1900: Pariser Weltausstellung - Goldmedaille für die Firma Dick & Kirschten
Die offizielle Verleihungsurkunde einer Goldmedaille der Pariser Weltausstellung von 1900 – ausgestellt auf die Offenbacher Firma Dick & Kirschten – ist durch Ankauf für das "Haus der Stadtgeschichte" wieder nach Offenbach gelangt.
Vor dem Hintergrund der Teilnahme Offenbachs an der "Route der Industriekultur Rhein-Main" sah der ehemalige Kulturdezernent Stephan Wildhirt in der Rückkehr des Jahrzehnte verschollenen Exponats eine Bereicherung: "Wir haben mit dieser Auszeichnung einen wichtigen Beleg für die internationale Wertschätzung der Offenbacher Industrie zurückgewonnen."
Die überaus großformatige Urkunde (58,5 x 68,5 cm) ist nicht nur ein wichtiges Zeugnis der Offenbacher Industriegeschichte, sondern als originaler Kupferstich des französischen Zeichners und Kupferstechers Adrien Didier auch von kunsthistorischem Wert. Museumsleiter Jürgen Eichenauer kommentiert seinen jüngsten Erwerb: "Für die Urkunden der Pariser Weltausstellung wurden offizielle, staatlich anerkannte Künstler verpflichtet, nicht immer die fortschrittlichsten, aber dafür handwerkliche Meister ihres Fachs." In der Tat finden sich auf der meisterhaft gestochenen Urkunde aus der damaligen Hauptstadt des Jugendstils keinerlei derartige Stilelemente, stattdessen zieren monumentale Allegorien der Künste und der Arbeit nach einem Entwurf von Camille Boignard das Blatt.
Die 1782 gegründete Hofwagenfabrik Dick & Kirschten verkörpert beste Offenbacher Firmentradition: Das Unternehmen besaß einen Weltruf. Lange bevor es motorisierte Wagen gab, orderte – gewiss als prominentester Kunde – Kaiser Napoleon I. mit Vorliebe seine Fahrzeuge in Offenbach. Die Erzeugnisse der Firma gingen in fast sämtliche europäische Länder. Im Jahr 1808 wurden in Amsterdam und Hamburg Niederlassungen gegründet
Begonnen hatte alles mit einer der zahlreichen Reibereien zwischen Frankfurt und Offenbach: Als die beiden Sattlermeister Johann Christoph Dick und Johann Georg Kirschten im Jahr 1782 ihr Sattlergeschäft – in Frankfurt am Main – gegründet hatten, duldeten die Frankfurter Zünfte keine Wagenfabrikation. In der vermögenden Stadt bestand jedoch großer Bedarf an Wagen, weshalb denn auch Kutschen aus halb Europa geordert wurden: aus London, aus Paris, aus Brüssel. Am Widerstand der Frankfurter Zünfte drohte das Unternehmen zu scheitern. Was geschah? Offenbach gewährte den beiden Unternehmern den nötigen Freiraum. Man siedelte um.
Im Jahr 1797 begann die Produktion in Offenbach. Obwohl Anfeindungen durch die Frankfurter Zünfte nicht nachließen, waren zehn Jahre nach der Gründung bereits 120 Handwerker beschäftigt. Im Jahr 1805 wurde die Produktion in die Geleitsstraße verlegt. Schmiede, Schlosser, Stellmacher, Posamentierer, Kastenschreiner, Lackierer, Sattler, Riemer, Plattierer, Gürtler, Spengler, Dreher, Federmacher und Wagenspanner arbeiteten dort gemeinsam unter einem Dach. Hans-Georg Ruppel, Leiter des Archivs im "Haus der Stadtgeschichte", stellt dazu fest: "Mit arbeitsteiligen Leistungen in dieser Größenordnung beginnt die Frühphase der Offenbacher Industrialisierung, nicht mit der ersten Dampfmaschine."
Eine besondere Rolle für die Offenbacher Stadtgeschichte nimmt Johann Heinrich Dick ein, Sohn eines der beiden Firmengründer. Er übernahm die Firma, zog im Jahr 1843 in den Gemeinderat ein und wurde am 6. Mai 1859 durch Großherzog Ludwig III. von Hessen-Darmstadt zum Bürgermeister ernannt. In seine Amtszeit bis 1867 fallen bleibende Maßnahmen. So erweiterte er die Stadt nach Westen, außerdem ersetzte er die bisherige Bezeichnung der Straßen mit Buchstaben durch eine Numerierung. Bereits im Jahr 1856 hatte Dick die Firma verkauft, um sich ganz den gestellten Aufgaben zu widmen.
Der neue Besitzer, Karl Theodor Wecker, setzte die Erfolgsgeschichte fort. Er erwarb im Jahr 1865 ein ausgedehntes Areal zwischen Frankfurter Straße und der späteren Körner-, Geleits- und Parkstraße im Offenbacher Westend. Im nördlichen Teil dieser Liegenschaft entstand im Jahr 1876 die Villa Wecker, entworfen durch Mylius und Bluntschli, im südlichen Teil des Areals produzierte die neue Fabrik neben fertigen Wagen nun auch Feder- und Patentachsen, Räder und andere Fahrzeugteile innerhalb eines eigenen Produktionszweiges.
Für die Entwicklung des Offenbacher Westends waren Weckers Interessen von nicht unerheblicher Bedeutung. Als Mitinitiator der großherzoglich hessischen Landesgewerbeausstellung von 1879 bestimmte er beispielsweise ein Gelände am Rande seines eigenen Grundstücks, welches danach als Dreieichpark zur dauerhaften städtischen Parkanlage wurde.
Das beginnende 20. Jahrhundert und die Entwicklung des Automobils setzten dem ungestümen Erfolg der Firma Dick & Kirschten ein Ende. Zwar erfolgte eine letzte Ausdehnung der Firma am heutigen Odenwaldring, auf einem 12.000 Quadratmeter messenden Grundstück vor den Toren der Stadt, doch musste die Firma die Fertigung von Luxusequipagen infolge stetig sinkender Nachfrage einstellen und sich auf die Fabrikation von Achsen und Federn beschränken. Im Jahr 1912 ging der traditionsreiche Firmenname infolge einer Fusion unter.