Offenbach und seine Offenbacher
Eingesessene Offenbacher und ihre Stadt stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Zuwanderer bleiben in der Regel davon frei. So lange jedenfalls bis auch sie zu Eingesessenen geworden sind und damit ihrer Unbefangenheit verlustig gehen.
Es lässt sich erkennen, wenn man Offenbacher über ihre Stadt befragt. Sie pflegen dann gewöhnlich erst einmal aufzuzählen, was Offenbach nicht ist. Keine Idylle, kein Rothenburg ob der Tauber, kein Touristenziel, keine Stadt mit jenem Charme, der den Fremden sofort umarmt, bezaubert und betört.
Dem folgen in der Regel einige Erklärungsversuche: Einst als Industriestadt groß geworden, viel zu schnell natürlich, und daher von arbeitsamer Nüchternheit, festgelegt auf Sachlichkeit und Nutzwerte. Auch der Schatten der benachbarten Metropole wird genannt. Und immer klingt das wie eine verlegene Bitte um Verzeihung.
Es könnte dieser Verlegenheit entspringen, dass man im gleichen Maß aber auch auf leidenschaftliche Bekenntnisse zur Heimatstadt trifft. Denen haftet oft etwas Trotziges an. Da wird sozusagen ein Dennoch beschworen, wobei gelegentlich das Pendel weit in die Gegenrichtung ausschlägt, in die Schönrederei. Denn des Bürgers Stadt ist ja ein Stück seiner eigenen Identität; ihre Befleckungen beflecken auch die eigene Person.
In dieser komplizierten Gefühlswelt hat sich der Offenbacher so sehr eingerichtet, dass er jeder Veränderung misstraut. Veränderungen sind ihm Zugriffe, die eine Balance gefährden. Neues wird deshalb zunächst auf seine Nachteile untersucht. Etwas findet sich da immer. Doch das hält nur so lange an, bis das Neue vertraut geworden ist. Dann wird es verteidigt.
Einen Offenbacher zufrieden zu stellen, das erfordert mithin Geduld. Zufriedenheit findet er in moralischer Hinsicht sehr bedenklich. Die Unzufriedenheit ist das Hemd, das seine Blöße deckt und obendrein noch wärmt.
Das alles muss man wissen, wenn man erfahren möchte, wie liebevoll der Offenbacher zu seiner Stadt steht: Warmherzig, aber um Himmelswillen nicht hitzig.
Text: Lothar Braun