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Stadt Offenbach

Programm „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigungen“ zieht Bilanz: Besonders jüngere Frauen nehmen Hilfsangebot an

15.11.2017

Offenbach am Main, 15. November 2017 – Im Jahr 2015 ist in Offenbach die „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ offiziell gestartet. Das Programm wurde vom Sana Klinikum, dem Ketteler Krankenhaus und pro familia ins Leben gerufen, um Frauen in dieser besonderen Notsituation zu helfen. Maßgeblich unterstützt werden die Akteure von der Frauenbeauftragten der Stadt Offenbach, Karin Dörr. Nach fast drei Jahren Projektlaufzeit haben am 14. November Oberbürgermeister Horst Schneider, Prof. Dr. Christian Jackisch (Chefarzt der Frauenklinik am Sana Klinikum Offenbach), seine Kollegin Dr. med. Silvia Khodaverdi (Fachärztin für Gynäkologie), Dr. Wilfried Kowalzik (Oberarzt an der Frauenklinik am Ketteler Krankenhaus) sowie Bettina Witte de Galbassini (Ärztin und psychoanalytische Beraterin der pro familia Offenbach) eine positive Bilanz gezogen. Demnach haben sich bis heute 31 Frauen unterschiedlicher Altersgruppen, jedoch mehrheitlich jüngere, in einer der beiden Offenbacher Kliniken medizinisch versorgen lassen – ohne vorher eine Anzeige erstattet zu haben. Frauen, die sonst zumeist auf sich alleine gestellt gewesen wären.

Anlässlich der Pressekonferenz berichteten die Beteiligten aus dem Kooperationsverbund zudem über ihre Motivation zur Beteiligung und Erkenntnisse darüber, warum und in welchem Zusammenhang das Angebot von der Zielgruppe angenommen wurde.

Offenbach ist nach Frankfurt die zweite hessische Stadt, die das Programm 2014 beschloss und seit 2015 erfolgreich umsetzt“, sagte Oberbürgermeister Schneider. „Maßgeblich für den Erfolg des Programms ist ganz klar das Engagement aller beteiligten Organisationen“, lobte Schneider. „Besonders den beiden Kliniken und der pro familia gilt mein Dank.“ Schneider dankte aber auch dem Polizeipräsidium Südosthessen, das den Kliniken die medizinischen Untersuchungs- und Befundungssets für das Projekt kostenlos zur Verfügung stellt. Schneider verwies zudem auf die Unterstützung durch die Stadt Offenbach: „Über den Etat des Frauenbüros hat die Stadt bisher rund 10.000 Euro für die Bekanntmachung des Versorgungsangebotes, insbesondere für eine Plakatkampagne in den Bussen, für Infoveranstaltungen und Material, bereitgestellt.“ Jeder Euro helfe, Frauen nach der schrecklichen Erfahrung einer Vergewaltigung zu unterstützen.

Prof. Dr. Christian Jackisch, Chefarzt der Gynäkologie am Sana Klinikum Offenbach ergänzte:Wir schließen durch das Programm die vorher bestehende Versorgungslücke bei nicht angezeigten Vergewaltigungen. Aus humanitärer Überzeugung heraus und aus fachlichen Gründen, weil wir wissen, wie wichtig diese Soforthilfe im Hinblick auf die Verarbeitung dieses extrem traumatischen Erlebnisses ist.“ Das Sana Klinikum hat darüber hinaus ebenfalls die Plakatkampagne der Stadt Offenbach in den Linienbussen mit bislang 3000 Euro unterstützt. „Und wir sagen auch weiterhin unsere Unterstützung zu.“

Dr. Silvia Khodaverdi, Fachärztin für Gynäkologie am Sana Klinikum Offenbach: „Insbesondere junge Frauen machen von der Möglichkeit Gebrauch, sich ohne vorherige polizeiliche Anzeige medizinisch versorgen zu lassen. Als Klinikum der Maximalversorgung können wir die verschiedensten Erkrankungen oder Infektionen abklären und behandeln. Die meisten Betroffenen entschließen sich auch zur anonymen Spurensicherung. Denn so können sie innerhalb der folgenden zwölf Monate in Ruhe das Für und Wider einer Anzeige individuell abwägen. Solange ist die Aufbewahrung in der Rechtsmedizin in Frankfurt sichergestellt.“

Dr. Wilfried Kowalzik, Oberarzt an der Frauenklinik am Ketteler Krankenhaus: „Für die verschiedenen medizinischen und sonstigen Versorgungsleistungen steht auch die Frauenklinik des Ketteler Krankenhaus seit dem Start und in Zukunft bereit. Ein standardisierter Befundbogen und ein entsprechendes Untersuchungsset sowie darauf abgestimmte Fortbildungen der pro familia und des Frankfurter Frauennotrufs werden uns in dem Programm zur Verfügung gestellt.“

Bettina Witte de Galbassini, Ärztin und psychoanalytische Beraterin:Pro familia berät die von sexualisierter Gewalt Betroffenen und unterstützt sie bei der psychischen Verarbeitung des Erlebten. Eine polizeiliche Anzeige wird von vergewaltigten Mädchen und Frauen häufig vorerst abgelehnt. Aus Scham und weil sie sich nicht vorstellen können, mit der psychischen Belastung einer Anzeige und eines Prozesses umgehen zu können. Viele Betroffene lassen sich nach einer sexualisierten Gewalterfahrung nicht medizinisch versorgen, weil sie eine Anzeigenerstattung durch Dritte über ihren Kopf hinweg fürchten. Damit mehr Betroffene den Weg zu einer Behandlung finden, haben wir den Kooperationsverbund aufgebaut. Die wohnortnahe Versorgung von vergewaltigten Frauen – und auch Männern – konnte so erheblich verbessert werden. Um sie zu ermutigen, sich medizinisch versorgen zu lassen, ist die kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit für dieses Angebot von zentraler Bedeutung.“

Neue Wege der Öffentlichkeitsarbeit

Um das Angebot in der Bevölkerung bekannt zu machen, gehen die Beteiligten auch ungewöhnliche Wege. Im Kulturzentrum Hafen 2, das regelmäßig auch Kinofilme zeigt,  wird aktuell ein ungewöhnlicher Vorfilm präsentiert: Ein dreiminütiger Clip spricht die Zuschauerinnen und Zuschauer direkt an und macht sie darauf aufmerksam, sich nach einer Vergewaltigung in einer Klinik versorgen zu lassen. Eine diskret gefilmte Duschszene verdeutlicht: Eine Vergewaltigung lässt sich nicht einfach abwaschen, auch wenn es das Erste ist, was ein Mensch nach solch einer traumatischen Erfahrung tun möchte.

„Wir probieren immer neue Wege aus, um die Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung als Angebot in Offenbach bekannt zu machen“, erläuterte die kommunale Frauenbeauftragte Karin Dörr. Sie zeigte sich erfreut über die Bereitschaft von Andrea Weiß, die für den Hafen 2 verantwortlich und ist spontan bereit war, den Clip anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen – jährlich am 25. November – ins Novemberprogramm aufzunehmen.

„Obwohl in Deutschland jede siebte Frau mindestens einmal im Leben strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt erlebt, werden bislang höchstens 15 Prozent der Taten angezeigt, weniger als zehn Prozent davon verurteilt“, führte Dörr weiter aus. „In der Auswertung der polizeilichen Kriminalitätsstatistik Hessen für 2016, die uns aktuell das Polizeipräsidiums Südosthessen für die Stadt Offenbach zur Verfügung gestellt hat, wurden 17 Anzeigen wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung erfasst, ein Jahr zuvor waren es 18 Anzeigen. Betroffen sind überwiegend junge Frauen bis 21 Jahre. Wir gehen zusätzlich von einer hohen Dunkelziffer aus, vor allem wenn der Vergewaltiger der Partner oder Ex-Partner der Betroffenen ist.“

Reform des Sexualstrafrechts wird begrüßt

Zu dem Angebot der medizinischen Soforthilfe nach Vergewaltigung machte das Frauenbüro zudem auf eine Verbesserung der rechtlichen Situation der Betroffenen aufmerksam: Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung wurde im vergangenen Jahr durch eine Strafrechtsreform des Deutschen Bundestages gestärkt. Mit der Expertise der Juristin und Professorin Dr. Sibylla Flügge aus Frankfurt hat die Kommunale Frauenbeauftragte jetzt die Broschüre „Nein heißt Nein – Das neue Sexualstrafrecht“  herausgebracht, an der auch das Polizeipräsidium Südosthessen und pro familia Offenbach mitgewirkt haben. Die Broschüre kann im Frauenbüro bestellt und auf der städtischen Internetseite eingesehen werden unter  www.offenbach.de/fuer-frauen-und-maedchen


Hintergrundinformationen:

Offenbacher Kooperationsverbund

Die medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung wird – und das ist ein wichtiger Aspekt des Programms – auch ohne polizeiliche Anzeige im Sana Klinikum und im Ketteler Krankenhaus durchgeführt. Zusätzlich bieten beide Häuser die Möglichkeit einer vertraulichen Spurensicherung – auf Wunsch der Betroffenen. Dafür stellen die Kliniken ihre Ressourcen zur Verfügung, obwohl dafür keine Kosten erstattet werden. Die Kommunale Frauenbeauftragte und pro familia Offenbach sind für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Sie führen regelmäßig Informationsveranstaltungen, interne Schulungen und eine Plakat-Kampagne in den Bussen der Offenbacher Verkehrsbetriebe durch und halten die Erfahrungen in Projektberichten fest. Der Anstoß für das Angebot der Medizinischen Soforthilfe nach Vergewaltigung in Offenbach geht auf den Chefarzt der Frauenklinik am Ketteler Krankenhaus Offenbach, Dr. Peter Baier, zurück.

Finanzielle Rahmenbedingungen:

  • Die Stadt Offenbach sowie das Land Hessen stellen seit 2014 eine Grundfinanzierung des Hilfsangebotes bei pro familia sicher sowie Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit.
  • Das Sana Klinikum Offenbach und das Ketteler Krankenhaus Offenbach stellen die medizinischen und die Laborleistungen zur Verfügung.
  • Die Plakat-Kampagne der Stadt Offenbach (2015 – 2018) wird vom Sana Klinikum durch einen jährlichen Zuschuss unterstützt.
  • Das Polizeipräsidium Südosthessen stattet seit Beginn und bis heute die Kliniken mit den Untersuchungs- und Befundungssets aus.

Weitere Informationen zur Medizinischen Soforthilfe nach Vergewaltigung:

  • soforthilfe-nach-vergewaltigung.de
  • In einem Flyer werden Betroffene und ihr Umfeld ausführlich über das Angebot informiert.
  • Mit einer professionellen Plakatkampagne mit der Aufschrift „Jede Vergewaltigung ist ein medizinischer Notfall. Im Krankenhaus erhalten Sie Hilfe. Vertraulich.“ in Bussen der Offenbacher Verkehrsbetriebe erfolgt eine niedrigschwellige Ansprache, die sich besonders an Mädchen und Frauen wendet mit der Botschaft: „Kein Grund sich zu schämen, sondern sich helfen zu lassen“.
  • Die Broschüre „Nein heißt nein! Das neue Sexualstrafrecht“ kann per E-Mail beim frauenbuerooffenbachde  und telefonisch unter 069 8065-2010 sowie unter profamilia.de angefordert werden.


Bildinformation:

Das Foto zeigt (von links): Bettina Witte de Galbassini (Pro Familia), Dr. Wilfried Kowalzik (Ketteler-Krankenhaus), Karin Dörr (kommunale Frauenbeauftragte), Dr. Silvia Khodaverdi und Anne Stach (beide Sana-Klinikum).

Foto: Veronika Schade, Abdruck honorarfrei bei Nennung der Urheberin

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