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Stadt Offenbach

Beton in Bestform: Rathaus wird 50 Jahre alt

07.07.2021 – Es ist Anlaufstelle nicht nur für alltägliche Anliegen – und architektonisch etwas ganz Besonderes. Bei seiner Einweihung am 10. Juli 1971 galt das Offenbacher Rathaus als Symbol für den Wiederaufbau und den Wirtschaftsboom. Nun feiert es in aller Bescheidenheit seinen 50. Geburtstag.

Mit dem Rathaus begann in Offenbach eine neue Ära der kommunalen Selbstverwaltung: „Als erstes Bauwerk in der 1000-jährigen Geschichte unserer Stadt wurde es explizit als Rathaus konzipiert“, betont Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke. Zuvor war die Verwaltung stets in umfunktionierten Gebäuden untergekommen – als letzter zentraler Sitz hatte ihr, bis zu dessen Zerstörung 1943, das Büsing-Palais gedient. „Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Ämter und Behörden auf bis zu 20 Häuser in Offenbach verteilt“, berichtet Schwenke. Mit dem Neubau fanden die Bürgerinnen und Bürger alle Dienstleistungen unter einem Dach vor – und die Stadtverordneten erhielten endlich einen angemessenen Sitzungssaal. „So dient das Rathaus der Bürgerschaft und Verwaltung gleichermaßen“, schrieb der damalige OB Georg Dietrich im Vorwort der Broschüre zur Eröffnung 1971.

Zwei Gebäude in einem

Bemerkenswert ist das Gebäude auch durch seine Architektur, die schon am Eingang ins Auge sticht: Der dreieckige Büroturm erhebt sich auf schlanken Ständern und mit 15 Etagen über dem Flachbau für das Parlament. „Das sind praktisch zwei Gebäude in einem“, erläutert die Kunsthistorikerin Stephanie Heeg-El-Sayed, die regelmäßig Führungen rund um das Offenbacher Rathaus und das Thema des Brutalismus anbietet. Dieser Begriff für den modernen Architekturstil stammt vom französischen „beton brut“, dem sichtbar belassenen, rohen Beton. Unabhängig von seiner subjektiv-ästhetischen Empfindung ermöglichte dies ab den 1950er-Jahren Gebäude auf höchstem Niveau, wie auch das Offenbacher Rathaus bis heute belegt.

Die fortschrittlichen, bundesweit beachteten Pläne stammten von der Architektengemeinschaft Maier, Graf und Speidel aus Stuttgart, die den Wettbewerb der Stadt für sich entschied. Das Interesse an dem Projekt war enorm: 237 Architekturbüros forderten nach der Ausschreibung im Oktober 1961 die Unterlagen an und 84 davon beteiligten sich tatsächlich an dem bundesweiten Wettbewerb. Der Sieger-Entwurf eines „Breitfußes mit daraufgesetztem Hochhausteil (…) bestach insbesondere durch seine gute Eingruppierung in die Umgebung“, heißt es in der Broschüre von 1971. Gewürdigt wurde auch die „verfeinerte Betonarchitektur“. Der erste Spatenstich für das neue Rathaus erfolgte am 13. Juli 1968.

Die Lage mitten im Zentrum war bewusst gewählt: „Der Wahl des Standortes des Rathauses im Herzen der Stadt kommt eine besondere Symbolkraft zu, da hier im Schnittpunkt aller gesellschaftlich wirkenden Kräfte dem Willen zur städtebaulichen Neugestaltung sichtbarer Ausdruck verliehen wird", heißt es in der Urkunde zur Grundsteinlegung im Sommer 1968. Nachdem 13.000 Kubikmeter Beton und mehr als 1.300 Tonnen Stahl verbaut worden waren, zogen im Dezember 1970 die ersten Ämter ein. „Das ging damals pfeilschnell, auch mit Hilfe von Fertigteilen“, weiß Ute Listmann, Fachreferentin beim Amt für Stadtplanung, Verkehrs- und Baumanagement: „Die vereinbarte Bauzeit wurde ebenso eingehalten wie der Kostenrahmen von 22 Millionen Mark.“ Am 10. Juli 1971 feierte die Stadt offiziell die Einweihung des imposanten Gebäudes.

Foyer Rathaus

Symbol für Demokratie und Durchlässigkeit

Die Architektur diente in mehrfacher Hinsicht der Symbolik: „Mit der Suche nach neuen Formen wollten sich die Verantwortlichen damals vom Dritten Reich befreien“, berichtet die Kunsthistorikerin Heeg-El Sayed. Tatsächlich spiegeln sich in der Formgebung des Offenbacher Rathauses die demokratischen Prinzipien: Parlament, Fraktionen und das Büro des Stadtoberhaupts befinden sich in der Basis des Gebäudes und sind von allen Seiten zugänglich. Auf diesen Säulen ruhen die Demokratie – und der dreieckige, 72 Meter hohe Rathausturm. Zudem symbolisiert das Rathaus den Wandel von der Industriestadt zum Dienstleistungsstandort. Häufig besuchte Ämter wie das Standesamt sowie die Sitzungssäle zogen in den leicht erreichbaren Flachbau ein. Das mit Sichtbeton gestaltete, von allen Seiten zugängliche Foyer wurde mit seinen Galerien und Freitreppen als offener, kommunikativer Ort angelegt, in dem regelmäßig Ausstellungen und Empfänge stattfinden. Im Innenkern des Gebäudes liegen die Aufzüge und Toiletten, sodass 80 Prozent der 12.000 Quadratmeter Fläche für die reine Verwaltung zur Verfügung stehen. „So entstand ein Maximum an Büro- und ein Minimum an Verkehrsfläche“, sagt Ute Listmann. Sehr fortschrittlich waren auch die eingebauten Wandschränke, teilweise sogar mit Handwaschbecken. An sämtlichen Betonflächen sind die Strukturen verwendeter Schalhölzer sichtbar, was dem Baustoff eine fast organische Wirkung verleiht. Dieser Effekt würde heutzutage meistens nur noch künstlich und kostspielig mit Hilfe eingelegter Strukturmatrizen erzeugt werden, so Listmann.

Zum damaligen Aufbruch in die Moderne gehörte in Offenbach auch das Konzept der zweiten Ebene. Ab den 1970er-Jahren überspannten Betonbrücken für Passanten die Berliner Straße und den Marktplatz. Ziel war es, eine autogerechte Stadt zu schaffen. Die letzten Überreste dieser zweiten Ebene am City-Center werden aktuell abgerissen, während das Rathaus selbst seit 2006 unter Denkmalschutz steht und seitdem umfangreich saniert wurde. Neue Heizungszentralen samt Rohrleitungsnetz gehörten ebenso dazu wie der Austausch von Sanitäranlagen und Fußböden. Im Jubiläumsjahr erfolgt nun der Abschluss der energetischen Fenstersanierung, berichtet Listmann, die die Sanierungsmaßnahmen seit 2010 betreut. Wenn hierfür die Arbeiten im Foyer abgeschlossen sind, ist dort für Herbst 2021 eine Foto-Ausstellung zum Jubiläum „50 Jahre Rathaus“ geplant. Ein Ziel ist es, die Akzeptanz des einmaligen Gebäudes zu verbessern – denn das Rathaus weckte von Beginn an Kritik. Viele Bürgerinnen und Bürger empfanden es als zu großspurig. Zu Unrecht, meinte schon damals der Lokaljournalist Lothar R. Braun. Er betrachtete das Gebäude als identitätsstiftenden Beitrag zur Stadtgemeinschaft und empfahl seine genaue Betrachtung: „Jeder Schritt verschafft neue Einsichten und Perspektiven. Das Raumerlebnis wird fortwährend verändert.“ Für Braun übte das Bauwerk einen Sog aus: „Es wirkt als Herausforderung, zwingt zu Engagement, zu Kontakt, Auseinandersetzung und Stellungnahme."

Video zur Geschichte des Offenbacher Rathauses

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Video zur Geschichte des Offenbacher Rathauses

Schreibtisch des damaligen OB Georg Dietrich aus dem Jahr 1971

Original-Schreibtisch und Fotos im Haus der Stadtgeschichte

Zum Rathaus-Jubiläum präsentiert das Haus der Stadtgeschichte „eine kleine Installation zum Thema“, sagt dessen Leiter Dr. Jürgen Eichenauer. Es zeigt unter anderem den Schreibtisch des damaligen Oberbürgermeisters Georg Dietrich, den er 1971 in seinem neuen Rathaus-Büro aufstellen ließ. Das edle Möbelstück leistete 50 Jahre lang gute Dienste und wurde zuletzt im Hauptamt genutzt. Auf dem Schreibtisch prangt die Urkunde zur Grundsteinlegung des Rathauses am 27. September 1968. Darin formuliert Dietrich den Wunsch, das Rathaus möge als „weltoffener und kraftvoller Mittelpunkt einer modernen Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern auch der kommenden Generationen auf allen Gebieten der Daseinsvorsorge dienen.“ An einer Wand dokumentieren Fotos den damaligen Bauprozess. „Der Wiederaufbau von Offenbach war auch ein Abriss. Die Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern musste weichen“, gibt Eichenauer zu bedenken. Rund um die neue Berliner Straße wurden große Flächen neu bebaut – „und das Rathaus am Ende dieser Straße symbolisierte die städtebauliche Neugestaltung, den ungebremsten Aufschwung und den Großstadt-Stolz in Offenbach“, so Eichenauer. Die Basis des Gebäudes bleibt unerschütterlich. „Nach 50 Jahren ist der Beton noch tadellos in Schuss“, freut sich Listmann: „Diese Qualität beeindruckt auch die Fachleute, die regelmäßig die Statik überprüfen.“

Das Rathaus in Offenbach, Berliner Straße 100, ist werktags, zur Zeit unter Einhaltung der Coronaregeln, frei zugänglich. 

Urkunde zur Grundsteinlegung

Erläuterungen und Hinweise

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