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Stadt Offenbach

1900: Bildung und Bürgersinn in der Herrnstraße

Herrnstraße 25: Im alten Offenbach brauchte man die Hausnummer nicht zu wissen, um das Haus gut zu kennen. Irgendwann hatte jeder schon mal das Restaurant „Schützenhof“ besucht, das an dieser Stelle „Vereins- und Gesellschaftssäle“ anbot. „Vorzügliche Biere“ und „Weine erster Firmen“ versprach es in seinen Werbeinseraten, dazu Kegelbahn, Billard und einen schattigen Garten. An ihrer Stelle öffnet sich heute der Hugenottenplatz zur Herrnstraße hin.

Der Schützenhof stand schräg gegenüber der Kirche, die wir als „Stadtkirche“ kennen. Ursprünglich hieß sie einfach „die lutherische Kirche“. Ihren heutigen Namen erhielt sie erst, als sich im September 1848 die lutherische und die deutschreformierte Gemeinde zu einer evangelisch-protestantischen Gemeinde vereinten. Damals war das Gotteshaus bereits hundert Jahre alt. Am 2. September 1739 wurde ihr Grundstein gelegt. Bis dahin verfügten nur die deutschsprachigen Reformierten in der Schlosskirche und die französisch sprechenden an der jetzigen Berliner Straße über ein Gotteshaus.

Doch den Lutheranern ging immer wieder das Baugeld aus. Weihen konnten sie ihre Kirche erst am 1. September 1748. Dazu hatten auch Spenden anders betender Christen beigetragen. Es ist wohl etwas dran an der viel genannten Offenbacher Toleranztradition. Ein Sponsor von Rang war der sogenannte Fürstenkongress, der 1741 in Offenbach tagte. Abgesandte deutscher Fürstenhöfe nutzten damals eine Kaiserwahl in Frankfurt, um im benachbarten Offenbach Vorschläge für Verfassungsreformen zu formulieren. Es war ein erfolgloses Bemühen, aber den Offenbacher Lutheranern bescherte es einen Baukosten-Zuschuss in Höhe von 779 Talern, dazu noch Abendmahls-Gerätschaften mit lateinischer Beschriftung. In der deutschen Übersetzung sagte sie: „Geschenk des Fürstenkongresses zu Offenbach 1741“.

Die Glocken, die um 1900 in der Stadtkirche läuteten, sollen aus französischen Beutekanonen von 1871 gegossen worden sein. Weiter mainwärts erreichte der Fußgänger die städtische Steuerkasse, die Volksbücherei und eine öffentliche Lesehalle, die ein privater Verein betrieb. Dort lagen zur kostenlosen Nutzung immerhin 181 Zeitungen und Zeitschriften aus. Sie deckten alle Wissensgebiete ab: Politik, Literatur und Wissenschaften. Zudem unterhielt in diesem Herrnstraßen-Abschnitt der 1859 gegründete Verein für Naturkunde sein Museum. Er teilte sich ein Gebäude mit der Kaufmännischen Fortbildungsschule der Handelskammer. Bildung und Unterhaltung waren offenbar schon vor mehr als hundert Jahren dort konzentriert, wo wir heute Stadtbibliothek und Klingspor-Museum finden.

Altes Stadtbad

Doch nicht nur geistige Bedürfnisse ließen sich dort befriedigen. An der Einmündung der Kirchgasse eröffnete 1887 ein privater Verein das Offenbacher Stadtbad. An die Schwimmhalle grenzten Wannen-, Brause- und Dampfbäder an. Die Offenbacher, die in ihren Wohnungen ja noch kaum über Badezimmer verfügten, haben das offenbar gern genutzt, denn 1899 entschloss der Verein sich sogar zu einer baulichen Erweiterung. Erst 1905 nahm die Stadt das Bad in ihre Obhut. Das Stadtbad, das Naturkunde-Museum, die Bücherei und die Lesehalle machen die Herrnstraße tauglich als Beispiel für Bürgersinn. Als die Stadtbewohner noch nicht jedwede Fürsorge von ihrer Verwaltung erwarten konnten, nahmen sie die Dinge eben selbst in die Hand. Seitdem hat sich nicht nur das Erscheinungsbild der Herrnstraße verändert.

Lothar R. Braun

Nur ein Portal vor eine schmucklosen Fassade blieb von dem Stadtbad
Stadtkirche

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