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Stadt Offenbach

Ein neues Zuhause für gefährdete Zauneidechsen / Umsiedlung vom Kaiserlei nach Bieber

22.07.2016

Offenbach am Main, 22.07.2016 - Am Himmel tönen die Triebwerke eines Airbusses, links tost die Odenwaldbahn über die Schienen, rechts rauscht der Verkehr in Richtung Offenbach und Autobahn. Dazwischen: scheinbar unberührte Natur. Die verwilderte Freifläche zwischen den Gleisanlagen der Deutschen Bahn und der Strahlenbergerstraße ist alles andere als ein Paradies für Vögel, Nager und Reptilien. Und doch hat sich hier eine streng geschützte Art breit gemacht: die Zauneidechse.

Lacerta agilis auf der Spur ist Christine Wurmitzer. Leise und mit vorsichtigen Bewegungen streift die Biologin im Auftrag der Stadt durch das Gebüsch, begutachtet mit geschultem Auge das Unterholz und durchkämmt Brombeerhecken und Gestrüpp. Die Mitarbeiterin der Planungsgruppe „Natur und Umwelt“ hat noch bis zum Herbst Zeit, die Reptilien artgerecht einzufangen und in ihrem neuen Zuhause – einer Ausgleichsfläche im Stadtteil Bieber – auszusetzen. Danach rollen am Kaiserlei die Bagger an, beginnt der dreijährige Umbau des wichtigsten Offenbacher Verkehrsknotens.

Die Umsiedlungsaktion ist eine lange geplante Maßnahme zur Vorbereitung der Baumaßnahmen am Kaiserlei. Grundlagen sind die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union und das Bundesnaturschutzgesetz, erläutert Annette Glowania vom Amt für Stadtplanung, Verkehrs- und Baumanagement. Die Referatskoordinatorin im Bereich Verkehrsplanung, Stadtgestaltung und Straßenverkehrsbehörde betont, dass diese gesetzlichen Vorgaben die Stadt zum Handeln verpflichten: „Wann immer ein Flächeneingriff infolge einer Baumaßnahme erfolgt, müssen wir alles tun, um gefährdete Tierarten wie hier die Zauneidechse zu schützen.“

Rund 50.000 Euro kostet die Umsiedlung, einschließlich fünfjährigem Monitoring und Einrichtung und Pflege des neuen Ausgleichsgebiets an der Schloßmühlstraße in Offenbach-Bieber. „Es gibt viele Bauprojekte, bei denen vergleichbare Maßnahmen deutlich teurer werden“, gibt Glowania zu bedenken. „In diesem Fall sind die Kosten bei einem Gesamtvolumen von 37 Millionen Euro für den Kaiserlei-Umbau vergleichsweise gering.“ Zumal das neue Habitat für die Eidechsen auf städtischem Grund entstanden ist – die Ausgleichsfläche selbst also günstig hergerichtet werden konnte.

So viel Planungstiefe gibt es nicht immer. Dr. Benjamin Hill, Leiter Tierökologie und Artenschutz bei der Planungsgruppe PGNU, kennt einige Bauvorhaben, die nach Spatenstich noch unterbrochen oder umgeplant werden mussten. Grund waren unerwartete Bestände geschützter Tierarten. „Das kann es immer mal geben“, sagt Benjamin Hill. „In Offenbach jedoch wurde das Baugebiet mit ausreichend zeitlichem Vorlauf gründlich untersucht, da erwarte ich aus heutiger Sicht keine Überraschungen.“

18 Eidechsen haben seine Mitarbeiter auf dem 3900 Quadratmeter großen Gelände am Kaiserlei bislang entdeckt und umgesiedelt. Bis zum Herbst könnten es noch einige Exemplare mehr werden. Die individuell je nach Geschlecht, Altersstadium und Jahreszeit braun oder grün gefärbten Tiere sind hervorragend getarnt. Keine leichte Aufgabe für Christine Wurmitzer, ein verstecktes Exemplar zu finden. Hat sie eine Eidechse entdeckt, packt sie vorsichtig mit einem Schwamm oder einer Schlinge zu, um das Tier nicht zu verletzen und keinem Stress auszusetzen. „Wenn es so heiß ist wie heute, haben sie viel Energie und flitzen im Unterholz herum.“

Bislang fühlen sich die Eidechsen am Kaiserlei wohl. Sie lieben das eher trockene Magerbiotop entlang des Bahndammes. „Wir finden sie überall im Rhein-Main-Gebiet entlang von Gleisanlagen. Gesamteuropäisch betrachtet ist die Art jedoch stark gefährdet“, sagt Benjamin Hill. Deswegen ist der vergleichsweise hohe Aufwand für die Umsiedlung auch gerechtfertigt, betont er.

Davon profitieren am Ende nicht nur die Tiere. Im Ausgleichsgebiet, rund sieben Fahrkilometer entfernt vom Autobahnknoten Kaiserlei, wollen künftig Schulklassen Naturschutz hautnah erleben. Auf rund 2.000 Quadratmetern Fläche haben dort das Amt für Stadtplanung, Verkehrs- und Baumanagement und das Amt für Umwelt, Energie und Klimaschutz ein geschütztes Habitat errichtet: Längliche Holzhaufen, halb eingegrabene Schüttungen aus größeren Bruchsteinen, abwechselnd niedriges und hohes Gras sowie Sandlinsen zur Eiablage bilden einen neuen Lebensraum. Die Neuankömmlinge scheinen sich wohlzufühlen: Immer wieder lugen kleine grüne und braune Köpfe zwischen den sonnengeheizten Steinen hervor. Das neue Zuhause der Zauneidechsen ist eine ungestörte grüne Idylle. Ganz ohne Verkehrslärm.

 

Bildinformation:

Alle Fotos: Stadt Offenbach, Abdruck honorarfrei

Kaiserlei-Baugebiet: Auf diesem Gelände entsteht im Zuge des Kaiserlei-Umbaus die Verlängerung der Kaiserleipromenade zur Strahlenbergerstraße. Über diese Verbindung wird künftig der Verkehr zwischen Frankfurt und Offenbach abgewickelt.

Suche nach Eidechsen: Christine Wurmitzer und Dr. Benjamin Hill durchkämmen das Gebüsch nach Eidechsen. Die schwarze Abdeckung dient zum Anlocken der Tiere: Tagsüber heizt sich die Auflage durch die Sonne auf – ein beliebter Aufenthaltsort für die Reptilien. Nachts speichert sie die Wärme am Erdboden.

Ausgleichsfläche Bieber: Auf der 2.000 Quadratmeter großen Ausgleichsfläche an der Schloßmühlstraße im Stadtteil Bieber werden die eingesammelten Echsen ausgesetzt und in den nächsten Jahren beobachtet.

Eidechse1 und 2: Die Zauneidechse ist als gefährdete Art streng geschützt. Sie wird von Biologen artgerecht am Kaiserlei eingesammelt und in ihr neues Quartier in Bieber umgesiedelt.

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