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Stadt Offenbach

1964: Kampf um den Wildhof

Das Tischtuch war zerschnitten. Über viele Monate währte nach 1964 ein heftiger Streit zwischen Heusenstamm und der Kreisverwaltung auf der einen Seite und Offenbach auf der anderen. Dabei ging es um den Wildhof-Wald, den Offenbach 1964 für rund 30 Millionen Mark von der Kurhessischen Hausstiftung erworben hatte. Die Wurzeln des Konflikts aber reichten bis in die Frühe des 19. Jahrhunderts.

1819 war die aus dem Mittelalter stammende genossenschaftlich genutzte Biegermark aufgelöst und auf die Markgemeinden aufgeteilt worden. Offenbach erhielt dabei nur einen kleinen Teil des vormaligen Gemeinschaftseigentums. Besser bedacht wurden beispielsweise Bieber, Bürgel und Rumpenheim. Erst deren Eingemeindungen im 20. Jahrhunderts glichen das aus.

 

Einige große Brocken aus der Erbmasse indes fanden 1819 keinen neuen Herrn. Sie wurden zu freien Gemarkungen erklärt, darunter Wildhof, Gravenbruch und Neuhof. Die erforderlichen administrativen Aufgaben übernahmen treuhänderisch die benachbarten Kommunen. Für den Wildhof war das die Gemeinde Offenbach. So blieb das von 1819 bis 1955. Dann aber hob die hessische Landesregierung die Selbstständigkeit der freien Gemarkungen auf. Den Wildhof schlug sie Heusenstamm zu, was die Offenbacher auch deshalb fuchste, weil sie nicht angehört worden waren.

 

Doch es gab noch eine andere Partei, die mit dem Regierungsbeschluss nicht einverstanden war: den Grundeigentümer, das ehemalige Fürstenhaus Hessen. Es bemühte das Verwaltungsgericht Darmstadt. Manche fanden es charmant, dass da ein Haus Hessen gegen das Land Hessen prozessierte.

 

In Darmstadt fand das durch seine Hausstiftung vertretene Fürstenhaus Verständnis. Das Gericht erklärte die Regierungsverfügung für unhaltbar. Worauf die Unterlegenen den Verwaltungsgerichtshof in Kassel anriefen. Der aber verhielt sich abwartend. Er beschloss, vor einer Entscheidung abzuwarten, wie ein gleichartiges Verfahren um die Gemarkung Neuhof ausgehe. Zwischen den Rathäusern brach eine Eiszeit aus.

 

Unterdes aber geschah Unerwartetes. 1964 verkaufte die Kurhessische Hausstiftung das Streitobjekt, also den 450 Hektar großen Wildhof-Wald, an die Stadt Offenbach. Damit trat Offenbach in das vom Verkäufer eingeleitete Verfahren ein. Etwa um die gleiche Zeit fiel auch die Entscheidung im Fall Neuhof, und am 15. Dezember 1964 zog das hessische Kabinett seinen Beschluss von 1955 zurück, Neuhof und Wildhof wurden wieder freie Gemarkungen.

 

An einem freien Wildhof aber hatte Offenbach keinerlei Interesse. Es nahm sofort Verhandlungen um eine Eingemeindung des Wildhofs nach Offenbach auf, also zur Ausgliederung des Wildhofs aus dem Kreis Offenbach. Die Landesregierung stimmte zu, und im Heusenstammer Rathaus wie im Landratsamt kochte die Empörung. Offenbach wiederum rechnete dem Nachbarn vor, seit 1955 habe Heusenstamm sein Hoheitsgebiet bereits um 108 Prozent vergrößert.

 

Am 22. Januar 1965 eröffnete Heusenstamm die Gegenoffensive. Ohne Debatte ermächtigten die Stadtverordneten In einer Sondersitzung ihren Magistrat, die Eingemeindung des Wildhofs nach Heusenstamm zu betreiben. Mehr als ein Silvesterknaller war das nicht. Eingemeindet wurde der Wildhof nach Offenbach. Dabei mag der Heusenstammer Bürgermeister Hemberger ungewollt geholfen haben als er sich beklagte, seine Stadt habe Randzonen des Wildhof-Waldes bereits in Iihre Bauleitplanung einbezogen und Erschließungen eingeleitet.

 

Damit sah Offenbach erfreut seine Rolle als Retter der Bäume bestätigt. Eilig legte es einen Waldentwicklungsplan mit beträchtlichen Investitionen vor. Daraus ist dann nicht viel geworden. Aber mit dem 1964 gekauften und 1965 eingemeindeten Wald konnte Offenbach gelassen darauf warten, dass der südliche Nachbar allmählich seine Niederlage vergessen würde.

                                                                                                        Lothar R. Braun

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