2012: 100 Jahre Friedenskirche - lang gezogenes
Ab dem 24. Mai 2011 war die Gemeinde der evangelischen Friedenskirche in Feierstimmung. Zwar stand das hundertjährige Bestehen des Gotteshauses an der Geleitsstraße erst im Oktober nächsten Jahres an. Doch die Gemeinde nähert sich dem Jubiläum schon mit festlich einstimmenden Vor-Veranstaltungen.
Am 24. Mai, gedachte sie des mit diesem Datum verbundenen ersten Spatenstichs. Dazu wurde im Pfarrgarten ein Apfelbaum gepflanzt. Seine jungen Blätter wippten im Takt, als dort zu Pfingsten das rumänische „trio contraste“ konzertierte. Am 23. Juli war die nächste Stufe der Baugeschichte zu würdigen. Vor hundert Jahren war das der Tag der Grundsteinlegung. Der Gemeinde ist das eine Gedenkfeier wert. Und so soll es dann auch weitergehen. Bis zum Jahrestag der Einweihung im Oktober 2012 folgte eine Fülle von Vorträgen, Konzerten, Lesungen und anderen auf das Jubiläum hinweisende Veranstaltungen.
Mit dem zeitgleichen Bau sowohl der Friedenskirche im Westend als auch der Lutherkirche an der Waldstraße suchten die Offenbacher Protestanten zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen verloren gegangenen Anschluss an die Stadtentwicklung zu reparieren. In atemraubender Weise hatte die Stadt sich in den vorangegangenen hundert Jahren vergrößert und verändert, ohne dass die kirchlichen Strukturen damit Schritt gehalten hätten.
Es gibt Hinweise darauf, dass auch die Kirche jener Zeit sich in einer Krise sah. Es scheint Zweifel gegeben zu haben an Bauprojekten in einer Epoche des schwindenden Einflusses auf Menschen und Gesellschaft. Pfarrer Palmer ging im Juli 1911 darauf ein in seiner Festpredigt zur Grundsteinlegung. In einer Betrachtung zur Namenswahl „Friedenskirche“ kam er zu dem Schluss, die Kirche bleibe unersetzbar, so lange Menschen sich nach Seelenfrieden sehnen.
Mit der Architektur sowohl der Friedens- als auch der Lutherkirche betrauten die Gemeinden den Darmstädter Hochschul-Professor Friedrich Pützer. Seine Wahl ist als Bekenntnis zu einer neuen Bauideologie zu verstehen. Denn Pützer lag daran, die moderne Glaubenswelt auch im Erscheinungsbild sichtbar zu machen. Er brach mit den bis dahin im Kirchenbau vorherrschenden historisierenden Formen. Seine Sakralbauten bedurften keiner weihevollen Erhöhung durch romanische oder gotische Stilelemente. Sie sollten klares 20. Jahrhundert sein.
Seine Friedenskirche fügte der Architekt denn auch ohne auffallende Trennung in ihre Umgebung ein, mit Elementen des Jugendstils als würdigem Schmuck ohne Protz. Die Situation an einer Kreuzung nutzte er zur Ausrichtung auf zwei Straßen. Turm und Eingangsportal stehen an der Geleitsstraße, der Gottesdienstraum blickt auf die Tulpenhofstraße. Ihn erreicht man im Obergeschoss. Darunter liegen im Erdgeschoss die Gemeinderäume.
Im evangelischen Milieu der Stadt etablierte sich 1912 die neue Pfarrei als eine typische Westend-Gemeinde: immer ein wenig bürgerlicher, die Kirche umstellt von Villen mit Dienstpersonal. Zur Gemeinde gehörten Mitglieder mit einer erhöhten Bereitschaft, Ansprüche an sich selbst zu stellen, und manche ihrer Namen tauchen auch in der Stadtchronik auf. Falls das alles mittlerweile nicht mehr der realen Gegenwart entsprechen sollte, so wirkt es doch fort in Tradition und Selbstverständnis.
Nach der Einweihung von 1912 allerdings durfte das von der Fabrikantenfamilie Heyne gestiftete Geläute der Friedenskirche nicht lang im Frieden erklingen. Im Verlauf des 1914 ausgebrochenen Ersten Weltkriegs mussten die Glocken dem Vaterland geopfert werden, das daraus Kanonen gießen ließ. Noch härter sollte dann der Zweite Weltkrieg die Gemeinde treffen. 1943 erlitt die Kirche Bombenschäden, die insgesamt erst 1952 wieder geheilt waren. Die Chronik nennt die Offenbacher Architekten Heinz Collin und Fritz Reichard als beim Wiederaufbau federführend.
Über den Krieg hinweg gerettet werden konnte diesmal jedoch das 1925 installierte zweite Geläute in der kurzen Geschichte des Gotteshauses. Am Entwurf der vier Glocken hatte der Schriftkünstler Rudolf Koch mitgewirkt. Er wohnte am nahen Buchrainweg, die Friedenskirche war das Zentrum seines religiösen Lebens. Dort war er aktiv in der Gemeindearbeit, dort wird sein Andenken gepflegt, dort lässt sich seine gestaltende Hand erkennen.
Ohne Bezüge auf Rudolf Koch, den künstlerisch wirkenden „Werkmann Gottes“, kommt denn auch der Veranstaltungsreigen des Jubiläumsjahres nicht aus. Pfarrer Georg Friedrich Metzger und seine Helfer werden es berücksichtigen, beispielsweise in der Festschrift, die zur Zeit erstellt wird. Lothar R. Braun