen vorzubehalten und die Parkplätze an deren Rand zu verlegen, um Flair und Einkaufserlebnis nicht zu beeinträchtigen.

Aktuelle Ansicht des Parkhauses

Das erste Offenbacher Parkhaus in der Mittelseestraße schien bald wie viele vergleichbare Betongaragen in Deutschland dem Niedergang geweiht. Der ursprüngliche Betreiber, die Beton- und Monierbau, verspekulierte sich Anfang der 80er Jahre bei Auslandsgeschäften und musste deutschlandweit Konkurs anmelden. Die Nachfolger vernachlässigten zunächst die Unterhaltung. Für seine dunklen zugemauerten Ecken, eine veraltete Technik und schlecht ausgeschilderte Fluchtwege verlieh die Lokalpresse das Prädikat: Steinzeit-Parkhaus mit dem Charme von Weltkriegsbunkern. Die ursprünglichen Fachgeschäfte waren längst ausgezogen. Ein Kino für Erwachsene, eine Spielothek und Fastfood-Anbieter nahmen vorübergehend ihren Platz ein. Seit dem Jahr 2009 sind die Parkebenen in das Einkaufszentrum KOMM integriert. Hell, freundlich, gut ausgeschildert und mit einer zeitgemäßen Bezahltechnik. Der Teil der Mittelseestraße, der einst bis zum Aliceplatz führte, ist heute Teil der Laden-Galerie.

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