Inhalt anspringen

Stadt Offenbach

1959: Eine Häuserlücke mit viel Vergangenheit

Gegenüber der Pfarrkirche St. Paul klafft eine Lücke in der Häuserfront der Kaiserstraße. Sie öffnet eine Schneise zum Rathaus. Das Rathaus freilich gab es noch gar nicht, als 1959 die Abrissbagger diese Schneise schlugen. Damals ging es um eine Zufahrt zur Industrie- und Handelskammer, die gerade am heutigen Platz der deutschen Einheit ein neues Domizil erhielt. Niedergelegt haben die Bagger dabei eines der ältesten Häuser der Stadt. Wehmütig titelte die Offenbach-Post am 16. Januar 1959: „Ein Zeuge Offenbacher Geschichte fällt“.

Auszug aus dem Brandkataster

Die Bagger fraßen ein um 1785 gebautes dreigeschossiges und breit gelagertes Haus, dessen erster Bewohner Prinz Heinrich XIII. von Reuß-Plauen war, ein angeheirateter Verwandter des Offenbach regierenden Fürstenhauses der Isenburger. Die Kaiserstraße trug damals noch den Namen Kanalstraße. In ihrer Mitte verlief ein breiter Graben, der erst 1804 zugeschüttet und mit Bäumen bepflanzt worden ist.

 

1797 übernahm der Frankfurter Kaufmann Kaspar Wilhelm Thurneisen das Prinzenhaus. Ihm gehörten auch die Grundstücke, auf denen heute die Kirche St. Paul und ihre Nachbarhäuser stehen. Eine Thurneisen-Tochter heiratete den Schnupftabakfabrikanten Peter Bernard und zog zu ihm ins Büsingpalais. Eine Enkelin wurde Ehefrau des ersten Offenbacher Bürgermeisters Georg Peter d’Orville: zwei Familiennamen mit Glanz in der Stadtgeschichte.

 

Der Glanz erlosch, nachdem Offenbach 1816 dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugeschlagen worden war. Zeitweise nahm das Haus die Posthalterei auf. Zweimal täglich konnte man dort die Postkutsche nach Frankfurt besteigen. 1850 aber wurde es ein Geschäftshaus. Die Firma Francke & Cranz produzierte dort Lampenschirme, Pantoffeln und bestickte Reisetaschen.

 

Am Ende des 19. Jahrhunderts gelangte das Haus dann in den Besitz der Stadt. Sie richtete dort unter anderem das Standesamt ein. Darüber wohnte zeitweise der spätere Ehrenbürger Dr. Siegfried Guggenheim zur Miete. Doch für die Offenbacher blieb es jahrzehntelang „das Franckesche Haus“.

 

Bis 1922 blieb es im städtischen Besitz. Die Stadt benötigte es nicht mehr, sie hatte das Büsingpalais gekauft und zum Rathaus samt Standesamt gemacht. Nun griffen die „Schwestern von der Göttlichen Vorsehung“ zu, die im 1905 erbauten Nachbarhaus eine kleine Klinik unterhielten. Das Haus des Prinzen und der Lampenschirm-Manufaktur wurde mit dem jüngeren Nachbar-Bau zum St. Josefs-Krankenhaus. Wo man zuvor Ehen schloss, war nun ein Ort zum Gebären, Heilen und auch Sterben entstanden.

 

Der Bau aus dem Jahr 1905 wird nicht mehr als Klinik genutzt, aber er steht noch. Sein Nachbar aus dem Jahr 1785 jedoch ist verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen.

                                                                                                                          Lothar R. Braun

Georeferenzierung

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise