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Stadt Offenbach

Offenbach im Kaiserreich

Die 45 Jahre zwischen 1870 und 1914 sind Jahre stürmischer Entwicklung der Offenbacher Industrien und eines beispiellosen Stadtwachstums. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs geht es Offenbach und Offenbachern so gut wie nie ...

Eisenbahn mit Schriftzug

Die 45 Jahre zwischen 1870 und 1914 sind Jahre stürmischer Entwicklung der Offenbacher Industrien und eines beispiellosen Stadtwachstums.

Schon 1866 hatte ein Wirtschaftsboom eingesetzt, der in den »Gründerjahren« weitergeht. Nach den Jahrzehnten des Arbeitskräfte-Überangebots werden nun die qualifizierten Arbeitskräfte knapp. Die gut organisierten Lederarbeiter wagen 1871 den ersten Streik in Offenbachs Sozialgeschichte. Der erbittert geführte »Portefeller-Streik« endet mit Lohnerhöhungen; strukturelle Forderungen bleiben aber unerfüllt. Der Boom endet 1873 in einem Crash, der schließlich auch Offenbach in Mitleidenschaft zieht: 1878 lernt man erstmals moderne Arbeitslosigkeit in großem Umfang kennen. Eine Arbeitslosenversicherung existiert nirgendwo. Und nun zeigt sich Offenbacher Solidarität: im »Hülfsverein« schließen sich über Nacht über 700 Bürger zusammen und organisieren Spenden, Suppenküchen und Kleiderbörsen. Nach zehn durchwachsenen Jahren setzt ab 1890 dann ein ununterbrochenes Wirtschaftswunder ein, das erst mit dem Kriegsbeginn 1914 jäh endet.

Die Offenbacher Lederindustrie ist in diesen Jahren technologisch innovativ, führt unbestritten im Reich und ist weltweit zum Begriff geworden. Im starken Maschinenbau wird 1905 die Offset-Druckmaschine erfunden. Das Druck- und Grafikgewerbe profitiert von den Technischen Lehranstalten, dem Vorläufer der Hochschule für Gestaltung.

Die Zahl der Arbeitsplätze nimmt immer mehr zu. 38.000 Erwerbstätige zählt das Gewerbeaufsichtsamt im Jahr 1913. Abgesehen von kurzen Konjunkturdellen ist die Arbeitslosigkeit gering. Zwischen 400 und 800 Arbeitslose mit einer mittleren Dauer von 13 Wochen werden durch eine Erhebung ermittelt, die seit 1909 regelmäßig im Februar durchgeführt wird. Offenbach hat seit 1913 ein eigenes städtisches Arbeitsamt und ist damit unter den Vorreitern im Reich.

Offenbachs Bevölkerung wächst im Kaiserreich von 20.000 auf 80.000 Einwohner im Jahr 1914. Überhaupt hat das Reich die höchste Bevölkerungsdynamik Europas. Der Stadtraum dehnt sich schnell aus, das Nordend entsteht, die Bebauung erreicht die Bahnlinie und geht dann über sie hinaus. Bürgel wird 1906 eingemeindet. Die Stadt ist eine große Baustelle.

Jedes Jahr ziehen über 10.000 Menschen zu und wieder fort. In der Stadt wird permanent umgezogen. Offenbach ist ein Bienenhaus. Das Bevölkerungsplus aus Wanderungsgewinn und Geburtenüberschuss beträgt 2.000 Personen pro Jahr.

Bei Steuerpflichtigen mit einem Jahreseinkommen von 10.000 Mk und mehr leben 15% der Bevölkerung Offenbachs. Etwa 1.600 Dienstboten werden in gutgestellten Haushalten beschäftigt. Die Einkommensteuer liegt unter 10% des Einkommens. Weitere 15% der Bevölkerung - kleine Selbständige, Beamte, Angestellte und ihre Familien – verfügen über 3.000 Mk und mehr im Jahr. Das ist »gutbürgerlich«.  Ein Industrie-Facharbeiter verdient 1.500 Mark jährlich, Ungelernte und einige Handwerksberufe haben 1.000 Mk. Für Miete sind 20-25% des Einkommens aufzubringen. Wenig bleibt für Anschaffungen und Ersparnisse, aber tausend Arbeiter haben Sparkonten bei der Stadtsparkasse. Die Sozialabgaben vom Lohn betragen 4% - die Rente ist ganz schmal und beginnt erst im 70. Lebensjahr. Gleichwohl: nirgendwo sonst in Europa gibt es eine Rente.

Im Juli 1914 erleben die Einwohner Offenbachs einen traumhaft schönen Sommermonat.

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