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Stadt Offenbach

Wie kann die multikulturelle Gesellschaft Radikalisierungstendenzen begegnen?

06.09.2017

Offenbach am Main, 6. September 2017 – Über 150 Nationen leben in Offenbach, die Stadt gilt als Integrationsmaschine. Aber das Bild der funktionierenden multiethnischen Gesellschaft hat Risse bekommen: Auch in Offenbach radikalisieren sich Jugendliche, werben Religionsvereine und Imame insbesondere um junge Menschen. Wie kann Offenbach Radikalisierungstendenzen entgegentreten und welche Rolle kommt dabei den Schulen zu? Darüber diskutierten am Donnerstag, 24. August, im Quartierssaal des Ostpol Prof. Dr. Susanne Schröter vom Forschungszentrum Globaler Islam, Hanif Aroj, Politikwissenschaftler und Doktorand, Hakan Celik vom Violence Prevention Network e.V., Wolfgang Malik, Präsident des Boxclub Nordend e.V., und Bürgermeister Peter Schneider gemeinsam mit Lehrern und Pädagogen. Dem vorangegangen waren Vorträge von Kurt Edler, Leiter des Referats "Gesellschaft" am "Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung" in Hamburg, und Fabian Sinning vom Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam.

Die Demokratiekonferenz „Offen(bach) für alle? Radikalisierung entgegentreten!“ fand im Rahmen der „Partnerschaft für Demokratie Offenbach“ und des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ statt und wurde organisiert von der AWO Kreisverband Offenbach Land e.V., im Auftrag der Stadt Offenbach – Ordnungsamt.

Multikulti will entwickelt werden

Offenbach kann Integration, da sind sich alle einig. Aber, das hat auch Boxclub-Präsident Wolfgang Malik beobachtet, es fehlt an der Vernetzung, es gibt viele Parallelstrukturen: „Offenbach hat kein Miteinander, sondern ein Nebeneinander.“
Zudem sind Teilhabe und selbstverständliches Mitmachen noch immer keine Selbstverständlichkeit, wer genauer hinschaue, bemerke beispielsweise, dass Sportvereine selten bis nie Migranten im Vorstand haben und dass Ausgrenzung und Benachteiligung an der Tagesordnung sind, ergänzt Bürgermeister und Sozialdezernent Peter Schneider und fordert: „Die bestehenden Netzwerke müssen ausgeweitet werden.“

Partizipation als Schlüssel zur gelungen Integration?

Allerdings, so die Erfahrung, erfordert Partizipation Arbeit und Frustrationstoleranz. „Das ist eine Ochsentour, die einen langen Atem und Einsteckqualitäten erfordert“, weiß Prof. Schröter aus ihrer Arbeit. Die Ethnologin leitet das Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam und hat drei Jahre lang mit streng religiösen Muslimen in Wiesbaden gesprochen, sie in die Moschee begleitet und an ihrem Alltag teilgenommen, um herauszufinden, wie der Glaube ihr Leben prägt. Beunruhigend ist auch dort die Radikalisierung junger Muslime. Eine Ursache dafür sieht Schröter darin, dass beispielsweise Salafisten die Jugendlichen mit offenen Armen empfangen, dort fühlten sie sich schnell und unkompliziert als Teil einer von Gott ausgewählten Gruppe. Schröter spricht von „kultiviertem Größenwahn“, der keine kritischen Fragen zulasse. Ganz im Gegenteil gelinge das Leben von einem Tag auf den anderen, die Enttäuschung komme erst später: „Das Angebot der Salafisten ist an dieser Stelle einfach erst einmal besser.“

Hinzu kommen Diskriminierungserfahrungen insbesondere jener jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Hakan Celik arbeitet unter anderem mit solchen zusammen, die deshalb in Konflikt mit dem Gesetz gekommen sind. „Die Ursachen von Radikalisierung liegen viel tiefer“, meint er, „Theologie hilft da nicht weiter.“ Zu seiner Arbeit mit Häftlingen gehört beispielsweise auch, ihnen in einem anstrengenden Prozess die Suren des Korans genau zu erklären, denn „Religion ist nur ein Alibi.“

Unklares Verständnis von Autoritäten 

Zumal sich die Jugendlichen ohnehin mit Autoritäten schwer tun und oftmals die negative Meinung der Eltern über „die da oben“ ungefragt übernehmen. Mit Bürgerfahrten ins EU-Parlament versucht beispielsweise das Team des JUZ Nordend den Jugendlichen eine Idee darüber zu vermitteln, das „die da oben“ Entscheidungen treffen, die durchaus unmittelbar mit dem Leben der Jugendlichen zu tun haben. „Die Jugendlichen haben das Feindbild Staat und Lehrer zum Beispiel repräsentieren den Staat“, so Hanif Aroji. Schließlich sind sie es, die Fehlverhalten sanktionieren und Grenzen aufzeigen. Der fünfunddreißigjährige Doktorand ist Mitarbeiter im Jugendzentrum Nordend und würde sich wünschen, dass Kinder schon frühzeitig mehr über das Grundgesetz und auch ihre Rechte lernen. Zudem sollten einige endlich aufhören, sich als Opfer zu stilisieren, so Schröter und empfiehlt einen Perspektivwechsel: „Menschen sterben für einen Bruchteil der Rechte, die wir täglich in Anspruch nehmen.“

Demokratie ist Ordnung

Demokratie ist Ordnung und Schule Teil des Rechtsstaats. Von einer „Grundrechtsklarheit“ spricht Kurt Edler, vom Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, und meint damit nicht nur die gesetzlichen Grenzen von Schülerhandeln, sondern auch ein Wissen um deren grundgesetzlich verbriefte Rechte. Lehrer benötigen daher, so Edler, neben Fingerspitzengefühl auch Präventionskompetenz: „Vom demokratischen Verfassungsstaat und der aufgeklärten Republik habe ich ein persönliches Konzept, kenne Programm und Strategie des Islamismus, bin rhetorisch trainiert und kann cool bleiben, so dass ich auch in zugespitzten Situationen genug pädagogische Rollendistanz wahren kann, um meine Schüler nicht als politische Gegner zu betrachten oder zu behandeln.“

Genau an dieser Stelle hapert es, das legt zumindest die Untersuchung von Fabian Sinning vom FFGI am Exzellenzcluster Normative Ordnungen nahe. Er wollte wissen, welche Rolle Islamismus und religiöser Extremismus in der Offenbacher Stadtgesellschaft spielen und hatte hierzu für eine Vorstudie 14 Lehrerinnen und Lehrer einer Offenbacher Schule befragt. „Denn Lehrer sind“, so Sinning, „die zentralen Gatekeeper, die den Jugendlichen in ihrer täglichen Arbeit begegnen und eine zentrale Aufgabe der Erziehung übernehmen.“ Die dabei befragten Lehrerinnen und Lehrer konnten zwar von Radikalisierungen erzählen, diese fanden ihrer Ansicht nach außerhalb des schulischen Rahmens statt.

„Die Forschung legt nahe, dass es ein Auseinanderklaffen der lebensweltlichen Realitäten von Lehrern und Schülern gibt, besonders bei der Rolle der Religion für den Alltag. Denn häufig fehlte es an fundiertem Wissen über Salafismus, Islamismus und Dschihadismus beziehungsweise deren Ausprägungen und Abgrenzungen. So definiert Sinning Islamismus als religiösen Extremismus: „Es geht diesem darum die Grundlagen von Demokratie und Menschenrechten zugunsten einer theokratischen Ordnung zu beseitigen.“ Schule, Bildungsarbeit im Allgemeinen, muss Antworten geben, um Zweifel, Pauschalisierungen und „unwahren Annahmen“ vorauszugreifen. Prävention kann daher nur mit „Wissen, Freundlichkeit, Gelassenheit, Geduld und Humor  gelingen“, zitiert Sinning Edler.

Bildinformation:

v.l.n.r.: Hanif Aroij (Politikwissenschaftler, Doktorand und Mitarbeiter im JUZ Nordend), Kurt Edler (Leiter des Referats "Gesellschaft" am "Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung" in Hamburg), Frank Weber (Abteilungsleiter Kommunale Prävention beim Ordnungsamt der Stadt Offenbach), Wolfgang Malik (Präsident des Boxclub Nordend) , Bürgermeister und Sozialdezernent Peter Schneider, Mareike Imholt (AWO Kreisverband Offenbach Land e.V.), Hakan Celik (Violence Prevention Network e.V) , Susanne Schröter (Forschungszentrum Globaler Islam), Aydogan Makasci (hr-info, Moderation) und Fabian Sinning (Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam)

Foto: Stadt Offenbach

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