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Stadt Offenbach

Vhs-Leiterin Dr. Gabriele Botte im Interview

03.12.2008 – 03. Dezember 2008: Keine andere Bildungseinrichtung kommt dem Ideal des lebenslangen Lernens so nah wie die Volkshochschulen (Vhs). Bis zu 17.000 Menschen besuchen jährlich die Veranstaltungen der Vhs Offenbach – darunter Senioren, die sich im Ruhestand neue Wissengebiete erschließen, Frauen, die selbstbestimmt eigenen Interessen nachgehen möchten, Migranten, die die deutsche Sprache erlernen oder Erwerbstätige, die sich für höhere Aufgaben qualifizieren wollen – und zunehmend auch Kinder, die die Junge Vhs für sich entdecken. Rund 800 Veranstaltungen bietet die Vhs Offenbach pro Semester an. Im Interview mit Online-Redakteurin Simone Kaucher-Quade spricht Vhs-Leiterin Dr. Gabriele Botte über Trends in der Erwachsenenbildung.

Online-Redaktion: Provokant gefragt: Was hat Ikebana mit Bildung zu tun?

Dr. Gabriele Botte: "Das Klischee, dass Volkshochschulen vor allem kreatives Gestalten anbieten, gibt es leider immer noch. Dabei macht der Bereich Kultur & Kreativität in der Vhs Offenbach nur sieben Prozent des Kursprogramms aus. Und es sind auch bloß sechs Prozent aller Teilnehmer, die diese Kurse besuchen. Gleichzeitig finde ich allerdings, dass Ikebana eine Menge mit Bildung zu tun hat, denn es bedeutet die Beschäftigung mit japanischer Kultur und deren Sinn für ästhetische Arrangements. Und Ikebana bietet eine Möglichkeit der eigenen Kreativität Ausdruck zu verleihen. Kulturelle Bildung tut jedem gut."

Online-Redaktion: Kreativkurse könnten auch ein Angebot für Menschen mit Sprachbarrieren sein, weil sie die Möglichkeit bieten, sich während der gemeinsamen Tätigkeit umgangssprachlich mit anderen auszutauschen. Werden solche Kurse von Migrantinnen und Migranten wahrgenommen?

"Es wäre schön, wenn´s so wäre. Aber Menschen mit Sprachbarrieren besuchen in der Regel keine Kreativkurse. In Kreativ-Kursen findet man, durchaus dem Klischee entsprechend, eher deutsche Frauen mit gehobenem Bildungsstand. Ich denke, das Interesse für Kultur und Kreativität wächst erst mit dem Bildungshintergrund. Und die Vhs wird von bildungsfernen Schichten eher dann aufgesucht, wenn es um das Erwerben von Kenntnissen geht, die unmittelbar zur Alltagsbewältigung notwendig sind, z.B. Sprachkenntnisse oder Schulabschlüsse. Sich aus eigenem Antrieb und ohne Verwertungsgedanken um kulturelle Bildung und Allgemeinbildung zu kümmern, das kommt erst später. Aber in der Vhs sind zumindest solche Übergänge ohne große Anstrengung möglich."

Online-Redaktion: Die Vhs-Statistik zeigt seit Jahren, dass der Frauenanteil unter den Kursteilnehmern bei rund 70 Prozent liegt. Gilt das für alle Kurse oder für welche besonders?

"Die Vhs ist eine Einrichtung, die vor allem von Frauen in Anspruch genommen wird. Das zieht sich durch alle Bereiche, mal mehr, mal weniger deutlich. Und das ist nicht nur in Offenbach so. Lediglich beim Nachholen von Schulabschlüssen ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Das liegt daran, dass es häufig Männer sind, die die Schule ohne Abschluss verlassen und die dann von der MainArbeit in unsere Kurse vermittelt werden. Auch Veranstaltungen zu Gesundheitsthemen werden fast ausschließlich von Frauen besucht. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Männer tun sich schwer mit dem Thema Gesundheit."

Online-Redaktion: Unternimmt die Vhs besondere Anstrengungen, um Männer als Zielgruppe stärker anzusprechen?

"Wir machen durchaus gezielte Angebote für Männer, aber nur vereinzelt. Es gibt kein strategisches Konzept für Männerbildung. Denn das würde neben einem speziellen Kursangebot auch verstärkte Werbung bedeuten. Das heißt: Personeller und finanzieller Aufwand, mit dem Risiko, dass zunächst viele der Kurse mangels Teilnahme ausfallen müssten. Wir müssten unter Umständen eine mehrjährige Durststrecke durchstehen bis das Angebot wirklich angenommen würde. Und bis dahin müsste die Stadt auch bereit sein, das finanzielle Defizit zu akzeptieren. Denn die Vhs arbeitet Einnahme-orientiert. Ab dem elften Teilnehmer erwirtschaftet ein Kurs über seine unmittelbaren Kosten hinaus Einnahmen zur Deckung der Betriebskosten. Wenn mir allerdings die Stadt den Auftrag zur verstärkten Männerbildung erteilt, nehme ich das sofort in Angriff. Man kann sich allerdings auch auf den Standpunkt stellen, dass eine hohe Frauenbeteiligung ein Erfolg ist, weil sie für bessere Lebenschancen für Frauen sorgt. Ich persönliche neige zu dieser Auffassung."

Online-Redaktion: Gibt es Fälle in jüngerer Zeit, wo das Werben um eine neue Zielgruppe geglückt ist?

"Die Junge Vhs ist so ein Beispiel. Die gibt es seit zehn Jahren. Das Angebot spricht vor allem Acht- bis Zehnjährige an – mit Kursen wie „Raketenwerkstatt“, „Schneller Propeller“ oder „Kosmische Experimente“. Vor allem die Ferienangebote sind sehr beliebt. Auch das Programm für Hochbegabte wird gut angenommen. Aber auch dies wäre ohne gezielte zusätzliche Werbung mit einem speziellen Programmflyer sicher nicht gelungen."

Online-Redaktion: Wie hat sich das Kursprogramm im Laufe der Zeit verändert?

"Volkshochschulen haben schon immer reagiert auf gesellschaftliche Entwicklungen, denn bei uns wird ja mit den Füßen abgestimmt: Wenn’s keinen interessiert, geht auch keiner hin. Als die Vhs Offenbach 1919 gegründet wurde, ging es – ebenso wie beim Vorläufer der Vhs, dem Arbeiterbildungsverein - um Bildung als Voraussetzung für politische Mitsprache und gesellschaftliche Beteiligung. In Arbeiterbildungsvereinen lernten Menschen lesen und schreiben und lasen gemeinsam die Zeitung, die nicht jeder zu Hause hatte. Sie wollten teilhaben am politischen Geschehen und eine Stimme bekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten die amerikanischen Alliierten die Vhs in Offenbach zur demokratischen Erziehung. Und die Menschen konnten in der Vhs Englisch lernen. Die Volkshochschulen waren schon immer eine Keimzelle der demokratischen Bildung und schon immer der Aufklärung verpflichtet. Die Um- und Aufbruchstimmung in den 1960er Jahren, die Bildungsexplosion in den 70ern, die Konzentration auf das individuelle Wohlergehen in den 80er Jahren und der EDV-Boom in den 90ern, all das hat sich im Vhs-Programm widergespiegelt.
Aber die Volkshochschule möchte nicht bloß Spiegel sein. Wir möchten auch Neues anbieten und Bildungsanregungen vermitteln. Deshalb machen wir auch in jedem Programm Angebote zu allen Wissensgebieten – auch wenn der eine oder andere Kurs später mangels Teilnahme nicht zu Stande kommt. Wir möchten zeigen, was es alles gibt, womit man sich beschäftigen könnte."

Online-Redaktion: Gibt es ein Beispiel für einen Trend, den die Vhs gesetzt hat?

"Seniorentanz. Den gab es in den 1980er Jahren in Offenbach ausschließlich bei der Vhs. Inzwischen bieten viele Vereine und Kirchengemeinden Seniorentanz an und oft kostenlos. Die Vhs hat ihr Angebot deshalb inzwischen reduziert."

Online-Redaktion: Wie hat sich die Erwartung der Kursbesucher verändert? Ist der soziale Kontakt noch wichtig oder geht es um das möglichst effiziente Schließen von Bildungslücken?

"Ich denke, dass die Vhs durchaus auch in starkem Maße eine soziale Funktion hat. Manche Kursgruppen bleiben über Jahre bestehen. Wichtig ist aber, dass die Erwartungshaltung der Kursteilnehmer nicht zu weit auseinander geht. Deshalb raten wir dazu, sich vor Kurseintritt beraten zu lassen. Im Beratungsgespräch kann man die Erwartungen erfragen. Denn ein Kurs, in dem die einen zügig lernen, die anderen aber die Geselligkeit pflegen wollen, wird nicht funktionieren."

Online-Redaktion: Apropos Bildungslücken: Gibt es Wissensgebiete, in denen es den Menschen heute schwerer fällt, Lücken einzugestehen, als vor zehn Jahren?

"Ich finde überhaupt nicht, dass man mit dem Besuch eines Volkshochschulkurses ein Defizit offenbart. Im Gegenteil: Man beweist damit ein hohes Maß an Kompetenz - die Kompetenz, zu entscheiden, was man lernen möchte, was einen interessiert, in welche Richtung man sich entwickeln möchte. Das genau bedeutet lebenslanges Lernen."

Online-Redaktion: Gelingt es Ihnen, über die verpflichtenden Integrationskurse hinaus, auch Migrantinnen und Migranten anzusprechen?

"Wir stellen fest, dass immer mehr Migrantinnen und Migranten unsere Sprachkurse besuchen. Das sind meist Menschen mit großem Bildungsinteresse, die wissen, wie wichtig Mehrsprachigkeit ist. Und durch ihre Migrationserfahrung haben sie schon einmal eine fremde Sprache erlernt. Das ist von Vorteil für das Erlernen weiterer Sprachen. Allerdings hat es die Volkshochschule bis heute nicht geschafft, in größerem Umfang bildungsferne, sozial schwache Milieus anzusprechen – auch nicht unter Migrantinnen und Migranten. Um diese Zielgruppe zu gewinnen, müsste man verstärkt aufsuchend arbeiten. Das können wir derzeit nicht leisten. Ich finde das schade, denn gerade in Offenbach wäre das wichtig. Doch dazu bedarf es einer politischen Entscheidung und wir brauchen die nötigen Ressourcen. Denn eine reine Konzentration der vorhandenen Ressourcen, damit ist vor allem Personal gemeint, würde wahrscheinlich zu einer Vernachlässigung anderer Gruppen führen. Es kommt auf einen vernünftigen Mix in der Besucherstruktur an, darauf müssen wir achten."

Online-Redaktion: Steuerrecht, Altersvorsorge, Gesundheit: Die Volkshochschule greift häufig sehr aktuelle Fragestellungen auf, bietet allgemeine Lebensberatung. Sind diese Kurse erfolgreich?

"Meist ja, wenngleich wir bis heute nie im Voraus wissen, welcher Kurs läuft und welcher nicht. Es gibt offenbar einen Bedarf, alltägliche Fragestellungen systematisch aufzubereiten, weil das die Medien nicht ausreichend leisten."

Online-Redaktion: Computertechnik war vor 20 Jahren kein alltagsrelevantes Wissensgebiet, Internet war es vor zehn Jahren noch nicht. Heute zählt beides zum Allgemeinwissen. Sind die Menschen heute durchschnittlich gebildeter als früher?

"Vor allem jüngere Menschen wissen heute mehr als früher. Doch während neue Wissensgebiete erschlossen werden, gehen andere möglicherweise verloren. So ist das Naturverständnis heute sicherlich weniger ausgebildet als früher – gerade bei Großstädtern.
Völlig verändert hat sich übrigens die Zeitorganisation und auch das spiegelt sich in unserem Kurs-Programm wider. 1992 fanden noch 70 bis 80 Prozent unserer Kurse abends statt. Heute sind es noch 34 Prozent. Wir haben Kurse zu verschiedenen Tageszeiten. Und vor allem Wochenend-Seminare sind beliebt, weil es den Leuten eher gelingt, sich ein Wochenende freizuhalten, als über Wochen immer einen Abend zu reservieren."

Online-Redaktion: Es gibt viele private Fortbildungsanbieter, deren Angebote meist relativ kostspielig sind. Ist das eine Konkurrenz für Volkshochschulen?

"Die Volkshochschule ist eine öffentlich verantwortete Grundbildungsinstitution. Wir sind offen für alle Bevölkerungsgruppen und bemühen uns um gute Qualität zu einem bezahlbaren Preis. Ich empfinde private Fortbildungsanbieter nicht als Konkurrenz. Sie können beispielsweise Einzelunterreicht anbieten. Die Vhs ist auf Lernen in der Gruppe angelegt. Ein höherer Preis bedeutet nicht unbedingt auch eine bessere Qualität. Die Vhs Offenbach bietet keine Luxus-Umgebung, aber wir sind gut ausgestattet. Und wir haben gute Dozenten, die von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr zuvorkommend behandelt werden. Guter Service ist die Basis für eine nachhaltige Zusammenarbeit. Bei uns kann man teilweise Dozenten finden, deren Kurse anderswo viel teurer sind."


Dr. Gabriele Botte leitet seit 1992 die Volkshochschule Offenbach. Die diplomierte Wirtschaftspädagogin und Diplom-Pädagogin hat zum Thema Lehrerfortbildung promoviert.

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