Auf einen Kaffee mit ...
Thomas Iser
Die vhs ist ein offenes Haus, bunt und vielfältig. In unserem Format „Auf einen Kaffee mit ...“ plaudert vhs-Leiter Dirk Wolk-Pöhlmann in der Cafeteria mit Menschen, die er im vhs-Haus trifft, und fragt sie nach ihren Geschichten und Ansichten rund um Wissen, Lernen und Neues-Entdecken. Diesmal hat er einen Gast, der Experte für Arbeit ist: Thomas Iser, Leiter der Offenbacher Agentur für Arbeit.
Dirk: Ärgern dich Schlagzeilen wie „Offenbach wieder Schlusslicht bei der Arbeitslosenquote“?
Thomas Iser: Sie ärgern mich, weil ich mich seit 14 Jahren als Agenturleiter verbunden fühle mit der Stadt Offenbach, in der ich wohne und lebe. Und weil die hohen Arbeitslosenzahlen ja auch die Betroffenheit vieler Menschen spiegeln. Vor allem werden in Offenbach sehr viele arbeitslose Menschen nicht von der Agentur für Arbeit, sondern vom Jobcenter betreut, viele davon sind Langzeitarbeitslose. Wenn man die Zahlen der letzten 10 Jahre anschaut, stellt man aber fest, dass wir bis vor Corona eine absolut positive Entwicklung hatten, die Zahlen gingen deutlich runter. Bis 2019 waren wir bei ca. 6.000 Arbeitslosen in der Stadt Offenbach angekommen. Und dann sind sie durch Corona wieder massiv angestiegen. Da kommt auch der Sondereffekt dazu, dass ungefähr 300 Menschen aus der Ukraine hier in der Stadt arbeitssuchend sind. In den letzten Jahren erleben wir aber auch einen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, also muss man davon ausgehen, dass diese Stellen mit externen Fachkräften besetzt wurden. Obwohl es also einen Anstieg der Beschäftigungen gab, hat ein großer Anteil von Arbeitslosen nicht wieder in den Arbeitsmarkt zurückgefunden.
Thomas IserViele wissen es nicht, aber die Agentur für Arbeit ist eigentlich eine Art Versicherung. Arbeitssuchende sind keine Bittsteller oder Leistungsempfänger, sie sind sozusagen unsere Versicherungskunden: Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gezahlt und wenn der Fall eintritt, dass jemand arbeitssuchend wird, wird er von der Agentur bis zu 12 Monate lang finanziell unterstützt, bis er wieder in Arbeit ist. Das Jobcenter dagegen, das in Offenbach ,Mainarbeit‘ heißt und im Landkreis ,Proarbeit‘, wird aus Steuergeldern finanziert und unterstützt diejenigen, die noch nicht lange genug in Arbeit waren oder langzeitarbeitslos sind.
Dirk: Kann Weiterbildung das verbessern?
Thomas Iser: Ja, bei arbeitssuchenden Menschen führen wir ja immer ein Screening durch: Was bringen sie mit, wie könnten sie so qualifiziert werden, dass sie wieder Arbeit finden? Aber in der letzten Zeit hat das Thema noch an Bedeutung gewonnen.
Dirk: Hat das mit dem Fachkräftemangel zu tun? Oder eher mit Digitalisierung, künstlicher Intelligenz, Future Skills, Dekarbonisierung, Anpassung an die Arbeitswelt von morgen?
Thomas Iser: Beides. Bisher war vor allem Fachkräftemangel das zentrale Thema. Dabei geht’s nicht nur um Fachkräfte aus dem Ausland, wir können auch auf Ausbildung einwirken, also zum Beispiel junge Menschen beraten, einen bestimmten Abschluss zu machen. Um Jugendliche in Ausbildung zu bringen, arbeiten wir ja auch seit Jahren eng mit der vhs zusammen, zum Beispiel mit dem Start Projekt. In Offenbach gibt’s halt viele Jugendliche, die eine intensivere Unterstützung brauchen, für die ist das Start Projekt ideal. Ein Thema liegt mir in dem Bereich, Jugendliche in Arbeit zu bringen, seit Jahren besonders am Herzen: die duale Ausbildung. Viele Jugendliche und deren Eltern kennen die Chancen und Möglichkeiten der dualen Ausbildung nicht. Gerade junge Menschen aus migrantisch geprägten Familien streben oft ein Studium an, auch wenn die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Da die Eltern in den meisten Fällen die Ratgeber ihrer Kinder sind, wäre es besonders wichtig, dass wir auch die Eltern mit unseren Beratungsangeboten zur dualen Ausbildung erreichen. Das ist uns in der Vergangenheit leider noch nicht ausreichend gelungen. Zum anderen können wir aber auch bei den Unternehmen ansetzen, die wir dabei unterstützen können, wenn sie für eine Stelle, die sie nicht besetzen, einen Menschen entsprechend weiterqualifizieren, der vielleicht schon seit Jahren im Unternehmen ist. Zum Beispiel in der Pflege, wenn man Pflegehilfskräfte hat, die man zu Pflegefachkräften ausbilden kann. Und gleichzeitig kann eine neue Hilfskraft nachrücken. Das ist die eine Säule. Als zweite Säule ist die freiwillige Berufsberatung im Erwerbsleben hinzugekommen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Beschäftigung sind, können sich beraten lassen, wie sie ihre berufliche Situation ändern und verbessern können. Zum Beispiel auch, wenn sie denken, dass ihre Arbeit durch Digitalisierung, Automatisierung etc. gefährdet ist.
Dirk: Genau, und das wird zunehmen, weil der Arbeitsmarkt sich wandelt.
Thomas Iser: Ja, die Menschen, die zu uns kommen, wissen meistens am besten, was sich bei ihnen im Unternehmen gerade bewegt. Da überlegen wir dann im Beratungsgespräch gemeinsam, wohin sich der Beruf entwickelt und welche Qualifikationen hilfreich sein können. Man kann dafür z. B. auch in den „Futuromat“ reinschauen.
Der Futuromat
Der Job-Futuromat unterstützt Schülerinnen und Schüler, Beschäftigte und Arbeitsuchende, die wissen möchten, wie stark der Beruf, den sie ausüben oder ausüben möchten, von Automatisierung betroffen ist. So können sie sich rechtzeitig darauf vorbereiten, zum Beispiel durch Weiterbildung.
Wenn der Futuromat sagt, 60 % der Tätigkeiten können ersetzt werden, heißt das aber nicht, dass 60 % der Arbeitsplätze wegfallen. Nehmen wir mal das Beispiel eines Kellners: Der muss nicht mehr zusammenrechnen, was die einzelnen Speisen kosten, sondern gibt sie direkt in ein elektronisches Tool ein. Und es gibt schon Roboter, die die Speisen bis zum Tisch fahren. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass der Kellner nicht mehr gebraucht wird, sondern dass er unterstützt wird und mehr Zeit für den eigentlichen Service hat. Die Gastronomie hat ja auch große Probleme, überhaupt Personal zu finden, es werden auch Arbeitskräfte ersetzt, die man gar nicht mehr findet. Das muss uns also keine Angst machen. Aber es verändert die Arbeitsfelder und nötigen Qualifikationen.
Dirk: Welche Zukunftskompetenzen brauchen wir, damit uns diese Entwicklungen keine Angst machen?
Thomas Iser: Berufe und industrielle Prozesse haben sich schon immer verändert und die Geschichte zeigt, dass man immer mehr Arbeitskräfte gebraucht hat statt weniger. Das zeichnet sich auch in den letzten Jahren ab: Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse hat sich erhöht, obwohl sie schon jetzt von Digitalisierung, Automatisierung und KI geprägt sind. Es wird neue Berufe und Handlungsfelder geben und man muss offen dafür sein. Damit sind wir wieder bei der Weiterbildung: Es ist wichtig, bereit zu sein, neue Dinge zu lernen. Ich glaube, dass gerade die jungen Menschen das können.
Dirk: War der jugendliche Thomas eigentlich auch mal arbeitssuchend?
Thomas Iser: Ich war zwar kein Jugendlicher mehr, aber nach meinem Jura-Studium bin ich zum Arbeitsamt gegangen. Da hat mich meine Arbeitsberaterin gefragt, ob ich mir auch vorstellen könnte, beim Arbeitsamt zu arbeiten. So bin ich letztlich zu meinem jetzigen Job gekommen. Vor ungefähr 20 Jahren ist aus dem Arbeitsamt dann die Agentur für Arbeit geworden. Und wir sind ein moderner Arbeitgeber mit guten Sozialleistungen, bei dem man sich toll weiterentwickeln kann.
Dirk: Zum Abschluss noch eine Frage, die ich allen meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern stelle. Vervollständige den Satz: Der Mittelpunkt der Welt ist für mich …
Thomas Iser: Offenbach.
Dirk: Eine tolle Antwort für den Offenbacher Arbeitsagenturleiter! Und noch eine Vervollständigung: Was ich in diesem Leben unbedingt noch lernen möchte …
Thomas Iser: Ich habe mir drei Dinge vorgenommen für den Ruhestand: Ich möchte mein Englisch verbessern, da meine Tochter in Schottland lebt. Ich möchte gärtnern lernen, um mich besser um meinen Garten kümmern zu können, denn ich habe keinen grünen Daumen – aber das will ich ändern. Und ich möchte richtig gut kochen lernen. Mein Vater war Koch und hat am Wochenende immer für die ganze Familie gekocht, aber er hatte leider nie die Zeit, es uns Kindern beizubringen.
Dirk: Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für uns genommen hast.
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