1874: Da unten ist Frankfurt
Den Großen Feldberg im Taunus kennen alle. Den sieht man schließlich sogar aus Offenbach. Mit seinem Nachbarn Altkönig hingegen sind vorwiegend Wanderer, Mountainbiker und Altertumsforscher vertraut. Aber auch von ihnen werden nur wenige wissen, dass der 798 Meter hohe Altkönig einmal ein Offenbacher Berg war. Etwa 71 Jahre lang konnte Offenbach von dort auf Frankfurt herabblicken.
Es führt in die Zeit zurück, in der Offenbach noch Kreisstadt war und das Kreisamt seinen Sitz in der Ludwigstraße gleich neben dem Ledermuseum hatte. Von 1874 bis 1945 waren die Offenbacher Landräte auch zuständig für die Gemeinde Steinbach im Taunus, und zu deren Gemarkung gehörte der Altkönig. Nach dem Großen Feldberg (881,5 m) und dem Kleinen Feldberg (826 m) ist er der dritte unter den Taunusgipfeln.
Wie Steinbach zu Offenbach kam, das hat eine lange Geschichte. Die Gemeinde gehörte zur Grafschaft Hanau, als die 1736 durch Erbschaft an Hessen-Kassel fiel. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch wurde Steinbach dem benachbarten Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugeschlagen. Und dabei blieb es, als Preußen 1866 mit Nassau und Kurhessen auch den Vordertaunus annektierte. Das Gebiet um den Altkönig wurde eine hessische Enklave im preußischen Staat. Vielleicht hat man im fernen Berlin den kleinen Fleck auf der Landkarte irrtümlich für einen Fettfleck gehalten.
Bis 1874 blieb die Enklave Steinbach der hessischen Provinz Oberhessen zugeordnet, die eigentlich ja auch nur eine Enklave nördlich des Mains darstellte. Dann aber schlug die Darmstädter Regierung Steinbach der südmainischen Provinz Starkenburg zu und dort dem Landkreis Offenbach. Der lag am nächsten. Es änderte sich erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Als im Frühjahr 1945 Verwaltung, Verkehr und Kommunikation zusammengebrochen waren, lag Offenbach plötzlich weltenweit entfernt. „Vorübergehend“ unterstellte Steinbach sich daher dem Obertaunuskreis, in den es schließlich 1947 auch formell übernommen wurde. Seitdem hat Offenbach mit dem Altkönig nichts mehr zu schaffen.
Als Wanderziel aber wird er nach wie vor geschätzt. Aus allen Richtungen führen Wege auf seinen Gipfel. Unübersehbar sind dabei die Ringwälle um das Gipfelplateau, mit denen sich vor 2400 Jahren keltische Siedler vor fremdem Zugriff schützten. Die zerfallenen Wälle sind noch immer als Menschenwerk zu erkennen. Das hat vermutlich zu der Sage geführt, die im Namen des Bergs den Bezug auf die Residenz eines alten Königs erkennen will. Tatsächlich leitet sich der Name Altkönig jedoch von der keltischen Bezeichnung für „Höhe“ ab.
Anhänger vorchristlicher Bräuche versammeln sich gern an der imposanten „Weißen Mauer“, die am Altkönig den Blick fängt. Wenn die Sonne es bescheint, leuchtet das Gestein aus Taunusquarzit in einem blendenden Weiß. Esoteriker und so genannte Neu-Heiden wollen darin eine Quelle spiritueller Energien erkennen. Der Glaube daran hat sich deutlich länger gehalten als die siebzigjährige Offenbacher Herrschaft über diesen Gipfel.
Lothar R. Braun