»Alles erliegt der scharfen Sense der Zeit«

Unauffällig eingefügt
Wohlgestaltetes Erscheinungsbild
Solide mit steinernen Außenmauern über einem gewölbten Keller gebaut, besaß das La Rochesche Haus ursprünglich zwei Stockwerke und darüber ein hohes ausgebautes Mansardendach. Obergeschoß und Dachstock hatten je fünf Fenster. Im Erdgeschoß lag in der mittleren Achse zwischen vier Fenstern die Haustüre und davor eine kleine Freitreppe, um den Niveauunterschied zur Straße auszugleichen.(4) Es waren vor allem die klare Symmetrie und die Proportionen, die der Fassade ein wohlgestaltetes Erscheinungsbild verliehen; auf Bauschmuck wurde weitgehend verzichtet. Unbekannt ist, ob die Außenmauern ursprünglich verputzt waren, oder ob der rote Sandstein des Mauerwerks zu sehen war – bei den Fassaden besserer Wohnhäuser in Offenbach vor 1800 vielfach üblich.
Betrat man das Haus von der Domstraße her, kam man zuerst in eine lange, breite und nur durch die Oberlichter über den Türen erhellte Diele, die im Erdgeschoß das ganze Gebäude durchzog. Vorne, nahe der Haustür, lagen beiderseits dieses geräumigen Flures zwei große Zimmer mit je zwei Fenstern zur Straße hin, geeignet, Gäste zu empfangen. Daran schlossen sich in der Tiefe des Hauses weitere Räume an; in einem war die Küche untergebracht. Am hinteren, nördlichen Ende der Diele befand sich die Türe, die hinaus in den Hof sowie den daran anschließenden Garten führte. Daneben lag innen im Gebäude die Treppe hinauf in das obere Stockwerk. Dort wiederholte sich die Anordnung der Räume, allerdings war die Diele zum Vorplatz verkürzt und stattdessen eines der beiden straßenseitigen Zimmer saalartig vergrößert. Durch Verbindungstüren entstand eine Enfilade schöner Wohnräume, die auch gartenseitige Zimmer einbezog.
Blick auf die Berger Höhe
Akazien und Aprikosen
Wattierte Röcke, gesteppte Decken
Florierendes Gewerbe in der Nachbarschaft
Straßenlärm nimmt ständig zu

Sophie La Roche, der geistvollen Schriftstellerin, der Freundin Wielands und Goethes, die in diesem Hause von 1786 bis 1807 wohnte, aus Anlass der 200. Wiederkehr ihres Geburtstages gewidmet von Offenbachs Frauen. Am 6. Dezember 1931.
Bomben verursachen nur leichte Schäden
"Scharfe Sense der Zeit"
Anmerkungen
(1) Johann Caspar Nicks, Lageplan, 1784. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main) Im Jahr 1784 hatte das Haus noch die laufende Nummer 74. Für den Namen des fürstlichen Baukommissars und Ingenieurs gibt es mit Nicks, Nix sowie Niels drei verschiedene zeitgenössische Schreibweisen.
(2) Leider stellt dieser Plan die bereits bestehende Bebauung des Quartiers nur zum kleineren Teil dar. Eigentümlich ist auch, daß auf Nicks’ Plan der Name La Roche an unerwarteter Stelle auftaucht, nämlich bei der Parzelle, wo das Wohnhaus zuletzt Kaiserstraße 91 stand [vgl. Lageplan, Anm. 1]. Aus der Frühzeit dieses Bauobjekts ist bisher nur bekannt, es sei 1792 für eine Frau La Fontaine aus Frankfurt erbaut worden. Ob Herr von La Roche ursprünglich dieses Grundstück im Auge hatte oder ob es das kurzzeitig vom Sohn Fritz erworbene Anwesen war, ist vorläufig nicht zu klären. Weitere Fragen werfen einige Briefe des Ehemannes Georg Michael Frank von La Roche aus dessen ersten Wochen in Offenbach auf. Auf das Briefkonvolut im Archiv des Freien Deutschen Hochstifts/Frankfurter Goethe-Museum hat Julia Bastian mich dankenswerterweise hingewiesen. In diesen Briefen berichtet La Roche seiner Tochter Maximiliane von seiner Suche nach einer geeigneten Immobilie sowie Verhandlungen mit dem Bauunternehmer und Zimmermeister Seib. Wegen des von La Roche als unfreundlich-grob empfundenen Charakters von Heinrich Seib sowie unterschiedlicher Preisvorstellungen wurden nicht komplikationsfreie Verhandlungen begonnen, die im September 1786 zu einem Kaufentschluß und nachfolgendem Einzug des Herrn von La Roche in ein derzeit nicht sicher zu identifizierendes Wohnhaus führten. Ein nachfolgender Brief läßt allerdings die Vermutung zu, daß Seib sich weiterhin als Eigentümer sah beziehungsweise auf eine kurzfristige Bezahlung des Kaufpreises drang. Die Möglichkeit, daß dieses Geschäft sich zerschlug und La Roche mit der Unterstützung Brentanos eine andere Immobilie erwarb, ist nicht auszuschließen. Ein weiterer Hinweis auf einen Wechsel könnte sein, daß in diesen Briefen zwar Herrn La Roches Freundschaft mit der ihm in seinen ersten Wochen in Offenbach Logis gebenden Familie André zur Sprache kommt, aber im September nichts betreffend einer künftigen Nachbarschaft mit den Andrés geschrieben wurde [vgl. Georg Michael Frank von La Roche, Briefe an Maximiliane Brentano, Offenbach am Main, 10. Juli [1786], 23. Juli [1786], 27. September [1786]. (Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum)]. Sophie von La Roche selbst kam, wie Frau Bernard in ihrem Tagebuch vermerkte, erst im Dezember in Offenbach an [vgl. Wingenfeld 1975].
(3) Im 1808 für eine Steuerumlage angefertigten Offenbacher Häuserverzeichnis mit vier Wertkategorien ist das Wohnhaus in die zweitbeste Kategorie eingestuft, es hatte nun die Nummer Lit. Q 11 [vgl. Offenbacher Häuserverzeichnis, 1808. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)]. Ein Vergleich zeigt, daß andere höhere Beamte und wohlhabende Personen ähnlich dimensionierte Wohnhäuser besaßen. Laut Anzeige in der ›Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung‹ gab es in diesem Haus elf Zimmer sowie eine Küche, Keller, Holzplatz und Garten [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 12. August 1808. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)].
(4) Ein hoher Keller war nötig, um den Wohnbereich vor den immer wiederkehrenden Mainhochwässern zu schützen; so wurde 1798 der Garten der La Roches überschwemmt, ihre Wohnräume blieben anscheinend verschont.
(5) Nach der Anzeige in der ›Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung‹, den letzten Versteigerungstermin des Nachlasses ankündigend, umfaßte die Büchersammlung des Ehepaars von La Roche zu diesem Zeitpunkt noch etwa 1400 Bände [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 8. Oktober 1808. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)].
(6) Später, in Bettines Jugendjahren, stand der Schreibtisch dann an einer Stelle, von der aus Frau von La Roche mittels eines Spiegels auf die Straße hinaussehen und die Ankommenden beobachten konnte.
(7) Wegen der Unklarheit über den Verbleib des ältesten Sohnes Fritz dauerte die Erbschaftsregelung länger als ein Jahr, wie Anzeigen belegen [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 30. Juni 1807. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)]. Da sich die Tochter Louise andernorts verehelichte, legte sie keinen Wert mehr auf das Offenbacher Haus. In der Zeitung wurde die Versteigerung der zur Verlassenschaft gehörenden Ölgemälde und Kupferstiche annonciert [vgl. Privilegirtes Offenbacher Frag- und Anzeige-Blatt, Offenbach am Main, 29. April 1808. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)] sowie am 30. September 1808 der Verkauf des Wohnhauses mitsamt Zubehör [vgl. Privilegirtes Offenbacher Frag- und Anzeige-Blatt, Offenbach am Main, 30. September 1808. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)]. Mehrfach wurde diese Versteigerung neu anberaumt, was einen Mangel an Interessenten oder anfänglich zu geringe Gebote vermuten läßt [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 12. August, 13. September, 3. Oktober 1808. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)].
(8) Vgl. Privilegirtes Offenbacher Frag- und Anzeige-Blatt, Offenbach am Main, 22. Juni 1832. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)
(9) Seit dem Jahr 1842 waren Offenbacher Bürger aktiv, einen Bahnanschluß zu bekommen. Als Standort des Bahnhofs sah man den früheren Garten der Familie von Amerongen an der Kanalstraße gegenüber der Einmündung der Domstraße vor. 1845 begannen die Bauarbeiten, 1848 wurde der Bahnbetrieb aufgenommen.
(10) Die »Grillenhütte« der Frau v. La Roche in Offenbach, Verfasser war vermutlich Emil Pirazzi, in: Offenbacher Intelligenzblatt, Offenbach am Main, 26. [23 ! ] August 1862. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)
(11) Vgl. Völker 1929, S. 15.
(12) So wurden durch Führungen 1931 erstmals der private sogenannte »Lili-Park« und der Metzlersche Badetempel für eine interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Auch die beiden oft abgebildeten Lithographien des Wohnhauses der Sophie von La Roche, die eine Ansicht der Nordfassade und des Gartens im ursprünglichen Zustand um 1800 wiedergeben, entstanden wohl in diesem Zusammenhang.
(13) Vgl. Offenbacher Zeitung, Offenbach am Main, 5. Dezember 1931. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)
(14) Frau Pietz und Herrn Buschhaus ist für ihre Mitteilungen über den Zustand des Hauses in den Nachkriegsjahren zu danken.
(15) La Roche 1791, S. 331.
Quelle: Der Aufsatz von Christina Uslular-Thiele ist erschienen in: Dr. Jürgen Eichenauer (Hrsg.): "Meine Freiheit, nach meinem Charakter zu leben". Sophie von La Roche (1730 - 1807) - Schriftstellerin der Empfindsamkeit. Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2007 Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages und der Autorin