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Stadt Offenbach

1925: Arbeitslose bauten Portefeller-Damm

Im Stadtteil Bürgel war 2005 Grummeln zu vernehmen. Viele Bürger empfanden es als Ärgernis, auf welche Weise die staatlichen Planer vom Regierungspräsidium Darmstadt den Maindamm zu sanieren gedenken. Das lenkt den Blick darauf, dass der Bürgeler Deich – den viele noch immer den „Portefeller-Damm“ nennen – im Jahr 2005 80 Jahre alt geworden ist.

Er entstand in den Jahren nach 1920 in einem Notstandsprogramm zur Beschäftigung von Arbeitslosen, die in ihrer Mehrzahl Feintäschner, also Portefeuiller, waren. Zwei Millionen Mark machte das Hessische Landesarbeitsamt dafür locker. die Techniker griffen dabei auf alte Pläne zur Verlängerung des Offenbacher Hochwasser-Damms zurück. Die Ausführung hatte der 1914 entbrannte Erste Weltkrieg blockiert. Mit Verspätung befreite der Anschluss an den 1893 fertig gestellten Offenbacher Damm auch Bürgel von der Wassernot.

Jahrhundertelang konnte am Main nur leben, wer bereit war, immer mal wieder den Main auch daheim zu empfangen. Lange in Erinnerung blieb beispielsweise das Hochwasser vom November 1882, das in Bürgel ein Haus umriss und vier Menschen den Tod brachte. In Offenbach reichte die Überflutung bis auf den Marktplatz.

In der Herrnstraße, in der Frankfurter Straße und in den Gassen der Altstadt konnten sich Fußgänger nur auf rasch gezimmerten Stegen bewegen. Jugendliche paddelten in Holzbütten durch die Altstadt. Nachen versorgten abgeschnittene Bewohner mit Nahrung und Brennholz. Das Wasser hatte ihnen auch das Heizmaterial fortgespült. Die Bewohner lebten nicht nur in Nässe, sondern auch in Kälte. Im Keller der Weinhandlunge Bisch am Markt drohten aufgeschwemmte Fässer den Boden der darüber liegenden Weinstube aufzustemmen. Im Wasser stehend mussten Arbeiter sie verkeilen.

Verhüten ließ solches Unheil sich erst, als am Ende des 19. Jahrhunderts die Kanalisation des Mains von Frankfurt bis Offenbach weitergeführt wurde. Offenbach nutze das, um seine gesamte Mainfront umzukrempeln. Es drängte den Fluss zurück und riegelte ihn ab durch einen Damm und das Vorfeld, das heute zum Teil als Parkplatz genutzt wird. Diesseits des Damms konnte nun die Mainstraße entstehen. Zu ihr hin wurde 1892 die Herrnstraße verlängert.

1893 endete eine dreijährige Stadtveränderung, die erfassbar wird, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Metzlersche Badetempel im Lilipark einst direkt am Ufer stand. Sie verschaffte Offenbach Schutz und Sicherheit. Aber sie hat die Stadt auch beraubt. Der Stadtchronist Eduard Ernst Günther beklagte es mit diesen Worten: „Von der Erstellung des Dammes ab hat Offenbach sein Sonntaggesicht, das sich in der Mainansicht manifestierte, die innere Beziehung zum umgebenden Naturraum und die bis dahin vorhandene Naturnähe… verloren.“

Bürgel freilich war noch nicht gerettet. 1920 und 1924 lebten die Bürgeler wie auf einer vom Wasser umschlossenen Hallig. Nur Boote verbanden sie mit dem „Festland“, 1924 auch schon mal ergänzt durch hochbordige Lastwagen der Chemiefabrik Oehler. Erst zur Jahreswende 1925/26 brandete das Hochwasser auch bei Bürgel gegen einen Deich. Den Offenbacher Abschnitt aus der Zeit um 1900 hatten noch überwiegend italienische Gastarbeiter gebaut. Den Bürgeler Damm bauten Arbeitslose, größtenteils Portefeuiller aus der in Bedrängnis geratenen Lederwarenindustrie.

Von Lothar Braun

mit freundlicher Unterstützung der Offenbach Post (Öffnet in einem neuen Tab)

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