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Stadt Offenbach

Rückblick Alessa, Hoechst, Oehler: 170 Jahre Chemieproduktion

Der Chemiestandort Offenbach war über Jahrzehnte ein wichtiger Imagefaktor mit einer starken Wirtschaftskraft in der Stadt. Jetzt kann die Umwandlung zum Innovationscampus starten. Ein Blick in die Industriegeschichte.

Der Chemiestandort Offenbach war über Jahrzehnte ein wichtiger Imagefaktor mit einer starken Wirtschaftskraft in der Stadt. Gleichwohl war die Produktion in Offenbach schon immer einer wechselhaften Entwicklung unterworfen.

Die Geschichte des heutigen Clariant-Geländes, das zwischenzeitlich auch unter Oehler, Hoechst und Alessa firmierte, begann 1842 mit der Errichtung einer chemischen Fabrik zum Destillieren von Teer durch Dr. Ernst Sell. Er wählte den Standort Offenbach, da zu damaliger Zeit in Frankfurt keine Gewerbefreiheit herrschte und produzierendes Gewerbe abgelehnt wurde. Werksgründer Sell war ein Schüler und Freund von Justus von Liebig (Uni Gießen) und erster Betreiber eine Teerdestillationsfabrik in Deutschland. Hergestellt wurden daraus unter anderem Desinfektionsmittel und Mottenpulver.

1850 erwarb Karl Oehler das Werk des erkrankten Sell und baute die Teerdestillation aus, 1856 brannte das Werk ab. Danach experimentierte Oehler mit neuen Produkten aus Teer und stellte ab 1851 eine erste synthetische Farbe her. Laut der Festschrift „Werk Offenbach – Fortschritt aus Tradition“, die Hoechst 1992 anlässlich der 150-Jahrfeier des Standorts erstellen ließ, geschah dies noch vor der allgemeingültigen „Geburtsstunde“ der Teerfarbenindustrie durch die zufällige Entdeckung des aus Teer hergestellten Farbstoffs Mauvein 1865 durch den englischen Forscher Perkin.

1862 wurden Blau-Farbstoffe aus Anilin von Oehler auf der Weltausstellung in Paris prämiert, 1898 produzierte Oehler 1/3 der Farbstoffe Deutschlands, Deutschland dominierte in der Zeit (1913 mit 85 %) den Weltmarkt an synthetischen Farben. Eduard Oehler, Karls Sohn, wurde in der Fachwelt als „Blaukönig“ tituliert. In Folge eines Patent-Prozesses und weiterer Fehler bei Patent-Anmeldungen geriet das Werk mit damals 530 Mitarbeitern in Schieflage und wurde 1905 an Griesheim Elektron verkauft. In der Zeit danach erlebte das Werk eine neue Blüte und beschäftige mehr als 2.000 Menschen. Im Werk wurde auch weiterhin geforscht, beispielsweise durch Arthur Zitscher (Prämierung in der Fachwelt für „Naphtol AS“) und Leopold Laska. Später wurde das Sozialgebäude an der Friedhofstraße errichtet. 1924 verzeichnete das Werk bereits 2.300 Mitarbeiter.

Aufgrund der Reparationsleistungen nach dem Ersten Weltkrieg und der zunehmenden Konkurrenz auf dem Weltmarkt geriet die deutsche Farbenindustrie in die Krise. In der Folge schloss sich das Werk 1925 mit anderen deutschen Unternehmen zur IG Farben zusammen. In Offenbach arbeiteten seinerzeit nur noch 550 Mitarbeiter. Nach 1933 stieg wieder die Nachfrage nach Farbstoffen und sorgte für einen Ausbau- und Modernisierungsschub im Offenbacher Werk, das nach dem Zweiten Weltkrieg zu 70 Prozent zerstört war. Die Amerikaner zerschlugen die IG Farben und schlossen die Fabrik, in der sie anschließend kurzfristig ein Depot für Beutekunst betrieben. Ab 1946 stellte die nun eigenständige Naphtol-Chemie die kriegsbeschädigten Produktionsanlagen wieder her. 1953 wurde das Unternehmen von den Farbwerken Hoechst übernommen, die den Standort ab 1961 für die Trevira-Produktion ausbauten. Dies führte unter anderem zu einer Erweiterung in das Kuhmühltal (ein ehemaliger Altarm des Mains), wofür das Gewässer verrohrt und weit aus seinem natürlichen Bett verlegt wurde. Ab 1970 fand auch wieder eine „Blau“-Produktion statt.

Nach mehrfachen Umfirmierungen in den folgenden Jahrzehnten wurde die chemische Produktion am 31. März 2010 mit der Schließung des letzten Betriebs („Blau“) am Standort Offenbach eingestellt. Den Betrieb hatte Clariant zuvor an Allessa verkauft, so dass Clariant selbst schon vor der Standortschließung gar keine Produktion mehr betrieb, da der Standort keine Perspektive für ein Chemiepark-Konzept wie beispielsweise in Frankfurt-Höchst bot.  Allessa war Pächter und zuletzt der Betreiber des Standorts, zog sich dann aber vorzeitig aus seinem Pachtvertrag und Offenbach zurück, um sich am Standort Fechenheim zu konzentrieren.

Der langjährige Niedergang des Chemiestandorts Offenbach begann mit dem Umbau des Hoechst-Konzerns 1994 und den Verkauf einiger Betriebsanlagen an Clariant 1997. Im Frühjahr 2003 wurde der Naphtol-Betrieb von Allessa geschlossen. Weitere Schließungen chemischer Produktionsstätten folgten 2006, 2007 und 2009 mit dem wichtigen Invista-Betrieb.

Zwischenzeitlich sind fast alle Fabrikanlagen abgerissen worden. Vereinzelte denkmalgeschützte Gebäude wie der Verwaltungsbau sollen in die geplante Neubebauung des Gewerbegebietes einbezogen werden. Als Zwischennutzungen auf dem brach liegenden Gelände siedelten sich ab 2007 einzelne kleinere Firmen und Existenzgründer an. Zuletzt entstand auf dem Gelände das Holzpelletwerk der Energieversorgung Offenbach (EVO).

Der Niedergang des Standorts dokumentiert auch die Entwicklung der Arbeitsplätze. In der Spitze sollen bis zu 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Areal beschäftigt gewesen sein. Zeitungsberichten zufolge waren im Jahr 1982 im Offenbacher Werk der Hoechst AG etwa 2000 Mitarbeiter/innen nachweisbar. Im Jahr der Zerschlagung von Hoechst, 1997, waren demnach noch 748 Mitarbeiter/innen bei „Cassella“ im Offenbacher Werksbereich tätig. Laut der Quelle „Das Oehler-Werk in Offenbach. Historische Ansichten einer Industrie-Ikone“ von Rainer Conrad verzeichnete der Allessa-Standort 1994 noch 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bis zur Standortaufgabe sank diese Zahl kontinuierlich auf zuletzt 60 im Jahr 2010. Konkrete Personalangaben der Firmen liegen der Stadt allerdings nicht vor. Zur Höhe der Gewerbesteuer ist die Stadt zum Schweigen verpflichtet, dementiert aber auch nicht die stetig kursierende Vermutung, dass hier ein positiver Beitrag zur wirtschaftlichen Situation der Stadt geleistet wurde.


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