Inhalt anspringen

Stadt Offenbach

1850: Vom Spital zum Justizpalast

Eine Bahnhofstraße ohne Bahnhof, eine Hospitalstraße ohne Hospital - das gehört zu den Offenbacher Eigenheiten. Von der Bahnhofstraße wissen zwar die Älteren noch, dass von dort bis 1955 die Lokalbahn nach Sachsenhausen verkehrte. An sie gibt es Erinnerungen. Ein Hospital an der Hospitalstraße aber hat kein Lebender gesehen. Doch es gab dort in der Tat ein Krankenhaus. Seine Geschichte begann vor 150 Jahren.

Gebäude Hospitalstraße um 1938

Offenbach um 1850, das ist eine Kleinstadt mit kaum mehr als 13000 Einwohnern. Sie befindet sich jedoch in einer stürmischen Entwicklung. Nur 25 Jahre vorher zählte sie erst etwa 7000 Bewohner. Für diese ist 1825 ein kleines Spital nahe der Französisch-reformierten Kirche eröffnet worden.

Inzwischen genügt es nicht mehr, es ist zu klein geworden. Man hat deshalb einen Hospitalfond gebildet. 1850 fällt diesem eine beachtliche Schenkung zu. Der Arzt Dr. Hauck überlässt ihm eine am Stadtrand liegende Hofreite. Heute kreuzen sich dort die Kaiserstraße und die Geleitsstraße. Der Stifter macht zur Bedingung, dass in dem Gehöft ein zweites Spital eingerichtet wird. Und so geschieht es.

Zu einer befriedigenden Lösung scheint das allerdings nicht geführt zu haben. Beide Spitäler sind klein und liegen weit auseinander. Die Spitalfrage bleibt auf der Tagesordnung. Bald gibt die Stadtverwaltung sich einen Ruck. Sie beschließt die große Lösung. Einen Steinwurf entfernt vom Hauckschen Hof wird eine Wiese bereitgestellt für den Bau eines neuen, großen Hospitals. 1858 beginnen die Arbeiten, im Jahr darauf kann der Neubau bezogen werden. 55 700 Gulden sind dafür aufgewendet worden. Fast die Hälfte stammt aus Stiftungen und Schenkungen, und wieder befindet sich unter den Wohltätern der Doktor Hauck. Die Straße aber, die zum Neubau hin anzulegen ist, erhält den Namen Hospitalstraße.

Es gibt dieses Gebäude noch im Jahr 2000 zum Jubiläum, inzwischen jedoch mit der Hausnummer Kaiserstraße 18. Weil es unter Denkmalschutz steht, lässt sich seine wechselvolle Geschichte anschaulich machen.

Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 muss das Offenbacher Hospital verwundete französische Kriegsgefangene versorgen. Eigens für sie werden Baracken aufgestellt. In Scharen pilgern neugierige Offenbacher dorthin, um vor allem die exotischen „Turkos" in ihren roten Hosen zu besichtigen, die nordafrikanischen Kolonialsoldaten der französischen Armee.

Auch dieses Hospital erweist sich bald als zu klein. Die Stadt scheint zu explodieren. 1880 ist die Einwohnerzahl auf 28000 gestiegen, zehn Jahre später auf 35000. Die Bebauung drängt südwärts. An der Kaiserstraße ist 1879 als Nachbar des Hospitals das Gerichtsgebäude entstanden. Die Eisenbahn und den Hauptbahnhof gibt es seit 1873. 1881 schließt ans Amtsgericht der Gefängnistrakt an. Das Hospital ist eingeschnürt, eine bauliche Erweiterung scheint unmöglich. Offenbach entschließt sich deshalb zum Bau eines neuen, modernen Krankenhauses, abermals weit vor der Stadt. 1894 kann es in Betrieb gehen, im Winkel von Starkenburgring und Sprendlinger Landstraße.

Zwei Jahre lang steht nun das alte Spital leer. Dann kann dort die Mädchenschule an der Bleichstraße einige Klassen unterbringen. Im Keller unterrichtet die Handelsschule. Beide müssen weichen, als 1914 mit Beginn des Ersten Weltkriegs im alten Hospital abermals ein Lazarett eingerichtet wird. Nach Kriegsende zieht die Städtische Handelslehranstalt ein. 1958 macht sie der Stadtbücherei Platz, mit viel Raum auch für Ausstellungen, Vorträge und Lesungen.

Abermals weist ein Krieg dem Haus eine neue Nutzung zu. Als 1949 die Bombenschäden ausgebessert sind, zieht ein Teil der Stadtverwaltung ein. Im ersten Stock, neben dem engen, bescheidenen Sitzungssaal des Magistrats, residiert der Oberbürgermeister. Sein Amtssitz im Büsingpalais ist zerbombt. Seitdem hatte er im Feuerwehrhaus am Stadthof eine Notunterkunft. Der Stadtverordnetenvorsteher findet Räume in Erdgeschoss. Die meisten Dezernate und Ämter bleiben weit über die Stadt verstreut. Das Haus Kaiserstraße 18 aber bildet für zwanzig Jahre die politische und administrative Zentrale der Stadt. Hans Klüber und Georg Dietrich heißen die Oberbürgermeister der schwierigen Wiederaufbaujahre.

Wieder frei wird das Haus Kaiserstraße 18 als 1970 das alte Feuerwehrhaus am Stadthof durchs Rathaus ersetzt ist. Ins einstige Spital zieht als Mieter die Staatsanwaltschaft. Auch sie verlies es wieder. Das Haus stand zur Disposition und diente den Mäusen als Tanzplatz. Verhandlungen mit möglichen Investoren litten unter dem Denkmalschutz, der Abriss und grundlegende Veränderungen behinderte.

Anfang des neuen Jahrtausends sorgte eine Entscheidung für Erleichterung in Offenbach. Ein neues Justizzentrum sollte nebenan auf dem Areal eines kleinen Parks entstehen. In seine dreieckige Form sollte das ehemalige Hospital als einer der Schenkel seinen Platz finden. Doch: kaum war die Baugrube ausgehoben, fiel das Gebäude in sich zusammen.

Dennoch blieb mehr als die Erinnerung, aufrecht erhalten durch die Hospitalstraße. Das Gebäude wurde wiederaufgebaut: von außen kaum von seinem Vorbild zu unterscheiden. Sein innerer Kern genügt freilich eher modernen Ansprüchen.

Von Lothar R. Braun

Veröffentlicht in der Offenbach Post

 

Georeferenzierung

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise