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Stadt Offenbach

1906: Linie 16 nimmt Fahrt auf

Seit 1996 fährt in Offenbach keine Straßenbahn mehr. Doch "die gute alte Linie 16", wie mancher unter den Älteren sie wehmütig nennt, hat ein unauffälliges Denkmal hinterlassen: Im westlichen Abschnitt der Frankfurter Straße liegen teilweise noch die Schienen, auf denen sie einst verkehrte und die stumm an sie erinnern.

Sie sind die Reste einer Verbindung, die für Offenbach wichtig war, bevor die S-Bahn sie ersetzte. Gäbe es sie noch immer, dann wäre am 27. Oktober 2006 ihr 100. Geburtstag gefeiert worden.

Die erste Trambahn in der Stadt war, die "16" allerdings nicht. Schon seit 1884 verkehrte eine elektrische Bahn vom Mathildenplatz über die preußisch-hessische Landesgrenze zwischen Offenbach und Frankfurt bis zur Alten Brücke in Sachsenhausen.

Das waren kleine Wägelchen ohne rechte Federung. Ihre Räder ratterten auf einer Ein-Meter-Spur. Den Spottnamen "Knochemühl" hängte ihr der Volksmund schon am ersten Tag an. An der Landesgrenze vor Oberrad kreuzte sie die Gleise der Eisenbahnstrecke Frankfurt-Bebra; hier verhüteten Signale und Schranken Zusammenstöße. Wenn die große Bahn kam, musste die kleine eben warten!

Bis 1905 gehörte die "Knochemühl" einer privaten Gesellschaft, der Frankfurt-Offenbacher Trambahn-Gesellschaft (FOTG), die den erforderlichen Strom am Oberräder Buchrainweg mit Dampfmaschinen erzeugte. Erst 1905 griffen die Städte nach der Straßenbahn. Für 14.300 Mark erwarb Offenbach den im Großherzogtum Hessen gelegenen Abschnitt. Frankfurt übernahm den auf seinem Gebiet liegenden Teil. Diese Übernahme machte den Weg zur Modernisierung frei: Beide Städte begannen rasch, die Ein-Meter-Spur auf die Regelspur von 1.435 Millimeter auszubauen.

Den Segen ihrer Obrigkeit erhielten die Offenbacher am 1. August 1905 mit einem Erlass des Großherzogs Ernst Ludwig: "Wir verleihen der Stadt Offenbach auf ihren Antrag unsere landesherrliche Konzession, eine für die Beförderung von Personen und Gepäck im öffentlichen Verkehr bestimmte elektrische Straßenbahn von der Landesgrenze über die Frankfurter Straße, Marktplatz, Bieberer-, Hebe- und über die Friedhofstraße zurück durch die Bieberer Straße, Marktplatz und Frankfurter Straße nach der Landesgrenze (mit Fortsetzung nach Frankfurt am Main) an Stelle der bestehenden Straßenbahn zu bauen und zu betreiben".

Den Offenbachern brachte dieser Erlass eine Verlängerung der Bahn bis zum heutigen Alten Friedhof. Von dort aus fuhr am 27.10.1906 auch der erste Zug der neuen Trasse, und ganz Offenbach nahm daran Anteil. Zunächst endete die Fahrt der Bahn an der Kreuzung Kaiserstraße/Frankfurter Straße, denn erst im Dezember erreichten die neu eingesetzten Gleise die Landesgrenze. Dort aber war zunächst einmal Schluss.

Denn plötzlich wehrte sich die Eisenbahndirektion mit Sicherheitsargumenten gegen eine schienengleiche Kreuzung von Straßenbahn und Eisenbahn, die der privaten "Knochemühl" noch möglich gewesen war. Bewilligt wurde lediglich ein Gleis, über das ausschließlich leere Wagen bewegt werden durften. Wer von Frankfurt nach Offenbach oder umgekehrt fahren wollte, musste also aussteigen, die Eisenbahn zu Fuß überqueren und danach wieder in die Straßenbahn einsteigen! So blieb es bei Wind und Wetter bis 1910. Dann war die Überführung der Staatsbahn über die Straße nach Oberrad endlich fertig und die Straßenbahn konnte unter ihr hindurch fahren. "Es ist erreicht!" jubelte die Offenbacher Zeitung. Ihrer neuen Verbindung wiesen die beiden Städte die Liniennummer 16 zu. Befahren wurde sie mit Wagen aus dem jeweils eigenen Bestand.

Fast 90 Jahre lang war, die "16" als Mutter des öffentlichen Nahverkehrs in Offenbach wohl das wichtigste Verkehrsmittel innerhalb der Stadt. Den Bürgern wuchs sie ans Herz. Im Zweiten Weltkrieg sollte sie sogar Bedeutung für die Ernährung gewinnen. Als der Krieg den zivilen Autoverkehr einschränkte, richteten die Straßenbahn-Verwaltungen auf der Linie 16 einen Güterverkehr ein. Lange in Erinnerung blieb der Gemüsezug, der regelmäßig Offenbach mit frischer Ware aus der Frankfurter Großmarkthalle versorgte.

Im Juni 1996, ist die Linie 16 aus dem Stadtbild verschwunden. Nur in Frankfurt gibt es sie noch. Sie endet an der alten Landesgrenze, die einst Preußen von Hessen trennte und als Stadtgrenze zwischen Frankfurt und Offenbach weiterlebt. Lothar Braun

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