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Stadt Offenbach

1773: Ministers Goldenes Haus an der Frankfurter Straße

Das Haus mit der Nummer 44 steht seit 235 Jahren an der Frankfurter Straße. Aber man sieht es nicht. Bevor der schweifende Blick die Fassade erreicht, wird er von Schaufenstern abgefangen. Im Erdgeschoss ist das ein Geschäftshaus wie viele andere. Erst oberhalb der Läden lässt sich erahnen, dass es Geschichte haben muss.

Hinter der "verzierten Fassade" verbirgt sich ein Schatz

Das Haus entstand, nachdem in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein Stadttor mit dem Namen „Frankfurter Tor“ abgerissen worden war. Etwa am Ostrand des heutigen Aliceplatzes hatte es das Ende der „Frankfurter Gass“ markiert. Die konnte sich nun bis zur Kaiserstraße fortsetzen als das neue Westend der feinen Leute.

Ein Homburger Bauunternehmer reihte dort als modern empfundene Neubauten aneinander, darunter das Haus Nr. 44 mit einem parkähnlichen Garten, der erst an der Großen Marktstraße endete. Seinen Eingang hatte das Haus damals noch an der Straße, zu erreichen über eine vorgeschobene breite Treppe. Auf der Rückseite fügte sich eine Remise für Kutschen mit Pferdestall an.

Erster Käufer war ein Frankfurter Bankier. Von ihm erwarb 1795 der Fürstlich-Isenburgische Staatsminister Wolfgang Freiherr von Goldner das Anwesen. Der hat zunächst einmal umgebaut. Im ersten Obergeschoss ließ er die beiden repräsentativen Salons einrichten, die heute unter Denkmalschutz stehen. Zwar genießt den Schutz nicht das Haus insgesamt. Die beiden Salons aber müssen erhalten bleiben, was immer mit dem Übrigen geschehen mag. Schutzwürdig erscheinen die beiden Räume vor allem wegen ihrer schmückenden Stuckdecken aus der Goldner-Zeit. Noch vorhanden ist zudem der runde weiße Keramikofen, den die Dienstboten des Freiherrn von einem Vorplatz aus bedienen konnten. Das hielt sie von den Herrschaften fern.

Eine alte Legende will wissen, seit Goldners Tagen habe es einen unterirdischen Gang gegeben, der von diesem Haus zum Isenburger Schloss führte, ein Fluchtweg für gefährliche Situationen. Glaubwürdig erscheint das nicht. Immerhin aber kann der derzeitige Eigentümer Robert Franzke im Gewölbekeller unterm Haus eine mittlerweile versperrte Öffnung nach Osten zeigen, die am Nachbargrundstück endet.

Der Zugang öffnet die Wand eines Gewölbekellers. Jahrzehntelang war das der Lagerkeller des Weinhändlers Martin Gölzenleuchter und seiner Nachkommen. Ihm hatte Goldner das Haus bereits 1801 verkauft. In den folgenden Jahrzehnten gehörten die Gölzenleuchter zu den führenden Offenbacher Unternehmern. Von 1850 bis 1863 stellte die Familie den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer. Als die Gölzenleuchter 1863 das auch von ihnen umgebaute Haus verkauften, wechselten die Eigentümer in kurzer Folge.

Schätze hinter alter Fassade

Stuckdecken und ein Ofen: Sie sind die Fußspur eines Vergessenen. Nur sie erinnern noch an den Minister, der dem letzten regierenden Isenburger die Geschäfte führte. In den stürmischen Winden, die nach der Französischen Revolution Europa beben ließen, stützte er einen verunsicherten Fürsten. Im Dämmerlicht einer versinkenden Epoche rang er um Bestand und unterlag.

Der Jurist Goldner war 30 Jahre alt und frisch verheiratet, als er 1794 aus Hanauischem Dienst nach Offenbach wechselte, noch unter dem alten Fürsten Wolfgang Ernst II. Es warf ihn in die politischen Ränke einer aufgewühlten Epoche. 1797 vertrat er auf dem französisch-deutschen Friedenskongress in Rastatt die Interessen seines Fürsten. 1803 ernannte ihn der nun regierende Fürst Carl Ludwig Moritz zum Chef seines Kabinetts.

In der Auflösung des alten Deutschen Reiches unter den Erschütterungen der Franzosenkriege wird Goldner ein taktierender Diplomat. In Regensburg hat gerade eben der „Reichsdeputationshauptschluss“ viele deutsche Kleinstaaten ausgelöscht. Der Stand der Reichsgrafen sieht seine Souveränitätsrechte bedroht. Reichsunmittelbare Standesherren aus der Wetterau gründen in ihrer Not als Schutz- und Trutzbündnis ein „Grafenkollegium“. Sein Direktor wird der Offenbacher Fürst Carl mit Goldner als „Geschäftsführer“.

Auf dessen Betreiben erweitert sich das Kollegium mit neuen Mitgliedern zu einer „Frankfurter Union“ mit eigenem Botschafter im Machtzentrum Paris. Goldner wird ihr Sprecher. Politische Gegner werfen ihm Verrat an der Reichsidee vor. Seine Freunde kontern, das Reich existiere doch schon gar nicht mehr.

1805 hat Goldner in Straßburg eine von mehreren Begegnungen mit Napoleon. Dabei regt dessen Außenminister Talleyrand an, die von Goldner vertretenen Territorien an Frankreich anzuschließen, wie das französisch gewordene Mainz. Goldner lehnt ab. Er will seinem Fürsten die Souveränität retten.

Während sein Minister für ihn die Politik betreibt, geht Fürst Carl weitgehend seinen militärischen Neigungen nach. Es gibt dazu eine bezeichnende Episode. Als Goldner im März 1806 in diplomatischer Mission nach Paris reist, kann er sich mit seinem Fürsten nur bei einer Rast im französischen Tour beraten. Fürst Carl ist dort gerade als französischer Offizier stationiert.

Die Parisreise gilt der Vorbereitung zur Gründung des „Rheinbunds“ deutscher Fürsten, eines französischen Protektorats. Das ist die Trennung vom Reich. Im August 1806 legt Franz II. resigniert die ohnehin erloschene deutsche Kaiserwürde nieder. Es mehrt die Anfeindungen gegen Goldner. Der Rheinbund hat zum Beispiel die reichsunmittelbaren Territorien Friedberg, Homburg, Schlitz und die Grafschaft Solms an Hessen-Darmstadt übergeben, das sich nun Großherzogtum nennen darf. Den Verlierern gilt Goldner als Schurke im Sold der Franzosen und der Französlinge.

1813, als Napoleons Macht zusammenbricht, erreicht der in Preußen agierende Reichsfreiherr vom Stein denn auch, dass der „Hochverräter“ aus Offenbach alle seine Ämter verliert. Den neuen Kampf um die Souveränität des Fürstentums Isenburg führt auf dem Wiener Kongress Fürstin Charlotte, deren Gemahl sich als französischer General ins Schweizer Exil begeben hat.

Die Fürstin ringt vergebens. 1816 wird Offenbach hessen-darmstädtisch. Goldner erlebt das als Privatier auf seinem Gut Biblismühle an der westlichen Frankfurter Straße. Sein Leben endet am 23. März 1837 in Frankfurt. Seine aus Hanau stammende Ehefrau Amalie mit dem hübschen Geburtsnamen Ledderhose war bereits 1830 in Offenbach gestorben.

Von Lothar R. Braun

 

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