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Stadt Offenbach

Blitzlichter des NS: Standrundfahrt mit der Geschichtswerkstatt / Stolperstein-Verlegung am 21. November

19.11.2024

Max Willner, Christian Pless, Ernst Griesheimer oder Siegfried Guggenheim: Sie alle sind im Stadtbild präsent, weil Straßen oder Plätze an sie erinnern. Doch wer waren diese Menschen? Wer weiß, dass Max Willner Arbeitslager und KZ überlebte und nach dem Krieg zu den zwölf Mitbegründern der jüdischen Gemeinde in Offenbach gehörte, dass Christian Pless von der nationalsozialistischen SA erschossen wurde, weil er sich ebenso wie der Pfarrer Ernst Griesheimer dem Widerstand verschrieben hatte? Rechtsanwalt Dr. Siegfried Guggenheim hingegen wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht, weil er Jude war. Die Liste ließe sich fortführen und erweitern, zum Beispiel um die vierzigjährige Zwangsarbeitern Jolan Freifeld, die sich nach einer mehrtägigen Zugfahrt in überfüllten Viehwaggons erschöpft kurz an den Wegesrand setze und von einem SS-Mann erschossen wurde. Oder Elza Böhm, die in der Lagerküche des KZ-Außenstelle Walldorf arbeiten musste und in einem Keller zu Tode geprügelt wurde, weil sie kranken und schwachen Mithäftlingen heimlich zusätzliches Essen gegeben hatte. Ihre Grabsteine finden sich auf einem Rasenstück auf dem Neuen Friedhof. Am Eingang des Friedhofs weist ein Gedenkstein auf die dort bestatteten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hin. Zwischen 12 und 13 Millionen Menschen wurden aus Polen, Russland, Frankreich, Holland, Italien und anderen Ländern nach Deutschland verschleppt und mussten hier Zwangsarbeit leisten. Schätzungsweise 6.000 arbeiteten in Offenbacher Betrieben wie Fredenhagen, Hassia, Heyne, IG Farben, Kappus, Lavis, Rowenta und anderen. Untergebracht waren sie in fabriknah in 37 eigenen Lagern, die über die ganze Stadt verteilt waren. 
Auch, dass der August-Bebel-Ring einige Jahre lang Adolf-Hitler-Ring hieß oder der Wilhelmsplatz als „Platz der SA“ firmierte, ist kaum noch bekannt. Daran, dass sich im Gebäude des Polizeipräsidiums neben dem Ledermuseum das Gestapo-Hauptquartier befunden hatte, in dem gefoltert und gemordet wurde, erinnert heute ein Schild am Seiteneingang der IHK in der Ludwigstraße. In Vergessenheit geraten ist auch das „Archival-Depot“, das die amerikanischen Besatzer nach dem Krieg auf dem Gelände der damals noch zum IG Farben-Konzern gehörenden Fabrik in der Friedhofstraße eingerichtet haben. Dort wurde über drei Jahre lang die Provenienz der von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunstgegenstände, Bücher und teilweise zusammenhängenden Bibliotheken, insgesamt mehr als 3, 5 Mio. Artefakte, geklärt und in die überfallenen Länder oder an Privatpersonen überführt: 330 777 Bücher erhielt beispielsweise Frankreich zurück, nach Lettland gingen 4193, Griechenland konnte 8511 Bücher zurücknehmen. 
Auch in Deutschland wurde Eigentum restituiert und es konnten einige frühere Besitztümer zurückgegeben werden. Vieles allerdings war für immer verloren, manches tauchte nach Jahren wieder auf und nur aufwändig ließen sich Provenienzen klären. Daran, dass Bücher kritischer und liberaler Autoren wie Bertolt Brecht, Franz Kafka, Erich Kästner, Theodor Lessing, Karl Marx oder Kurt Tucholsky bei der "Aktion wider den undeutschen Geist" zur Musik Richard Wagners am 22. Mai 1933 in Flammen aufgingen, erinnert heute ein Stein aus Metall im Innenhof des Isenburger Schlosses. 

Deportation, Zwangssterilisation und „Euthanasie“

„Es wird Ihnen hiermit eröffnet, dass Sie innerhalb von drei Stunden Ihre Wohnung zu verlassen haben. Zum Zwecke der Abschiebung werden Sie und Ihre Familienangehörigen vorläufig festgenommen und in ein Sammellager gebracht. Die beauftragten Beamten sind angehalten, in Ihrer Wohnung zu verbleiben, bis Sie Ihre Koffer gepackt und Ihre Wohnung ordnungsgemäß hergerichtet haben.“ Solche oder ähnlich lautende Schreiben erhielten viele Bürgerinnen und Bürger ab 1942 von der Geheimen Staatspolizei, in diesem Fall von der Staatspolizeidienststelle Darmstadt, unterzeichnet von Standartenführer Dr. Achemer-Pifrader. Drei Stunden Zeit, um in Anwesenheit der Beamten das Nötigste in einen Koffer zu packen, liebgewonnene Erinnerungsstücke und persönliche Kostbarkeiten in einen anderen. Beide sorgsam zu beschriften und sich selbst ein Schild mit den entsprechenden Daten umzuhängen. Die Wohnung aufzuräumen, für immer zu verlassen und auf eine Reise mit unbekanntem Ziel zu gehen. Ins Konzentrationslager, zu Zwangsarbeit, Hunger, Folter und Gewalt, des Besitzes beraubt und die Identität durch eine eintätowierte Nummer am Unterarm ersetzt. Viele haben schon den Transport nicht überlebt, andere starben nach wochen-, manchmal monatelangen Qualen. Zwischen 450 und 500 jüdische Menschen aus Offenbach wurden Opfer des Holocaust.
1943 galt Offenbach als „judenrein“, die jüdische Gemeinde wurde 1945 von 12 Überlebenden des Holocaust neu gegründet und hat seit 1956 ihren Sitz in der Kaiserstraße. 

An anderer Stelle lässt sich ein weiteres Kapitel des nationalsozialistischen Rassenwahns nachvollziehen: Eine schwarze Stele im Foyer des Dr. Rebentisch-Zentrums erinnert seit 2009 an jene, deren Leben als wertlos oder schädlich galt: „„Hier wurden von 1934 bis 1944 mehr als 120 Menschen unter Zwang und mit Gewalt sterilisiert. Sie wurden an Leib und Seele verstümmelt. Einige starben.“ Sterilisiert und ermordet wurden Wiederholungskriminelle und sogenannte „Asoziale“, Homosexuelle sowie psychisch Kranke und Behinderte. Die Stele weist auch auf auf die Ermordung von mindestens 80 Menschen in Hadamar und anderen Tötungsanstalten hin. Einer von ihnen war Hermann Strott. Der im Juni 1912 geborene Mann begann 1931 ein Philologiestudium und arbeitete nach einem psychischen Zusammenbruch beim Arbeitsdienst in Heppenheim. 1934 ordnete das „Erbgesundheitsgericht“ ohne Begründung seine Zwangssterilisation an, unter der er nach eigenen Angaben sehr gelitten hat. 1943 wurde er in Hadamar eingewiesen, wo er 1945 starb. Ein Stolperstein in der Sprendlinger Landstraße 122 erinnert an das „Euthanasie“-Opfer. 

Stolpersteine in Offenbach

Aktuell weisen 233 zehn mal zehn Zentimeter große Messingplatten auf Gehwegen vor den Häusern, in denen vom NS-Regime verfolgte Menschen lebten, bis sie zur Emigration gezwungen oder deportiert und ermordet wurden, hin. Verfolgt, weil sie Juden, Roma, Sinti, Gewerkschaftler, Kommunisten, Zeugen Jehovas oder körperlich beziehungsweise psychisch eingeschränkt waren.

Um die Verlegung und darum, dass dieser Teil der Stadtgeschichte nicht in Vergessenheit gerät, kümmert sich seit 27 Jahren die Geschichtswerkstatt. Die Ehrenamtlichen um Barbara Leissing recherchieren, forschen und organisieren auf Nachfrage Stadtrundfahrten und Spaziergänge mit Schulklassen. Die offenen Treffen finden immer am 1. Mittwoch im Monat um 19 Uhr im Stadtteilbüro am Mathildenplatz statt. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des Vereins www.geschichtswerkstatt-offenbach.de

Verlegung am 21. November 

Die Verlegung weiterer 13 Stolpersteine am Donnerstag, 21. November, erfolgt auf Anregung von Schülerinnen und Schülern des Leibniz-Gymnasiums Offenbach und des Friedrich-Ebert-Gymnasiums Mühlheim, der Kirchengemeinde St. Paul und Bürgerinnen und Bürgern aus Offenbach. Sie wollen auf diese Weise daran erinnern, dass durch das Regime der Nationalsozialisten das Leben von jüdischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen, kranken Menschen, christlich und politisch Aktiven im Widerstand in Offenbach beeinträchtigt wurde, und für einige bis zu Deportation und Tod führte. Die Verlegung der Stolpersteine durch Gunter Demnig findet von 9 bis circa 12.30 Uhr statt:

Ab 9 Uhr werden in der Austraße 18 zwei Stolpersteine für die politisch Verfolgten Änne Salzmann und Karl Schild verlegt. Gegen 9.30 Uhr folgt die Verlegung der Stolpersteine für Pfarrer Ernst Griesheimer und Kaplan Albert Münch vor der Kirche St. Paul in der Kaiserstraße 60. Um circa 10 Uhr erfolgt in der Kaiserstraße 29 die Stolpersteinverlegung für das jüdische Ehepaar Abraham und Emma Weinberg. Vier weitere Stolpersteine werden gegen 10.30 Uhr in der Geleitsstraße 17 verlegt, sie erinnern an das jüdische Ehepaar Sigmund und Jenny Fried und dessen Söhne Ernst und Erich Fried. Die Stolpersteinverlegung für Eugenie Maria Witzel, die zwangssterilisiert wurde, ist um 11 Uhr in der Wilhelmstraße 26 geplant, um 11.30 Uhr in der Bismarckstraße 175 die Stolpersteinverlegung für den jüdischen Mitbürger Walter Schirokauer. Um 12 Uhr schließlich wird in der Hermannstr. 24 der Stolperstein für den politisch Verfolgten Robert Galm verlegt. Die genannten Uhrzeiten sind nur geschätzt und können sich verschieben.

Die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus findet ebenfalls am 21. November ab 18 Uhr im Haus der Stadtgeschichte, Herrnstraße 61, statt.

Bildinformation (alle Andrea Ehrig):

Barbara Leissing von der Geschichtswerkstatt auf dem Gräberfeld der Zwangsarbeiter auf dem Neuen Friedhof. 

Gabriele Hauschke-Wicklaus von der Geschichtswerkstatt auf dem jüdischen Teil des Alten Friedhofs Offenbach.

„Saytheirnames“: Mercedes Kierpacz wurde am 19. Februar 2020 Opfer eines rassistischen Anschlags in Hanau, ihr Grab befindet sich auf dem Neuen Friedhof Offenbach.

Das Grab von Chaim Heinrich Tyson auf dem Alten Friedhof. Mit seiner Frau, der evangelischen Christin Margarethe, erlebte er in der Pogromnacht 1938 die Inbrandsetzung und Zerstörung der Synagoge. Aus den Trümmern der Inneneinrichtung der Synagoge konnte Tyson noch eine Thorarolle retten, die seine Ehefrau in der Mansardenwohnung in der Kaiserstraße versteckte. 1939 wurde er in Buchenwald interniert und von dort 1942 weiter nach Auschwitz deportiert. Kurz vor der Befreiung des Lagers durch die sowjetische Armee im Januar 1945 wurde er erneut in das KZ Buchenwald zurück gebracht. Nach der Befreiung des Lagers durch das amerikanische Militär kehrte Chaim Heinrich Tyson im April 1945 nach Offenbach zu seiner Ehefrau zurück und war maßgeblich am Aufbau der neuen Jüdischen Gemeinde beteiligt. Am 26. Oktober 1973 starb Chaim H. Tyson nach langer Krankheit.

Barbara Leissing von der Geschichtswerkstatt auf dem Gräberfeld der Zwangsarbeiter auf dem Neuen Friedhof.
Gabriele Hauschke-Wicklaus von der Geschichtswerkstatt auf dem jüdischen Teil des Alten Friedhofs Offenbach.
„Saytheirnames“: Mercedes Kierpacz wurde am 19. Februar 2020 Opfer eines rassistischen Anschlags in Hanau, ihr Grab befindet sich auf dem Neuen Friedhof Offenbach.
Das Grab von Chaim Heinrich Tyson auf dem Alten Friedhof.

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