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Stadt Offenbach

1939: Die letzten Tage vor dem Kriegsbeginn

Es liegt was in der Luft“ titelte die Offenbacher Zeitung am 23. August 1939 in ihrem Lokalteil. Darunter war die Rede von den vielen Gewittern dieses schwül-heißen Monats. Doch die Überschrift hatte möglicherweise auch einen Hintersinn. Im Sommer 1939 roch es allenthalben nach Krieg.

Ein Krieg zerstört immer

Schon im Juli waren die Offenbacher an die Verpflichtung erinnert worden, ihre Dachböden zu „entrümpeln“, also alles Brennbare daraus zu entfernen und stattdessen Luftschutz-Handspritzen bereit zu stellen. Wobei die Kosten auf Hausbesitzer und Mieter zu verteilen waren.

In großer Aufmachung berichtete die Zeitung über eine Luftschutzübung in der Reichshauptstadt mit simulierten Bombenschäden in den östlichen Stadtvierteln und anschließender Total-Verdunkelung: „Berlin unter der Tarnkappe“.

Der Beginn des Monats gab dann Gelegenheit, über den 25 Jahre zuvor erfolgten Beginn des Ersten Weltkriegs zu berichten. Die Befestigungen an den Westgrenzen rückten ins Blickfeld, als Hitler im August ein Ehrenzeichen für die am „Westwall“ beschäftigten Arbeiter stiftete. Das „Deutsche Schutzwall-Ehrenzeichen“ trug die Aufschrift „Für Arbeit zum Schutz Deutschlands“. Im „Nationaltheater“ an der Goethestraße, das ein Jahr zuvor noch Synagoge war, lief ein Ufa-Film mit dem Titel „Der Westwall“ an.

Auf den Titelseiten der Zeitung konnten die Offenbacher Tag für Tag von neuen Bedrohungen aus Polen lesen: „Polen droht mit der Beschießung Danzigs“ … „Polen fordert die Zerstörung Deutschlands“. Am 12. August berichtete die Zeitung über eine Vereinbarung mit der Wehrmacht zur „vormilitärischen Erziehung der Hitlerjugend“. Und verblüfft erfuhren die Leser, die Frankfurter Straßenbahn sei dazu übergegangen, auch weibliche Schaffner einzustellen.

„Wenn die Ernte eingebracht ist, geht’s los“, mutmaßten die Leute auf der Straße. Andere meinten „nach dem Reichsparteitag“, der regelmäßig im September in Nürnberg stattfand. Diesmal sollte er „Parteitag des Friedens“ heißen. Er fand nie statt.

Vorerst wurde noch gefeiert. Am 16. August berichtete die Zeitung unter dem Titel „Oh wie schön, Soldat zu sein“ über einen Offenbacher „Tag der Reservisten“. Da waren Reservisten und Veteranen durch die Stadt marschiert: „Die Mädels drängten sich nach vorn“. Abends eilten „die Mädels“ zu den „Manöverbällen“, die im Parkhotel an der Bahnhofstraße und in den Hallen von TGO und TVO stattfanden.

Immer heftiger dröhnte unterdes das Bombardement der Propaganda. 17. August: „Polnischer Terror in Oberschlesien. Polnische Barrikaden an den Grenzen“. 19. August: „Flüchtlingsströme bei Tag und Nacht“. 23. August: „Viele deutsche Familien niedergemetzelt“. 24. August: „Mobilmachung in Polen“. 26. August: „So geht’s nicht weiter. Polnischer Massenmord in Lodz. Deutsche Verkehrsflugzeuge beschossen“. Die Behörden empfahlen den Kauf von „Volksgasmasken“. Sie kosteten nur fünf >Mark pro Stück.

Einen massiven Eingriff ins Alltagsleben der Offenbacher brachte der 28. August: „Bezugscheinpflicht für lebenswichtige Verbrauchsgüter“. Noch waren Brot und Kartoffeln von der Rationierung ausgenommen. Andere Lebensmittel aber, Seife, Kohlen, Textilien und Schuhe gab es fortan nur noch in Zuteilungen. Zuständig wurde ein Ernährungsamt mit Dienststellen in der Herrnstraße 80 und Am Linsenberg 2. Textilien, Schuhe und Benzin konnte man in der Goethestraße 10 beantragen. Krieg und Mangel nähren die Bürokratie.

Am 1. September wurde bereits geschossen, gebombt und gestorben, als die Haupt-Schlagzeile der Zeitung einen feierlichen Klang erhielt: „In historischer Stunde“. Abgedruckt wurde die Hitlerrede vor dem Reichstag: „… wird nun zurückgeschossen“. Beschworen wurde „Tiefes Vertrauen in ernster, stolzer Stunde“. Das „Nationaltheater“ zeigte den Ufa-Film „Mann für Mann“. Der Lokalteil rühmte: „Hessen-Nassaus Frauen sind tapfere Kameraden“ und machte darauf aufmerksam, dass das Abhören ausländischer Rundfunksender fortan als Vergehen gegen den Wehrwillen der Nation unter Strafe stehe.

Als am Sonntag, dem 3. September, Frankreich und Großbritannien in den Krieg eintraten, herrschte am Main ein lebhafter Badebetrieb. Das Thermometer zeigte 20 Grad im Schatten, und die gut besuchten Ausflugslokale schenkten den ersten „Süßen“ aus. An den Abenden indes hatte die Stadt sich verändert. Sie lag in Finsternis.

Auf Straßen und Höfen hörte man den strengen Ruf „Licht aus!“ Autos und Fahrräder trugen Kappen mit nur schmalen Schlitzen über ihren Lampen. Fußgänger benutzten Dynamo-Taschenlampen, die machten „Ratsch-ratsch“, wenn man sie auf sackdunklem Bürgersteig betätigte. Bis wieder Laternen leuchteten, sollte noch viel geschehen.

Von Lothar R. Braun

veröffentlicht in der OFFENBACH POST (Öffnet in einem neuen Tab) 

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