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Stadt Offenbach

Scheidende Frauenbeauftragte Ilona Hakert zieht Bilanz ihrer 16-jährigen Tätigkeit

07.07.2004 – 07. Juli 2004: "Eine Lobby für Frauen und Mädchen ist angesichts der tiefgreifenden Veränderungen des Sozialstaats unverzichtbar". Mit dieser Einschätzung hat sich die scheidende Frauenbeauftragte der Stadt Offenbach, Ilona Hakert, verabschiedet. Sie wird zum 16. Juli eine neue Tätigkeit im Wetteraukreis aufnehmen. Es gelte, Erreichtes zu sichern und neue Herausforderungen zu bewältigen. Hakert verwiers in diesem Zusammenhang unter anderem auf künftige Bezieherinnen des so genannten Arbeitslosengelds II.

Als Zielgruppen von Frauenförderung, die künftig verstärkt in den Blick rückten, nannte Hakert außerdem Migrantinnen und allein Erziehende. Themen wie Existenzgründung und Unternehmertum oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssten geschlechtsspezifisch betrachtet werden. Es gelte, die besondere Situation von Frauen zu prüfen und zu berücksichtigen. Als weiteres Thema nannte Hakert in diesem Zusammenhang auch den Bereich Gesundheitsversorgung und -vorsorge. Zu diesen Themen, so Hakert, habe das Frauenbüro für die zweite Jahreshälfte zusammen mit Kooperationspartnern Maßnahmen, Projekte und Veranstaltungen geplant, darunter Frauen-Gesundheitswochen.

Ilona Hakerts Bilanz aus 16 Jahren kommunaler Frauenarbeit dokumentieren wir nachfolgend im Wortlaut:

Kommunale Frauenarbeit von 1988 bis 2004: Stationen, Erfolge und Ausblick

"Bilanz zu ziehen nach fast 16 Jahren kommunaler Frauenarbeit bedeutet einen Rückblick auf eine Ära, in der in der Stadt Offenbach und in der Bundesrepublik insgesamt ein grundsätzlicher Wandel im Aufbau und in den Leistungen kommunaler Daseinsfürsorge stattgefunden hat. Eine Bewertung der Entwicklungen kommunaler Frauenarbeit ist nicht losgelöst von diesen Veränderungen möglich.

Ein Blick auf die Ausgangslage 1988 zeigt folgendes: im politischen Raum, der für die Schaffung dieser Stelle verantwortlich war (Stvv-Antrag von SPD/Grünen), gab es Bewusstsein für die Notwendigkeit von Frauenförderung, in der Verwaltung in einigen Bereichen. Geschlechtsdifferente Daten gab es bestensfalls bei der Bevölkerungserhebung, lt. Statist. Bundesamt verdienten Frauen 1987 im Durchschnitt fast 50% weniger als Männer. Es gab Amtsleiter, die offen ihren Widerstand ankündigten „solange ich hier dieses Amt leite, setzt mir kein Weib seinen Fuß über die Tür“. Es gab jedoch schon frauenpolitische Strukturen wie die Frauenbegegnungsstätte der Volkshochschule oder die Gleichstellungskommission.

Der Frauenanteil in den führenden Positionen der Offenbacher Verwaltung lag zwischen 0 und 20% (Beamten/Angestelltenbereich) und es gab keine weibliche Amtsleitung (heute 6). Heute beträgt der Frauenanteil in den 4 höchsten Besoldungsstufen in der Verwaltung mehr als ein Viertel. Fast 40 % der arbeitslos gemeldeten Frauen erhielten 1990 keine Leistungen nach dem AFG, steigend war der Anteil von Frauen an Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung. Rund 16% aller Einwohnerinnen waren Migrantinnen (Volkszählung 1987), 2003 sind es rund 29%. Im Kitabereich fehlten rund 1000 Betreuungsplätze.

Die ersten 5 Jahre waren geprägt von der Notwendigkeit, den Exotinnenstatus des Frauenbüros aufzubrechen, Spielregeln und Verfahren zu entwickeln, kurzum: Akzeptanz zu gewinnen. Es galt erste Projekte auf die Schiene zu setzen, d.h. Strukturen zu bauen, Finanzierung zu sichern und Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden. Der Kampf um die Einrichtung eines Frauenhauses mit angegliederter Beratungsstelle zählt hier sicherlich dazu, schließlich dauerte es 5 Jahre bis zur Eröffnung. Tabus wurden gebrochen wie am Beispiel der Fortbildung über sexuelle Belästigung für männliche Führungskräfte zu sehen ist; aus heutiger Sicht möchte ich sagen: In Offenbach waren wir mit einigen Vorhaben unserer Zeit voraus. Z.B. wurde einer Anfrage an das Bundesbauministerium über Wohnbauförderungsprogramme für allein Erziehende beschieden, dies sei als Problem des Wohnungsbaus nicht bekannt und möglicherweise ein Offenbachspezifisches Problem.

Beteiligungsverfahren wie das Berichtswesen lt. Frauenförderplan oder die Beteiligung an Bebauungsplanungen wurden entwickelt, die Grundlagen für ein hessisches Gleichberechtigungsgesetz geschaffen und von Offenbach aus befördert. Und das Frauenbüro überlebte das erste Haushaltskonsolidierungskonzept, nach dem alle Stellen (damals 2, heute 3,5 ) gestrichen werden sollten.

Die zweite Phase von 1993 bis 1998 war geprägt von größerer Selbstverständlichkeit, mehr Mut zu Innovationen, richtungsweisenden Projekten und Vorhaben wie die Vernetzungsstelle für an- und ungelernte Frauen, die Mitwirkung an der weit beachteten Richtlinie zur Arbeitszeitflexibilisierung, die Einrichtung der Stelle der betrieblichen Frauenbeauftragten für den damaligen Eigenbetrieb ESO, die Mitarbeit an stadtplanerischen Vorhaben wie Nahverkehrsplanung und die Gestaltung öffentlicher Räume. Mit dem Rückenwind einer frauenpolitisch fortschrittlichen Landesregierung waren die 90er Jahre trotz Haushaltskonsolidierung und Einsparungen die Blütezeit der Frauenpolitik, nicht nur in Offenbach. Der öffentliche Dienst entwickelte in puncto Frauenförderung eine beachtliche Vorbildfunktion.

Die Beteiligung von Frauenpolitik und die Berücksichtigung von Fraueninteressen wurden Normalität, die Impulse des Frauenbüros aufgenommen und weitergetragen, der Gewinn der Frauenförderung für die Stadt als Ganzes anerkannt. 1992 gaben bei einer Ämterumfrage zur kommunalen Frauenförderung 2/3 aller Ämter an, mit dem Frauenbüro zusammenzuarbeiten und davon die Hälfte erfolgreich. Dieser Anteil konnte bis heute gesteigert werden, genannt werden Erschließung neuer Zielgruppen, Optimierung der eigenen Angebote und konkrete Maßnahmen im eigenen Zuständigkeitsbereich.

Die weitere Entwicklung ab Ende der 90iger Jahre bis heute muss aus zweierlei Blickwinkel betrachtet werden: Weiterentwicklung der kommunalen Frauenpolitik und Veränderung des Sozialstaates und seiner Aufgaben. Die Interessen von Frauen, insbesondere benachteiligter Frauen, in diesen Aushandlungsprozessen zu unterstützten und diesen zur Durchsetzung zu verhelfen, wird zur immer zentraleren Aufgabe. Einfluß auf Strukturen zu nehmen, Veränderungsprozesse zu initiieren und zu begleiten: dies sind langfristige Prozesse, deren Erfolge sich oft erst viel später erweisen. Auf die Potenziale von Frauen zu setzen, Frauen zu ermutigen, ihren Weg zu entwickeln, ihre Ressourcen zu mobilisieren und vor allem Netzwerke zu basteln – das ist eine der Strategien des Offenbacher Frauenbüros. Diese Strategie wiederum kann nur gelingen durch die bestehenden Unterstützungsstrukturen wie ein erfolgreiches Team, funktionierende Arbeitsgruppen und Netzwerke der Frauenpolitik wie im kommunalen Leben.

Beispiele von Leuchtürmen sind hier das konzernweite Mentoring-Programm, das Arbeitsmarktprojekt „Potenzial“ (Mentoring für Frauen in beruflichen Risikosituationen), Moderation und Anstoß für Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung in der Innenstadt, die Begleitung und Steuerung des Programmes der Sozialen Stadt in diesem Bereich, Pilotvorhaben zur Einführung des Gender Mainstreaming wie an der vhs und die Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe für eine geschlechtergerechte Arbeit mit der Installierung einer Mädchenetage und Leitlinien für Mädchenarbeit.

Ein Ausblick für die Zukunft zeigt, dass angesichts der tiefgreifenden Veränderungen des Sozialstaates eine Lobby für Frauen und Mädchenarbeit nach wie vor unverzichtbar ist. Erreichtes muss gesichert werden, Anforderungen der Träger müssen berücksichtigt werden, insbesondere Zielgruppen wie Migrantinnen, allein Erziehende, die künftigen Kundinnen des ALG II wie die Empfängerinnen von Grundsicherung – eine eigenständige Existenzsicherung steht für sie auf der Agenda. Themen wie Existenzgründungen und Unternehmertum, Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter, Gesundheitsvorsorge und –versorgung sind Aufgaben, die geschlechtsspezifisch anzugehen sind.
Zu diesen Themenbereichen hat das Frauenbüro für die 2. Jahreshälfte mit anderen zusammen Maßnahmen, Projekte, Veranstaltungen geplant wie z.B. Frauengesundheitswochen oder eine ABM über Lebenslagen junger Migrantinnen. 

Ich bin zuversichtlich, dass die Offenbacher Netzwerke und das Offenbacher Frauenbüro auch ohne mich diese Arbeit bewältigen, wenn denn so zügig wie möglich die Stelle der Kommunalen Frauenbeauftragten wieder besetzt wird. Hier bin ich mir der Unterstützung des Oberbürgermeisters sicher. Ich wünsche meiner Nachfolgerin alle notwendige Unterstützung, eine glückliche Hand und allen Bürgerinnen und Bürgern sowie der Verwaltung und den Gruppen und Institutionen ein lebenswertes Offenbach!"

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