Ausstellung „Unsichtbar / Generationen“ beleuchtet Rassismus
11.04.2025
Knapp 30 Prozent der Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, sie sind entweder selbst zugewandert oder mindestens ein Elternteil hat eine Zuwanderungsgeschichte. Etwa die Hälfte aller Menschen mit Migrationshintergrund besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. In Offenbach ist der Anteil um ein vielfaches höher, rund 66 Prozent der Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte, hier leben Menschen aus 159 Nationen in der Regel friedlich zusammen. Die Stadt besitzt eine lange Zuwanderungstradition, so kamen um 1700 mit den Hugenotten die ersten Flüchtlinge nach Offenbach und trugen mit ihren handwerklichen und gewerblichen Fähigkeiten zum wirtschaftlichen Aufschwung des Ortes bei. In den 1970er wanderten Migranten als Gastarbeiter ein, von denen viele zu „Offenbachern mit Migrationshintergrund“ wurden. 2016 erfuhr Offenbach viel Aufmerksamkeit als sie im deutschen Beitrag zur internationalen Architektur-Biennale in Venedig als beispielhafte „Ankunftsstadt“ („arrival city“) in Deutschland gewürdigt wurde. Die Integration von Zuwanderern wird hier gerne als Erfolgsgeschichte erzählt, darüber, dass diese Vielfalt, die gemeinhin als Bereicherung wahrgenommen wird, auch Herausforderungen birgt, zu Konflikten führen kann und in rassistischen Erfahrungen manifestiert, erzählt die aktuelle Ausstellung „Unsichtbar/Generationen“ im Haus der Stadtgeschichte.
Welche Erfahrungen machen die Menschen in Offenbach, die von Rassismus betroffen sind? Was ist Rassismus und welche Formen von ihm gibt es? Zur Beantwortung dieser Fragen hatte Kuratorin Amina Mohammed auf Partizipation gesetzt und von September bis Dezember zu einer Workshopreihe in das Stadtteilbüro Mathildenplatz eingeladen. An insgesamt neun Terminen sollten Menschen zu Wort kommen und sich vorbereitend auf die Ausstellung ausgetauscht werden. Mohammed wollte mit ihnen gemeinsam die Ausstellung konzipieren und sie direkt in deren Gestaltung einbeziehen. „Leider kam keiner“, berichtet die Kuratorin, die nach einem Masterstudiengang Museumsmanagement und Kommunikation vor zwei Jahren als Volontärin nach Offenbach kam. „Ich musste erst die Strukturen der Stadt verstehen und die unterschiedliche Player kennen lernen.“ So bekam sie Kontakt zu den Integrationslotsen und lernte das Kinder- und Jugendparlament, mit dem sie zuvor schon für die Ausstellung „Demokratie-Geschichten“ zusammengearbeitet hatte, besser kennen. In einem zweitägigen Workshop, den sie zusammen mit der frei-religiösen Gemeinde und dem Bündnis „Bunt statt Braun“ durchführte, entstanden Plakate zu Demokratie und Menschenrechten, die jetzt im Obergeschoss im Haus der Stadtgeschichte zu sehen sind. Dort treffen Besuchende beispielsweise auch auf einen Kolonialwarenladen aus den 1930er Jahren in der Größe einer Puppenkiste. Kolonialläden boten hauptsächlich Produkte aus den europäischen Kolonien wie Gewürze, Reis, Tabak oder Kakao an. Hier liegt auch der Ursprung des Rassismus, der auf die Kolonialisierung Afrikas und Amerikas und die vermeintliche Überlegenheit der weißen Europäer zurückgeht. Über diese Zusammenhänge informieren Texttafeln mit den Definitionen von Rassismus und Kolonialismus, Exponate aus der Sammlung des Hauses ergänzen die Darstellung. Den Bogen in die aktuelle Zeit schlägt die Kuratorin unter anderem mit dem Teddybär der Schriftstellerin Tamara Labas, der eng mit ihrer Kindheit und persönlichen Migrationsgeschichte verknüpft ist, in der sie ständig zwischen Heimat und neuer Umgebung hin- und hergerissen war. An Offenbach als einen Ort der Vielfalt und Freiheit erinnert sich Dilan. Sie ist gemeinsam mit ihrer Freundin Ayesha mit dem Podcast (un)deutsch erfolgreich, in dem beide Frauen über Identitäten, Spannungen zwischen deutsch sein und ihren Wurzeln, aber auch Feminismus und Rassismus sprechen. „Auf diese Weise kommen doch noch Menschen mit Migrationshintergrund in der Ausstellung zu Wort“, meint Mohammed.
Im Erdgeschoss hat Mohammed die Ausstellung mit Kunst ergänzt. Dort erinnert die schwebende Installation „Paper Hummingbirds“ von Raiya Karumanchi-Dörsam an die Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Mannheim, 2021 bis heute und setzt sich Sara Nabil, die selbst aus Afghanistan geflohen ist, mit ihrer Arbeit „Lost Identities of the Century“ mit Identität, Migration und Flucht auseinander. Maryam Abthai beschäftigt sich ebenfalls mit Flucht, macht dies allerdings aus der Perspektive von Kindern, während Verdiana Albano in ihrer Arbeit aus der eigenen Kindheit schöpft – ihr Vater kam als Vertragsarbeiter aus Angola in die DDR. „Mir war und ist es wichtig, das Thema Rassismus auf verschiedenen Ebenen zu behandeln“, erklärt Mohammed. „Objekte, Interviewspuren, Installationen und Kunst erzählen das Sujet nochmal anders und bilden mit dem Obergeschoss eine Einheit.“ Darüber, dass sie nicht die gesamte Geschichte des Rassismus und viele unterschiedliche Erfahrungen abbilden kann, ist sie sich im Klaren. So bleiben sehenswerte Leerstellen und wichtige Fragen.
„Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“
„Wir werden höflich und freundlich miteinander umgehen und weder das Z-Wort noch das N-Wort verwenden“: Einer, der schon als Kind Rassismus und Gewalt erlebte, ist Gianni Jovanovic. Der heute 46jährige hat gemeinsam mit Journalistin Oyindamola Alashe ein Buch geschrieben, „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“ erzählt die Geschichte seiner Kindheit, von der Heirat mit 14 Jahren und auch seinem Coming Out mit 21. Gemeinsam mit Alashe ist er am Donnerstag, 20. März, ins Haus der Stadtgeschichte gekommen, musikalisch begleitet werden beide von Celina Bostic, die in ihren Liedern von Unsicherheit („Ich weiß nicht, ob´s woanders besser ist“) und „Resilienz“ erzählt. Von den vielen kleinen Wunden und Verletzungen, die man als Fremder zu ertragen gelernt hat und die sich doch in die Seele geschrieben haben. Heilung ist möglich, ist Jovanovic überzeugt und wirklich, wer den agilen, selbstbewussten Mann erlebt, kann sich nicht vorstellen, dass er auf dem Schulhof verprügelt wurde, weil er Roma war.
In den 1970ern waren seine Eltern in einem weißen Mercedes aus Serbien nach Deutschland gekommen, weil sie, die dort mit Rassismus, Diskrimierung und Ausgrenzung konfrontiert waren, sich nun ausgerechnet Schutz in dem Land erhofften, das wenige Jahre zuvor mindestens 500.000 Roma und Sinti verfolgt und getötet hatte.
Dass diese Hoffnung trügt, lernt die Familie schnell: Nirgends willkommen, ständig als Kriminelle stigmatisiert, kommt die Familie nach einem Brandanschlag schließlich in einer Baracke in Darmstadt an der B 448 unter. Es ist dreckig und eng, 26 Menschen teilen sich das karge Haus und eine Toilette, die Kinder spielen mit einem abgestellten Einkaufswagen. Der Junge besucht eine Sonderschule, seinerzeit keine Ausnahme, weil niemand sich die Mühe macht, Ausländern etwas beizubringen. Schnell haben ihn die Mitschüler als Opfer ausgemacht, „ich konnte nicht fliegen“, berichtet er und wird verprügelt. Nur eine Lehrerin erkennt das Potenzial des Jungen und fördert sein Selbstvertrauen. „Sie ist die Gamechangerin, die es brauchte“, berichtet er, und macht „aus dem Bettler einen Banker“, der zwar kein Banker, aber inzwischen als Aktivist und Autor erfolgreich ist.
Ende gut, alles gut? Ist es besser geworden in Deutschland, wie rassistisch ist das Land oder hat sich die Haltung verändert? Ist Rassismus vielleicht einfach nur subtiler geworden? Rund 41 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, das sind nach Definition des Statistischen Bundesamtes alle, die bei der Geburt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hatten sowie jene mit mindestens einem migrantischen Elternteil, haben laut einer unlängst veröffentlichten Studie in den letzten zwölf Monaten Rassismus erlebt. Je nach Offensichtlichkeit, werden sie unfreundlich behandelt, angestarrt oder ignoriert. Von diesem blinden Fleck wollte Mohammed erzählen und den Erlebnissen und Geschichten einen Raum geben. Dafür, dass diese Stimmen nicht zu sehen sind und die Geschichten nicht erzählt wurden, weil sie, so vermutet Mohammed, zu wenig Repräsentanz im Museum finden, ist die Ausstellung ein erster Impuls.
Die Ausstellung „Un/sichtbar-GENERATIONEN“ ist noch bis 22. Juni im Haus der Stadtgeschichte zu sehen. Die Ausstellung wurde maßgeblich von der Kulturstiftung der Städtischen Sparkasse Offenbach am Main gefördert.
Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm mit Ferienspielen, Stadtspaziergang und Vorträgen. So spricht die Antidiskriminierungsbeauftragte der Stadt Offenbach Adiam Zerisenai am 15. Mai über Anti-Schwarzen Rassismus als strukturelles Problem und liest Tamara Labas mit musikalischer Begleitung durch Gaetano Biccari am 25. Mai zu Erinnerungen und Gegenwart.