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Stadt Offenbach

1768: Geschichte und Geschichten um den Aliceplatz

Wenn es in Offenbach weihnachtet, wird der Aliceplatz zum Zentrum der Stadt. Dann drängen zwischen Rathaus und KOMM die Besucher zu den Ständen des Weihnachtsmarktes. Die meisten von ihnen würde man wohl in Verlegenheit bringen mit der Frage, nach welcher Alice dieser Platz benannt ist. Alice im Wunderland war es nicht, und es ist auch nicht der einzige Name, den der Platz in seiner langen Geschichte trug.

Sie beginnt 1768. Da war der „Neumarkt“ fertiggestellt, den wir heute Aliceplatz nennen. Um ihn anlegen und die Frankfurter Straße nach Westen verlängern zu können, hat man sogar das westliche Stadttor, das „Frankfurter Tor“ abgerissen. Es ist die Zeit nach der Ansiedlung der hugenottischen Einwanderer. Offenbach beginnt sich zu dehnen. Das mittelalterliche Dorf hat sich von den Verheerungen des Dreißigjährigen Kriegs erholt und beginnt städtische Züge anzunehmen.

Ein Menschenalter vorher, 1702, waren Marktplatz, Große Marktstraße, Großer Biergrund und Frankfurter Straße angelegt worden. Die reichte freilich nur vom Markt bis zum „Frankfurter Tor“ am Aliceplatz. Von dort führte lediglich ein holpriger Feldweg weiter nach Westen. Wo sich heute Frankfurter und Kaiserstraße kreuzen, lag freies Feld.

Das begann sich zu ändern, als das „Frankfurter Tor“ gefallen war. Der Feldweg nach Frankfurt wurde als Chaussee mit Baumreihen ausgebaut. Ein als vornehm geltendes Westend entstand. 
 

Stadthaus des Landesfürsten

Dort und nicht mehr im alten Schloss residierte nun auch der Landesherr Wolfgang Ernst II. Sein „Stadthaus“ stand an der neuen Frankfurter Straße, dort wo heute der Aliceplatz den Stadthof trifft. Den neuen Platz hatte man sich als Pferdemarkt vorgestellt. Das Pferd, gesattelt oder vor Kutsche und Fuhrwerk, war das einzige Verkehrsmittel zu Lande. Im Pferdehandel ließ sich Geld verdienen. Doch gegen die Konkurrenz des Frankfurter Rossmarkts kamen die Offenbacher nicht an. Aus dem Neumarkt wurde der „Paradeplatz“, auf dem die fürstlich-isenburgischen Soldaten exerzierten. 1794 gehörte zur Hofhaltung auch das gegenüber liegende Eckhaus Aliceplatz-Frankfurter Straße, das bis heute überdauert hat. Aus jedem der beiden Häuser konnte der Fürst seinen Soldaten beim Exerzieren zuschauen. Bis 1830 blieben der Platz und die beiden Häuser Privateigentum des Fürstenhauses, obwohl Offenbach 1816 hessisch geworden war. 1830 jedoch konnte die Stadt das Gelände kaufen. Im „Stadthaus“ richtete sie dann ihr Rathaus ein. Ein großer Tag wurde der 2. September 1878. Zum Feiertag, der die Erinnerung an den deutschen Sieg bei Sedan im Jahr 1870 wachhielt, erhielt der Platz an der Frankfurter Straße ein Denkmal zu Ehren der Kriegstoten von 1870/71. Es stand bis 1958. Dann beschloss der Magistrat, es auf den Alten Friedhof zu verbannen, wo es seitdem vergammelt. Dem damaligen Magistrat hatte das als militaristisch eingestufte Denkmal nicht mehr in die neue Zeit gepasst.

Fassadenkunst am Gebäude der modernen Post

Aus demselben Jahr 1878 stammt auch der Name Aliceplatz. Er ehrt die verstorbene Großherzogin Alice von Hessen. Die zu ihrer Zeit viel verehrte Fürstin war eine Tochter der britischen Königin Victoria. Einen ihrer Nachkommen sah man noch einmal in den 1930er Jahren auf dem Aliceplatz. Zu einem der vielen nationalen Feiertage der Nazizeit hatten die Offenbacher Nazi-Machthaber auch den ehemaligen Großherzog Ernst Ludwig eingeladen. Am Kriegerdenkmal des Aliceplatzes durfte er einem Vorbeimarsch beiwohnen. In der Generalsuniform der alten Armee mit Pickelhaube nahm der Großherzog sich unter den Braunhemden etwas seltsam aus.

Zu dieser Zeit trug der Platz schon wieder einen anderen Namen. Die Nazis hatten ihn in Horst-Wessel-Platz umgetauft, zu Ehren eines ihrer Märtyrer. Der Name sollte zudecken, dass der Aliceplatz mit einem historischen Triumph des linken Gegners verbunden ist. Im November 1918 hatten Offenbacher Sozialdemokraten dort auf einer dramatischen Massenkundgebung den Sieg der Revolution verkündet. In den Augen mancher Offenbacher hat das den Platz mit einem roten Makel belastet.

Es hatte jedoch nicht der Revolution bedurft, um den Platz als zentrale Plattform der Kommunikation zu erkennen. Das 1884 eröffnete Kaiserliche Post- und Telegrafenamt und die benachbarte „Offenbacher Zeitung“ schoben ihn in den Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. In Aushängen am Zeitungshaus konnte man Neues von den Kriegsschauplätzen lesen. Hier griffen die ersten Hände nach den Extrablättern. Bis in die 1950er Jahre drängten sich an Wahlabenden die Neugierigen um Aushänge mit den Resultaten.

Seit 1945 darf der Platz mit seinem Namen wieder an eine Großherzogin aus England erinnern. Aber wen erinnert das noch? Der Aliceplatz ist ein Platz der vergessenen Geschichten. Lothar R. Braun

 

Aliceplatz Ecke Frankfurter Straße
Georeferenzierung

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