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Stadt Offenbach

1913: Beispiel Darmstädter Stils - HfG Gebäude bezogen

Der 23. Januar 1913 war ein Donnerstag. An der Schlossstraße spielte der Wind mit Fahnen. Die Offenbacher am Straßenrand riefen Hurra, als Großherzog Ernst Ludwig und seine Gemahlin vorfuhren, und artig grüßten sie den Fürsten und die Fürstin von Isenburg-Birstein. Die höchsten und auch minder hohe Herrschaften eilten in die Aula der Technischen Lehranstalten. Dort war die Einweihung des Hauses zu feiern, das heute Hochschule für Gestaltung heißt.

Es war ein stolzer Tag für die Stadt und für den Hausherrn Professor Hugo Eberhardt. Er hatte das Ziel erreicht, das traditionsreiche Institut aus der Enge seines Domizils am Mathildenplatz zu erlösen. Es war 1885 für die Schule gebaut worden. Nun übergab ihr die Stadt Offenbach ein größeres und moderneres Haus.

Um einen Neubau hatte Eberhardt gerungen, seit er 1907 zum Leiter der Schule berufen worden war. Als Standort hatte er den heutigen D’Orville-Park an der Mainstraße im Auge. Dass das Haus stattdessen vor dem Isenburger Schloss entstand, ist dem Ehrenbürger Ludo Mayer zuzuschreiben. Zu ihrem 50jährigen Bestehen stiftete seine Großgerberei Mayer & Sohn einen künstlerisch gestalteten Brunnen. Er sollte am Schloss aufgestellt werden, das man damals als Wahrzeichen der Stadt betrachtete. Weil aber der Schlossplatz mit unansehnlichen alten Häusern verbaut war, legte Mayer gleich noch eine Geldspende drauf, damit die Stadt diese Anwesen aufkaufen könne.

Die Stadtverordnetenversammlung, sagte Oberbürgermeister Dr. Dullo in seiner Festrede, habe beide Geschenke „mit dem lebhaftesten Dank“ angenommen. Doch dann erkannten die Planer eine Gefahr: Einmal freigelegt, werde der Schlosshof wohl dazu reizen, ihn mit einer „unwürdigen Kulisse aus Mietskasernen“ zu umrahmen. Der staatliche Denkmalschützer teilte diese Sorge und schlug vor, die gesamte Schlossumgebung unter Denkmalschutz zu stellen.

Noch wurde darüber debattiert, ob die Stadt die dann entbrennenden Anliegerproteste werde aushalten können, da erkannte Eberhardt die Chance. Er schlug vor, den Schlosshof mit dem für die Technischen Lehranstalten geplanten Neubau einzurahmen. So könne eine Innenhof-Architektur entstehen, mit dem Ludo-Mayer-Brunnen im Zentrum.

Eberhardts Projekt schien mehrere Probleme mit einem Hieb zu lösen. Zwar sahen einige Stadtverordnete einen Widerspruch darin, das Schloss erst freilegen und wieder „zubauen“ zu wollen, doch Eberhardt setzte sich durch. Und weil er auch als freischaffender Architekt hoch angesehen war, durfte er den Neubau auch selbst entwerfen und durchplanen. Die Stadt bewilligte ihm 750.000 Mark. Er hat diesen Betrag nicht überschritten. Für die künstlerische Ausschmückung des Hauses standen ihm Spenden von Bürgern und Firmen zur Verfügung. Die Offenbacher betrachteten die Technischen Lehranstalten als ihre Schule. Baubeginn war im Sommer 1910.

„Das Haus,“ so wandte der Oberbürgermeister sich beim Festakt an den Großherzog, „wird von der Fachkritik bezeichnet werden als ein Beispiel des Darmstädter Stils und wenn Eure Königliche Hoheit durch die Räume schreiten, werden Sie einen starken Hauch des Geistes spüren, den Eure Königliche Hoheit in der Darmstädter Künstlerkolonie geweckt und gepflegt haben“.

Festredner Hugo Eberhardt sah in dem neuen Haus „zwei große Erziehungsgruppen“ beieinander: „Auf der einen Seite Handwerk, Kunstgewerbe, Baugewerbe, auf der anderen Maschinenbau und Elektrotechnik. Betont die eine Gruppe das künstlerische, so unterstreicht die andere das wissenschaftliche Element“. Aus allen Fenstern, auch das war ihm wichtig, habe man Blick auf das Kreativität und Geschmack anregende Isenburger Schloss. Ihm war es wichtig, nicht nur eine moderne Unterrichtsstätte, sondern zugleich ein Baumuseum erstellt zu haben.

Nicht einmal zwei Jahre nach diesem Festakt mussten die Studierenden das schöne neue Haus wieder verlassen. Im Ersten Weltkrieg wurde es zu einem Reservelazarett mit speziellem Charakter. Als „Werkstätten- und Berufsübungslazarett“ mühte es sich, an bleibenden Schäden leidende Kriegsopfer auf ein Berufsleben mit Behinderung vorzubereiten. Leiter der Einrichtung wurde Hugo Eberhardt, dessen Schüler unterdes Unterricht in Ausweichquartieren erhielten.

Drei Institute hatten in dem 1913 eingeweihten Haus der Technischen Lehranstalten ein gemeinsames Dach: eine Kunstgewerbeschule, eine Bau- und eine Maschinenbauschule. Zusätzlich bot eine Handwerkerschule Unterricht an. Daraus hat sich 1949 eine „Werkkunstschule“ entwickelt und 1970 die staatliche Hochschule für Gestaltung. Vom ursprünglichen Erscheinungsbild ging dem Haus viel verloren durch Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg und den schlichten Wiederaufbau. Seinen Architekten Hugo Eberhard, der im Stadtbild auch andere bemerkenswerte Bauten hinterließ, kennen viele Offenbacher nur noch als den Gründer des Deutschen Ledermuseums. Lothar R. Braun

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