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Stadt Offenbach

Stadtkonzern Offenbach ruht nie: „Wir sind da!“

12.08.2010 – 12. August 2010: Stählerne Klauen graben sich in einen meterhohen Wall aus Müll. Der gigantische Greifer packt eine Drei-Tonnen-Portion und häuft sie in einen der drei Trichter: Nachschub für den Brennkessel im Müllheizkraftwerk der Energieversorgung Offenbach. Es ist 1.45 Uhr. Vor Kranführer Dirk Rohs liegen noch gut vier Stunden Nachtschicht. Er ist einer der vielen Mitarbeiter des Stadtkonzerns Offenbach, die das System Großstadt rund um die Uhr am Laufen halten.

Kranführer ist ein einsamer Job – vor allem nachts. Dirk Rohs, der vor 20 Jahren als Maschinist bei der EVO anfing, macht ihn seit 2001. Wenn er nachts in seinem Führerstand sitzt und jede Hand einen Lenkhebel umfasst, dann ist das Radio meist seine einzige Unterhaltung.

Der Bildschirm schräg vor ihm bietet keine Zerstreuung. Er zeigt die lodernden Flammen der Müllverbrennung. Gelegentlich kommt ein Kollege auf einen kurzen Plausch in die Kabine. Jede Pinkelpause muss in der Zentrale angemeldet und Vertretung angefordert werden. Denn der Müllbunker darf keine Sekunde unbeaufsichtigt sein. Zu groß ist die Gefahr einer Entzündung.

Sorgfältig geschichtet

„Kranführer sind Künstler“, sagt Dr. Kurt Hunsänger, Technikvorstand der EVO AG, der in dieser Nacht die Besuchergruppe um Oberbürgermeister Horst Schneider empfängt. Kranführer Rohs und seine Kollegen müssen die Müllmasse mit dem Greifer hin und her wälzen, um ein Gemisch mit einem möglichst einheitlichen Brennwert zu erzeugen. Dabei muss der Unrat so sorgfältig geschichtet sein, dass entlang der Außenwand stets ein Graben frei bleibt für die nächsten Lieferungen.

20.000 Kilowatt Fernwärme speist das Müllheizkraftwerk während der Sommermonate ins EVO-Netz ein und leistet damit die komplette Wärmeversorgung von Offenbach, Dietzenbach, Gravenbruch und des Gewerbeparks „Campus Heusenstamm“. Bei rund 1000 Grad Celcius werden hier im Schnitt täglich 750 Tonnen Hausmüll und Gewerbeabfall verbrannt.

Als Weckton genügt ein zartes Klicken

Bei der Feuerwehr Offenbach hofft die Nachtschicht indes, dass sie in dieser Nacht keine Flammen mehr zu sehen bekommt. In der Leitstelle ist es relativ ruhig. Ein Rettungswagen rückt gegen 1 Uhr aus. Doch die Einsatzkräfte der Feuerwehr sind vorerst nicht gefordert. Auf dem Korridor im Obergeschoss setzt der stellvertretende Feuerwehr-Chef Dr. Michael Eiblmaier seine Führung im Flüsterton fort. Einige Kollegen ruhen. Wohl dem, der im Bereitschaftsdienst Schlaf finden kann. Das gelingt nicht jedem, weiß Matthias Henrich. „Manche Kollegen werden schon von dem Klicken wach, kurz bevor die Signallampe leuchtet.“ Und Henrich kennt auch Feuerwehrmänner, die selbst zu Hause nicht mehr richtig tief schlafen können.

Einige Kollegen genießen die laute Sommernacht auf dem Balkon. „Rumhängen würde ich das nicht nennen“, betont Matthias Henrich. Und Stolz schwingt mit, wenn er versichert: „Wir sind da!“ Im Notfall kann binnen zehn Minuten ein kompletter Löschzug an jedem Brandort im Stadtgebiet sein: Zwei Löschfahrzeuge, Drehleiter, Einsatzleitfahrzeug und Rettungswagen. Und auch die freiwilligen Feuerwehren sind während der Nachtstunden voll in die Einsatzplanung integriert.

Stadtwache erweitert ihre Dienstzeiten

Auf der Stadtwache am Marktplatz ist die Dienstzeit seit 22 Uhr beendet. Einen Spätdienst bis nach Mitternacht wird es dort ab dem 3. Januar 2011 geben, wenn fünf zusätzliche Stadtpolizisten ihre Einarbeitung abgeschlossen haben. Zum 1. Dezember treten sie ihren Dienst an. Ab kommendem Jahr wird die wöchentliche Dienstzeit auf der Stadtwache von 80 Stunden auf 108 Stunden erhöht.

Gerade in den späten Abendstunden ist es laut Ordnungsdezernent Paul-Gerhard Weiß wichtig, dass die Stadtpolizei Präsenz zeigt. Denn dann häufen sich Beschwerden wegen Ruhestörung. Und auch wilde Müllablagerungen geschehen laut Ordnungsamtsleiter Peter Weigand eher im Schutz der Dunkelheit.

Sachgebietsleiter Pascal Becker konnte einmal live am Monitor verfolgen, wie in der Hermann-Steinhäuser-Straße eine Autoladung Unrat entsorgt werden sollte. Da waren die Stadtpolizisten schnell zur Stelle. In der Regel werden er und seine Kollegen aber per Telefon verständigt. Die Bediensteten der Stadtpolizei verfügen über polizeiliche Kompetenzen. So können sie wirksam vorgehen, zum Beispiel gegen aggressive Bettler, die laut Pascal Becker mitunter sogar Kinder belästigen.

Das Dach ist dicht

22.30 Uhr. Inzwischen haben die Handballerinnen des OFC ihr Training beendet. Hausmeister Peter Gleich von der städtischen Gesellschaft Gebäudemanagement (GBM) löscht das Licht und schließt die Tür. Über die OFC-Handball-Damen ist er des Lobes voll, denn sie geben ihm und seinen Kollegen nie Anlass zur Klage. Die Einladung auf einen geselligen Absacker vor der Tür lehnt er dennoch ab. „Um diese Uhrzeit möchte ich nach Hause zu meiner Familie“, sagt er. Die große Turnhalle der Edith-Stein-Schule an der Rosenhöhe ist bei Vereinen beliebt, weil sie groß ist und gut ausgestattet. Wer dort noch freie Belegungszeiten ergattern möchte, hat es nicht leicht. Doch es nützt nichts, sich mit Hausmeister Peter Gleich gut zu stellen, denn der hat auf die Belegungspläne keinen Einfluss. „Das regelt die GBM zentral“, erklärt er. Der Plan wird immer für ein Halbjahr erstellt.

Oberbürgermeister und Sportdezernent Horst Schneider nutzt die Gelegenheit, um sich beim Hausmeister über den baulichen Zustand der Halle zu erkundigen: „Ist das Dach jetzt dicht?“ „Ja, absolut“, weiß Peter Gleich zu beruhigen.

Bis zu 50 Särge pro Tag

Im Krematorium am Neuen Friedhof in der Mühlheimer Straße gehen die Lichter in dieser Nacht nicht aus. Pro Tag finden in den beiden Brennkammern bis zu 40 Einäscherungen statt. Bei Bedarf wird mittags entschieden, ob eine Nachtschicht nötig ist. Wenn ja, wird Personal nachgeordert. „Mitunter werden an einem Tag bis zu 50 Särge angeliefert“, erzählt Werner Hornof, Leiter des Krematoriums. Seine Mitarbeiter sind den Bestattern bei der Anlieferung behilflich. Ein wichtiger Service für die Pietäten, die deshalb nur den Fahrer einsetzen müssen.

Kein Sarg wird ohne die sogenannte zweite ämtsärztliche Leichenschau dem Feuer übergeben. Die Mitarbeiter des Krematoriums entkleiden die Toten und bereiten sie für die Begutachtung vor. Andreas Beyer hat sich an die Tätigkeit gewöhnt. Nur wenn er einmal überraschend auf eine Person stößt, die er gut gekannt hat, gibt der gelernte Gärtner lieber an einen Kollegen ab. Die Nachtschicht von 22 Uhr bis 6 Uhr macht ihm nichts aus. „Dann herrscht hier Ruhe, man kann sich ganz auf die Arbeit konzentrieren.“

Hochmoderne Anlage

Eine Einäscherung nimmt insgesamt mehr als drei Stunden in Anspruch. Der eigentliche Brennvorgang dauert rund 75 bis 80 Minuten. Anschließend wird die Asche mineralisiert. Das alles passiert in einer hochmodernen Anlage. Mit rund 6500 Einäscherungen pro Jahr rangiert das Offenbacher Krematorium laut Hornof bundesweit unter den Top Ten.

Bei den Offenbacher Verkehrsbetrieben (OVB) hat die Nachtschicht schon den morgendlichen Berufsverkehr im Blick. „Zwischen 6 Uhr und 8 Uhr brauchen wir alle Busse“, sagt Geschäftsführer Volker Lampmann. Von den 59 Fahrzeugen können dann maximal zwei im Depot bleiben. Der Rest muss fit für den Einsatz sein: gereinigt, betankt und technisch einwandfrei. In der Leitstelle wird unterdessen der Betrieb für den kommenden Tag disponiert.

„Heute ist es sehr ruhig“, sagen die Rettungssanitäter des Arbeiter-Samariter-Bundes an der Notaufnahme des neuen Offenbacher Klinikums. Dass das nicht immer gilt, belegen die Zahlen: Pro Jahr kommen hier bis zu 40.000 Notfälle an, davon rund 30.000 in den Nachtstunden zwischen 22 Uhr und 8 Uhr. Drei bis vier Schwestern arbeiten im Nachtbetrieb, dazu zwei Ärzte, ein Internist und ein Unfallchirurg. Zehn bis zwölf weitere Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen können bei Bedarf von den Stationen hinzugezogen werden. Im gesamten Klinikum sind während der Nacht 55 Ärzte und 80 Krankenschwestern im Einsatz. Auch sie könnten aktiviert werden, falls es einen Massenanfall an Verletzten geben sollte.

Niemand wird abgewiesen

Ein Ausnüchterungsfall pro Nacht ist der Durchschnitt. Das Klinikum verfügt für solche Fälle über eine extra Kabine. Neu sind sechs Notfallbetten mit zentraler Monitorüberwachung. Laut Notarzt Daniel Kiefel werden nicht alle Notfall-Patienten mit dem Rettungswagen eingeliefert. Manche kommen auch selbst vorbei, wenn Beschwerden akut werden. Eigentlich fungiert der ärztliche Notdienst als Hausarztvertretung. Doch die Notaufnahme weist keinen Patienten ab.

0.30 Uhr. Nur ein Patient wartet geduldig darauf, verarztet zu werden. Kein Martinshorn, keine hektische Notfallversorgung, kein Bett, das eiligen Schrittes über die Gänge geschoben wird. Zumindest jetzt, in diesen Minuten. Schon im nächsten Augenblick kann es mit der Ruhe vorbei sein.

Am Ende der nächtlichen Rundfahrt ist Oberbürgermeister Schneider beeindruckt vom professionellen Betrieb. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten rund um die Uhr im Dienst der Bürger. Der Stadtkonzern ruht nie.“

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