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Stadt Offenbach

1945: Kriegsende in Offenbach

Der Platz vor dem Ledermuseum in Offenbach erinnert mit seinem Namen an ein denkwürdiges historisches Datum. Mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstands-Abkommen endete am 8. Mai 1945 in Deutschland der Zweite Weltkrieg. In Offenbach lebten an diesem Tag etwa 68.000 Menschen, das waren 20.000 weniger als drei Jahre zuvor. Ein Teil von ihnen war umgekommen, in Kriegsgefangenschaft geraten oder lag pflegebedürftig in fernen Lazaretten. Obdachlose „Ausgebombte“, behördlich hießen sie „Fliegergeschädigte“, hatten Unterschlupf in den Dörfern des Umlands gefunden. Für sie wie für die in der Stadt Verbliebenen war dieser 8. Mai kein besonderer Tag.

Blick in die zerstörte Herrnstraße

In Offenbach hatte der Krieg schon am 26. März geendet. Kampflos zogen Infanteristen und Panzer der US-Army über die Sprendlinger Landstraße in die Stadt. Am späten Nachmittag standen sie am Main. Die Brücke nach Fechenheim hatten Wehrmachtpioniere schon am Vortag gesprengt. Ein paar Granaten überquerten den Fluss, amerikanische aus Offenbach, deutsche von der Frankfurter Seite. Dann war da plötzlich Stille. Der Krieg entfernte sich von Offenbach. Zurück blieben Gerüchte, die Sorge um das Obdach, um die Nahrung für den nächsten Tag und um Angehörige, die man noch im Strudel der weiter wandernden Kämpfe wusste.

Zerstörte Straße in Offenbach

Zu den Vermissten gehörte eine Gruppe Offenbacher Jugendlicher, die das torkelnde Regime als letztes Aufgebot mobilisiert hatte. Im Oberfränkischen haben amerikanische Panzer sie eingeholt. Für einige dieser Jungen endete das Abenteuer angenehm. Amerikaner luden sie kurzerhand auf Lastwagen und transportierten sie nach Hause. Etliche Versprengte indes wanderten zu Fuß nach Offenbach, in der Dunkelheit und am liebsten durch die Wälder. Der damals 15jährige Lothar F. aus der Bismarckstraße, der seinen vollen Namen nicht genannt haben will, weiß nicht mehr, wie lang er für diesen Heimweg benötigte. Aber er hatte das Glück, in der weitgehend zertrümmerten Stadt die elterliche Wohnung unversehrt anzutreffen.

Zerstörte Schule

Es war eine Stadt ohne öffentliches Leben. Im Gebäude des Amtsgerichts an der Kaiserstraße hatte sich eine Militärregierung eingerichtet und sofort Sperrstunden verordnet, in denen sich niemand auf der Straße zeigen durfte. Straßenbahnen fuhren schon seit Anfang März nicht mehr. Zeitungen erschienen nicht. Arbeitsplätze waren zerbombt oder verlassen, Schulunterricht und Postdienst eingestellt. Eine deutsche Justiz gab es nicht mehr und auch noch keine deutsche Polizei. Zeitzeugen erinnern sich, wie sie bei amerikanischen Soldaten Schutz fanden gegen Übergriffe von nun befreiten ausländischen Zwangsarbeitern. Für sie hatten die Amerikaner in den Passagen unterm Offenbacher Hauptbahnhof ein Lebensmittel-Depot angelegt. Auf ihrem Heimweg durchreisende Ausländer erhielten dort eine Wegzehrung aus Armeebeständen.

Die Spanne zwischen dem 26. März und dem 8. Mai 1945 ist vielen als Zeit des Stillstands in Erinnerung. Doch in dem vermeintlichen Vakuum keimte bereits neues Leben. Als kommissarischen Oberbürgermeister setzten die Amerikaner den Verwaltungsbeamten Fritz Reinicke ein. Politveteranen aus der Weimarer Republik, von denen viele Haft und Demütigung erlitten hatten, trafen sich zur Erörterung einer neuen Politik. Einstige Gewerkschaftsführer, zu denen beispielsweise Wilhelm Weber und Wilhelm Buckpesch zählten, waren wohl die Ersten, die bei der Militärregierung um die Erlaubnis zur Organisierung rangen.

Im bürgerlichen Lager formierte sich ein Diskussionskreis um den Arzt Dr. Hermann Frühauf und die Pädagogen August Hammerstein und Dr. Friedrich Grünewald. Der Zirkel ist eine Wurzel der Offenbacher CDU. Aus einem Notquartier im Odenwald schwang sich am 14. April der in der Offenbacher Bachstraße ausgebombte Linkssozialist Heinrich Galm aufs Fahrrad, um sich in Offenbach der Militärregierung zur Verfügung zu stellen. Hier wurde der spätere Gründer einer „Arbeiterpartei“ (AP) so etwas wie der lokalpolitische Berater des Stadtkommandanten Major Sheehan. Gern hätte Galm sich zum Oberbürgermeister berufen lassen, doch dafür hatte er den Odenwald einige Tage zu spät verlassen. Die Chance, Polizeidirektor zu werden, schlug er aus, weil er dann Uniform hätte tragen müssen. So jedenfalls ist in seinen Memoiren zu lesen. Galm wurde dann Mitglied eines von den Amerikanern berufenen Gremiums „Beratender Ausschuss des Oberbürgermeisters“. Der tagte zum ersten Mal am 3. Mai im Landratsamt an der Ecke Herrnstraße und Große Marktstraße. In dem Ausschuss wirkten politisch unbelastete Honoratioren unterschiedlicher Färbung vor allem beim Beschaffen von Lebensmitteln und Brennholz mit. Aber sie setzten auch ehemalige Nationalsozialisten zur Trümmerbeseitigung ein.

Ebenfalls am 3. Mai erschienen zum ersten Mal gedruckt „Amtliche Mitteilungen für die Stadt und den Landkreis Offenbach“, die in der Offenbacher Stadtverwaltung verfasst wurden. Bis dahin war ein Lautsprecherwagen der Armee die einzige Informationsquelle gewesen. Rundfunkgeräte hatten vielfach gleich zu Anfang bei den Besatzern abgeliefert werden müssen. Wer noch ein Gerät hatte, konnte indes keinen deutschen Sender mehr hören. Eine wichtige Quelle bildete nur noch Radio Luxemburg, ein Sender der Alliierten. Eine Anstalt der US-Militärregierung war dann auch der später gegründete Sender „Radio Frankfurt“, aus dem der Hessische Rundfunk hervorging.

Überall Trümmergrundstücke

Vielleicht lässt sich in dieser Zeit auch der zarte Anfang wirtschaftlicher Aktivitäten erkennen. Bereits am 26. April war im Deutschen Ledermuseum eine Verkaufsstelle für Lederwaren eröffnet worden. Sie bediente allerdings lediglich Angehörige der Besatzungsmacht. Herstellern im Raum Offenbach öffnete das den Zugang zu Rohstofflagern und die Aufnahme einer Produktion.

 

Um die Wende vom April zum Mai klebten amerikanische Plakate an den Mauern. Sie zeigten Fotos von Leichenbergen, die Befreier in deutschen Konzentrationslagern angetroffen hatten. Die Passanten betrachteten die Bilder stumm und verstört. Sie hatten viel gewusst und mehr geahnt, doch nicht das gesamte Ausmaß des Terrors. Manche Betrachter hielten die Fotos für Feindpropaganda. Das sagten sie jedoch nur im Flüsterton.

 

Am 12. Mai schließlich wurden die Straßennamen entnazifiziert. Aus dem Adolf-Hitler-Ring wurde der August-Bebel-Ring, aus dem Adolf-Hitler-Park der „Waldpark“, der heute Leonhard-Eißnert-Park heißt. Bewohner der Hermann-Göring-Straße mussten sich an die Adresse Rathenaustraße gewöhnen, und das Postamt fand man nicht mehr am Horst-Wessel-Platz, sondern am Aliceplatz.

Die Bomber leisteten ganze Arbeit

Unter all dem ist der Waffenstillstand vom 8. Mai fast unbemerkt geblieben. Was die Offenbacher mehr beschäftigte, zeigt ein Blick auf die erste Ausgabe der Amtlichen Mitteilungen vom 3. Mai. Darin bereitet der Oberbürgermeister auf zunehmende Entbehrungen vor, die schmerzen werden. Das galt nicht allein der Versorgung mit Lebensmitteln. Auch die Wohnungsnot werde „zu Verhältnissen bislang unbekannter Art“ führen, sorgte sich Reinicke. Denn nicht nur die Luftangriffe hatten Wohnraum geraubt. Nun mussten auch noch intakte Wohnungen für die Besatzungstruppen geräumt werden. An der Waldstraße waren das ganze Wohnblocks, aus denen die Bewohner vertrieben wurden.

 

Hinzu kam ein weiteres Problem. Der Oberbürgermeister fasste es am 3. Mai in den Amtlichen Mitteilungen in einen einzigen Satz: „Der Ausfall der Kostenträger der Sozialversicherungen verschiedenster Art zwingt die Stadt auch hier zu schärfsten Einschränkungen“.

 

Die Freude über das Ende des Krieges war also nicht ungetrübt. Zwar brauchte man nicht mehr Bombentod und Gestapo zu fürchten. Man durfte hoffen und mutige Anfänge wagen. Aber auf dem Weg in die Zukunft war schweres Gepäck zu schleppen.                                                                                         Lothar R. Braun

Langsam begann der Wiederaufbau

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