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Stadt Offenbach

1849: „ICH WILL KEINE REVOLUTION“ Reh für Offenbach in der Paulskirche

Während sich seine Kollegen auf die Reise nach Berlin begaben, lag der Abgeordnete des Wahlkreises Offenbach krank zu Bett. Es hat ihm eine Demütigung erspart. Denn der König von Preußen hatte nur Verachtung für die Zumutung, aus solchen Händen die deutsche Kaiserkrone zu empfangen

Theodor Ludwig Reh

2009 ist es 160 Jahre her, dass der Abgeordnete Theodor Reh in der Frankfurter Paulskirche zum Präsidenten der deutschen Nationalversammlung gewählt wurde. Doch als er am 12. Mai 1849 das Amt übernahm, betrat er die Kommandobrücke eines sinkenden Schiffs. Am 30. Mai trat er wieder zurück.

Es vollzog sich in einer politisch aufgewühlten Zeit. 1849 hatten die Offenbacher noch im Ohr, was ihr Abgeordneter im Mai des Vorjahres nach seiner Wahl gesprochen hatte. Auf dem Lagerhaus-Platz, das ist heute der Platz vor dem Ledermuseum, rief er den Offenbachern zu: „Nach langer Nacht ist der Tag der Freiheit über Deutschland angebrochen. Jahrhunderte gingen vorüber und das Volk war geknechtet, die Gewalt herrschte, das Recht war gebeugt, die Freiheit ein verbotener Begriff, das heilige Wort Vaterland durften wir nur in unseren Herzen haben“.

In Deutschland, diesem Gebilde aus vielen souveränen Staaten, schien die Revolution gesiegt zu haben. Demokratie und nationale Einheit waren zu greifen. Aber Reh versicherte den Offenbachern auch: „Ich will keine Revolution, sondern die Freiheit auf dem Boden des Gesetzes. Nicht den Umsturz der Throne, sondern die Konzentration der obersten Gewalt des Volkes in dem von ihm gewählten Parlament“.

In den Chroniken fällt uns der Darmstädter Anwalt und Landtagsabgeordnete Theodor Reh 1837 als Verteidiger seines inhaftierten Schwagers Ludwig Weidig auf. Das ist jener Weidig, der mit Georg Büchner das in Offenbach gedruckte Pamphlet „Der Hessische Landbote“ verfasste, einen Aufschrei gegen die sozialen und politischen Missstände der Zeit: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“.

Die Revolution von 1848 hob ihn in das Frankfurter Vorparlament und dann in die verfassunggebende Paulskirchen-Nationalversammlung. Reh war einer der Einflussreichen unter der schwarzrotgoldenen Freiheitsfahne. Leidenschaftlich trat er in den Debatten für demokratische Strukturen ein, für Pressefreiheit, allgemeines Wahlrecht und eine konstitutionell kontrollierte Monarchie. Das unterschied ihn von den radikalen Republikanern, mit denen er anfangs sympathisiert hatte. Dabei gehörte er zu den „Kleindeutschen“, die im Gegensatz zu den „Großdeutschen“ eine Lösung ohne die österreichischen Länder anstrebten.

Im März 1849 brachte er den Antrag zur Wahl eines deutschen Kaisers ein. Der dafür vorgesehene König von Preußen indes zeigte der Delegation aus Frankfurt die kalte Schulter. Reh hätte mitreisen sollen, musste jedoch wegen Erkrankung das Bett hüten.

Die Berliner Absage leitete den Niedergang ein. Österreich, Preußen und Sachsen zogen ihre Abgeordneten aus Frankfurt zurück. In dieser Situation ließ Reh sich breitschlagen, die Funktion des Präsidenten der geschrumpften Nationalversammlung zu übernehmen.

Nach drei Wochen, als die Mehrheit der Verbliebenen den Wechsel des Tagungsortes vom unruhigen Frankfurt nach Stuttgart beschloss, trat Reh wieder zurück. Es kam zu Aufständen, doch binnen kurzer Zeit stellte allenthalben das Militär wieder die alte Ordnung her. Der schwarzrotgoldene Traum war zerstoben. Zurück blieben die Sehnsucht nach nationaler Einheit und ein Verfassungsentwurf mit Bürgerrechten, die den Deutschen noch viele Jahre versagt bleiben sollten.

Es erscheint uns bemerkenswert, dass Reh nicht nur mit Pfarrer Weidig, dem Mitstreiter des Georg Büchner, familiär verbunden war. Er war auch der Schwiegervater von Wilhelm Liebknecht, dem von Freundschaft mit Karl Marx geprägten Gründervater der Soziasldemokratischen Partei. Bei den Reichstagswahlen der 1880er Jahre konnte Liebknecht zweimal den Wahlkreis Offenbach gewinnen, der sich ungefähr mit dem Wahlkreis deckte, den Reh 1848 gewonnen hatte.

Weidig aus Butzbach, Büchner aus Goddelau, Liebknecht aus Gießen, Reh aus Darmstadt: Offenbach ist ein Punkt, an dem sich ihre politischen Lebenslinien berühren.

Von Lothar R. Braun

veröffentlicht in der Offenbach Post
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