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Stadt Offenbach

1788: Ein Messias im Isenburger Schloss - die "Frankisten" in Offenbach

Man nannte ihn den „Baron von Offenbach“. Seine Anhänger in Mittel- und Osteuropa verehrten ihn als Messias. Er glaubte an seine Unsterblichkeit. Als er dennoch starb, wallfahrten die Verehrer noch jahrelang zum Grab des „Heiligen Herrn in Offenbach“ auf dem heutigen Wilhelmsplatz. Und noch immer kennen Juden in aller Welt den Namen des Jakob Frank. 1788 kam er in die Stadt. Für drei Millionen Gulden hatte der greise Fürst Wolfgang Ernst ihm das Schloss am Main vermietet, das die Fürstenfamilie damals nicht mehr bewohnte.

Frank auf dem Paradebette

Frank und sein Gefolge kamen aus Oberrad. Dort hatten sie die Renovierung des Schlosses abgewartet, und schon in dieser Zeit raunten die Offenbacher, dass diese seltsamen Menschen sich mit unzüchtigen Orgien vergnügten. Wer laufen konnte, stand beim Einzug auf den Straßen, als Frank mit seiner Ulanen-Leibgarde einzog, aufgeputzt wie ein orientalischer Potentat und begleitet von seiner bildschönen „Pflegetochter“ Eva, die sich häufig „Eva Romanovna“ nannte. Man erzählte, sie sei eine natürliche Tochter der russischen Zarin Elisabeth.

Dem kaum mehr als 5000 Einwohner zählenden Offenbach brachte das einen Schub von einigen hundert Neubürgern, zumeist getauften Juden aus dem östlichen Europa. Die Offenbacher nannten Frank denn auch so respektvoll wie skeptisch den „Pollakenfürsten“. Wie ein Sultan aus dem Märchen ist er ihnen erschienen. Wenn er sonntags zum katholischen Gottesdienst nach Bürgel fuhr, bot das in der Kirche jedes Mal ein seltsames Bild. Frank pflegte seine Gebete auf einem Teppich liegend zu verrichten.

In Offenbach bildeten seine Anhänger eine geschlossene Gesellschaft mit wenig Kontakt zur Stadtbevölkerung. Ältere Stadtpläne weisen auf der Rosenhöhe ein Gelände ganz offiziell mit dem Namen „Pollakengarten“ aus. Dort haben in der Tat Franks Ulanen biwakiert, exerziert und gefeiert.

Nach Offenbach war der aus der Ukraine stammende Fremde auf verschlungenen Wegen gelangt, über den Balkan und die Türkei. Dabei war er zum Oberhaupt einer jüdisch-mystischen Sekte geworden, gegen die Rabbiner schon seit mehr als hundert Jahren ankämpften.

Frank proklamiert sich zum wiedergeborenen Christus. Er wird in die Türkei abgeschoben, wo er zum Islam konvertiert. Irgendwann lässt er sich auch christlich taufen. Nach Polen zurückgekehrt, verbannen ihn die Behörden in ein Kloster, aus dem ihn die Russen nach der polnischen Teilung von 1772 befreien. Man hört, das sei der Dank für dem Zaren geleistete Spionagedienste.

Mit russischem Pass reist er nach Wien, wo er sich der Gunst des Kaisers Josef II. erfreut. Dabei scheinen die weiblichen Reize der Eva mitgewirkt zu haben. Danach hält Frank sich im mährischen Brünn auf, bis er schließlich aus den österreichischen Ländern ausgewiesen wird. Offenbach wird sein Exil. Es lässt die Stadt zu einem Mekka werden für Frankisten, Messiasgläubige und freimaurerische Sympathisanten. Auch rechtgläubige Juden kommen auf der Suche nach Wahrheit.

Als Frank im Dezember 1791 einem Schlaganfall erlegen ist, erlebt Offenbach einen Trauerzug, den ein Hollywood-Regisseur inszeniert haben könnte. Zum Friedhof wird der Tote auf einem Bett getragen. Hunderte von Anhängern begleiten ihn in prächtigen Gewändern, die Damen in Weiß, die Leibgarde unter Gewehr, die Offiziere mit blankem Säbel.

Nun ist Eva die Chefin des Offenbacher Polenhofs. Doch es geht bergab. Der Hof verliert Geld und Glanz, die Schulden häufen sich. Im Januar 1800 lässt “Eva Romanowna“ durch Maueranschlag verkünden: „Auf Allerhöchsten Befehl seiner Kaiserlich russischen Majestät wird sich unser geliebter Bruder den 1. Juli nach Petersburg begeben und nach sechsmonatigem Aufenthalt zurückkehren und unter militärischer Begleitung einen solchen gehörigen Geldtransport mitbringen, welcher alle unsere Gläubiger befriedigen wird“.

Nur Phantasie kann die Verbindung zum Zarenhof nicht gewesen sein. Von Geldsendungen aus Russland wollten Offenbacher Beobachter schon immer wissen. Noch lange erzählten sie auch, im November 1813, nach der Völkerschlacht bei Leipzig, sei Zar Alexander I. von Frankfurt nach Offenbach geritten, um das Fräulein Frank in seiner Wohnung an der Ecke Kaiserstraße und Große Marktstraße zu besuchen. Und als drei Jahre später das gealterte Fräulein stirbt, ist ihr Nimbus immer noch groß genug für neue Gerüchte. Sie sei gar nicht wirklich gestorben, heißt es, sondern vor ihren Gläubigern geflüchtet. Statt der Leiche habe man eine Puppe begraben.

Verweht sind Franks Spuren bis heute nicht. In seiner vom Offenbacher Geschichtsverein herausgegebenen Arbeit „Von Podolien nach Offenbach“ berichtet Paul Arnsberg, warum der israelische Staatspräsident Salman Shasar 1963 nur unter dem Protest orthodoxer Kreise Ehrenbürger von Jerusalem werden konnte. Shasar, ein judaistischer Forscher von Rang, hatte 1923 in einer in Berlin veröffentlichen hebräischen Schrift „Auf den Ruinen des Hauses Frank – Eindrücke aus Offenbach“ die Frankisten als „Brüder“ bezeichnet. In den Augen der Strenggläubigen war das gotteslästerlicher Frevel.

Von Lothar R. Braun

 

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