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Stadt Offenbach

1918: Vor Plünderungen wird gewarnt

1918 endete der Erste Weltkrieg. Kaum jemand ging noch seiner gewohnten Beschäftigung nach. In den Offenbacher Betrieben ruhte die Arbeit. Der 8. November war ein Freitag, aber 1918 war das kein Freitag wie jeder andere. In Berlin streikten die Munitionsarbeiter. In Wilhelmshaven und Kiel hatten die Matrosen gemeutert. Im Westen brach die Front zusammen. In Offenbach schlossen sich Vertrauensleute aus den Fabriken zu einem Aktionsausschuss zusammen, um Plünderungen und Gewaltakte zu verhindern.

Noch hatten der Kaiser in Berlin und der Großherzog in Darmstadt nicht abgedankt, aber das konnte nur eine Frage von Stunden sein. Hunger und Friedenssehnsucht nährten die Revolution. Nichts war mehr normal an diesem 8. November. Aus den Betrieben marschierten die Arbeiter auf den Aliceplatz. Um 15 Uhr war der Platz voll von Menschen.

Männer schleppten Tische heran. Sie bildeten eine Plattform, von der Redner zu den Versammelten sprechen konnten. Der Landtagsabgeordnete Carl Ulrich kletterte hinauf, der Redakteur Georg Kaul, der Beigeordnete Leonhard Eißnert, Sozialdemokraten allesamt. Sie sprachen wohl für alle, als sie sofortigen Friedensschluss forderten, und sicher für die meisten, als sie die Absetzung der Fürsten und ein parlamentarisches System verlangten. Als Ulrich und Kaul die Republik ausriefen, jubelte die Menge.

Der Kaiser dankte ab am nächsten Tag, und in Offenbach formierte sich als vollziehende Regierungsgewalt ein Arbeiter- und Soldatenrat, wie in allen größeren Städten des Reichs. Soldaten aus der Kaserne an der Bieberer Straße und Offenbacher Sozialdemokraten bildeten die Mehrheit seiner Mitglieder. Vorsitzender wurde Georg Kaul, den die gleichzeitige Berufung zum Vorsitzenden des Sicherheitsausschusses mit besonderen polizeilichen Vollmachten ausstattete.

Um die Sicherheit in der Stadt ging es den neuen Machthabern ebenso wie um die Beschaffung von Lebensmitteln für die hungernden Bürger. Man wollte eine geordnete Revolution ohne Chaos und Schrecken. In der Furcht vor „bolschewistischen Umtrieben“, vor dem Terror der russischen Revolution, unterschieden sich die Offenbacher Arbeiterführer nicht von den Bewohnern der Westend-Villen.

Mit Maschinengewehren ausgerüstete Soldaten der Offenbacher Garnison besetzten Postamt und Bahnanlagen. Vor allem im Güterbahnhof waren bereits Züge ausgeraubt worden. In der Kaserne richtete denn auch Kaul sein Büro ein. Zu den ersten Maßnahmen, die von dort kamen, gehörten die Einführung des achtstündigen Arbeitstages und der 48-Stunden-Woche. In mehreren Proklamationen wird die Bevölkerung vor Plünderungen gewarnt.

Im Dezember ziehen von der Westfront heimkehrende Einheiten der geschlagenen Armee durch die Stadt. Sie werden freundlich begrüßt. An der Sprendlinger Landstraße errichtet man ihnen einen Ehrenpforte, wie sie 1871 auch den aus Frankreich heimkehrenden Siegern gebaut worden war.

Ebenfalls im Dezember machen die Waffenstillstandsbedingungen es erforderlich, den Namen zu wechseln. Die Offenbacher Garnison muss nach Butzbach abziehen, Offenbach wird frei von Militär, und der Rat nennt sich nun „Volksrat“. Er amtiert bis zum Februar 1919. Als in Deutschland eine verfassunggebende Nationalversammlung gewählt ist, löst der Volksrat sich in Offenbach, wie in ganz Hessen, auf. Das politische Geschäft übernehmen die neuen Parlamente.

Der Redakteur Georg Kaul wird Abgeordneter des hessischen Landtags, sein Offenbacher Mitstreiter Carl Ulrich Ministerpräsident und bald darauf sogar Staatspräsident im einstigen Großherzogtum, das sich nun „Volksstaat Hessen“ nennt.

Von Lothar R. Braun, veröffentlicht in der Offenbach Post (Öffnet in einem neuen Tab) 

Georg Kaul
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