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Stadt Offenbach

1913: Von Bürgel nach Missouri - Die Geschichte eines jüdischen Kultgerätes

In den Jahren 2007 und 2008 machte Offenbach auf das 300jährige Bestehen einer verfassten jüdischen Gemeinde aufmerksam. Nicht unerwähnt blieb dabei, dass der heutige Stadtteil Bürgel schon weitaus früher ein jüdisches Gemeindeleben kannte: seit 1608. Im Kurfürstentum Mainz, zu dem Bürgel gehörte, genossen Juden das Recht auf freie Religionsausübung früher als im fürstlich-isenburgischen Offenbach.

Eine Arbeit des verstorbenen Stadtverordneten Dr. Hermann Gehrlein nennt für den Anfang des 19. Jahrhunderts etwa 40 jüdische Familien in Bürgel, fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung. Ihr Begräbnisplatz nahe dem Schultheiß-Weiher bezeugt die lange Geschichte. Für das Jahr 1824 ist der Neubau einer Synagoge an der Bürgerstraße bezeugt.

Deren Schmuckstück war ein kunstvoll aus Kupfer getriebener neunarmiger Chanukka-Leuchter, ein Kultgegenstand zur jährlichen Erinnerung an die Weihe des zweiten Jerusalemer Tempels im Jahr 164 v. Chr. Ihn hatte ein wohlhabendes Gemeindemitglied bereits 1776 gestiftet. Hermann Gehrlein hat festgehalten, wie dieser Leuchter später in die Vereinigten Staaten gelangte, wo er wohl noch immer verwahrt wird. Es ist eine bemerkenswerte Geschichte.

Sie begann 1913, als der Leuchter aus nicht mehr bekannten Gründen in Stücke brach. Die Gemeinde stürzte das in tiefe Trauer, die jedoch der spätere Offenbacher Ehrenbürger Dr. Siegfried Guggenheim heilte, ein zu seiner Zeit angesehener Rechtsanwalt und Mäzen. Er stiftete der Gemeinde einen neuen Chanukka-Leuchter, diesmal in Silber. Die Bruchstücke des zertrümmerten Leuchters nahm er an sich und ließ sie wieder zusammenfügen.

Dieser reparierte Leuchter befand sich im Gepäck, als die Guggenheims Mitte der 30er Jahre nach Amerika emigrierten. Aus ihrem Haus gelangte er dann in das Jüdische Museum zu New York. Es war nicht die letzte Stadt dieser seltsamen Reise.

Als 1951 David Ben Gurion, der damalige Präsident des jungen Staates Israel, zum 67. Geburtstag des amerikanischen Präsidenten Truman die USA besuchte, erbat er vom Museum ein Geschenk, das den Dank für amerikanische Unterstützung beim Erlangen der Unabhängigkeit ausdrücken könne. Die Museums-Experten wählten den Leuchter aus Bürgel.

So wurde die Harry S- Truman Library in Trumans Heimatstadt Independence im US-Staat Missouri zur nächsten Station. Es ist zu vermuten, dass der Leuchter dort noch immer steht.

Wenn Juden und Nichtjuden am 9. Dezember am Offenbacher Rathaus das Chanukkafest öffentlich einleiten, wird wohl kaum von der Bürgeler Gemeinde die Rede sein. Sie ist erloschen. Nur ein alter Friedhof und ein Leuchter in Missouri erinnern noch an sie.

Von Lothar R. Braun


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