1819: Tote Fürstin auf dem Paradebett - ein Haus mit Geschichte
Mit Mansarddach und barocken Anklängen zeigt das Haus an der Ecke Aliceplatz und Frankfurter Straße ein ehrwürdiges Alter an. Es fällt auf in seiner Umgebung. Bei eingesessenen Offenbachern ist es noch immer das „Haus Hassert“. Über Jahrzehnte betrieb dort ein Modehaus dieses Namens seine Geschäfte. Davor aber nannten die Offenbacher es „das Altfürstin-Haus“. Es hat eine bemerkenswerte Geschichte.
Seit dem Tod des Fürsten Wolfgang Ernst II. im Jahre 1803 lebte dort seine Witwe Ernestine Esperanzia Viktoria. Als sie am 2. Dezember 1819 starb, trauerte die Stadt. Emil Pirazzi, der Stadtchronist des 19. Jahrhunderts, berichtet, die Verstorbene sei in ihrem Haus „auf einem Paradebett aufgestellt“ worden und „ganz Offenbach drängte sich hinzu, die verehrte Tote noch einmal zu sehen“. Sie blieb in Erinnerung als eine Wohltäterin mit sozialem Engagement von ungewöhnlichem Umfang.
Die 1756 als Tochter des Fürsten Heinrich XI. von Reuß-Greiz geborene Ernestine hatte den verwitweten und kinderreichen Offenbacher Landesherrn 1783 geheiratet. Im Offenbach jener Zeit fand sie ein lebhaftes kulturelles Leben vor, an dem sie sich sofort beteiligte. Den Musenfreund Peter Bernard beispielsweise unterstützte sie bei der Gründung eines Theaters, des Fürstlichen Komödienhauses an der Kirchgasse. Bernards mit eigenem Orchester bestrittenen Konzerte hatten in ihr eine regelmäßige Besucherin.
Als Witwe freilich wurde sie zu einer Leitfigur der Offenbacher Armen-Fürsorge. Die napoleonischen Jahre nach 1800 waren Jahre bitterer Not. Nach Friedensschluss, in den Jahren 1816 und 1817, gipfelte das Elend in einer wahren Hungersnot. In dieser Zeit, so ist überliefert, lebte die Altfürstin in ihrem Haus ein einsames und bescheidenes Leben. Ein großer Teil ihres Vermögens soll dabei an Bedürftige verteilt worden sein.
Im Isenburger Schloss am Main lebte die Fürstenfamilie schon bei Ernestines Ankunft in Offenbach nicht mehr. Fürstliche Residenz waren zunächst das „Stadthaus“ an der Frankfurter Straße, zwischen Aliceplatz und Rathaus-Vorplatz, später auch die Eckhäuser Frankfurter Straße und Kaiserstraße. Das „Haus Hassert“ erwarb der Fürst 1794 von seinem Schwiegervater Reuß-Greiz
Von Emil Pirazzi erfahren wir auch, dass die Offenbacher jahrelang auf der Frankfurter Straße schnuppern konnten, was bei Fürstens auf die Tafel kam. Als der fürstliche Haushalt auf das „Stadthaus“ und das „Haus Hassert“ aufgeteilt war, blieb die Küche im Stadthaus. Aufgetischt wurde gegenüber. Zur Tafel mussten Lakeien die Speisen über die Frankfurter Straße tragen. Sie werden dort wohl noch halbwegs warm angekommen sein.
Von Lothar R. Braun