Beschreibung
„Es gibt einen Gott zu strafen und zu rächen!“ Mit diesem Schiller-Zitat endet ein Brief von Klara Hohenwarter im Jahr 1942 an den Betriebsobmann der IG Farben Offenbach a.M.. Es ist das verzweifelte Aufbegehren einer Frau, deren Raum zum Leben immer enger gemacht wurde. Hilflos musste sie mit ansehen, wie ihr Mann Max wegen ihrer jüdischen Herkunft auf der Arbeit schikaniert und ihre Tochter in der Schule drangsaliert wurde. Zweimal versuchte sie, in den Tod zu fliehen. Sie musste mit ihrer Familie die Wohnung wechseln, um den täglichen Gemeinheiten der Mitbewohner zu entgehen. Ihrem Mann wurde nach Jahrzehnten Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt. Die Familie verlor auch die neue Wohnung.
1944 wurde Klara im Zuge der „Lösung der Mischehenfrage“ von der Gestapo in Darmstadt inhaftiert und am 9. Mai in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Der Lagerkommandant teilte Max Hohenwarter kurz und knapp mit: „Ihre Ehefrau […] ist am 11.12.1944 an den Folgen von Herzschwäche im hiesigen Krankenhaus verstorben. Die Leiche wurde im staatlichen Krematorium eingeäschert.“
Klara wurde am 26. Mai 1897 in Mühlbach in eine jüdische Familie hineingeboren. 1904, im Alter von knapp 7 Jahren, zog sie mit ihren Eltern und ihren sieben Geschwistern nach Offenbach. Nach Schule und Ausbildung arbeitete sie als Buchhalterin bei der Frankfurter Firma Dreyfuß & Moritz und verliebte sich in den Katholiken Max Hohenwarter. 1922 heirateten die beiden. Klara entschied sich, zum Katholizismus zu konvertieren. 1930 ließen Klara und Max ihre Tochter Ruth von Pfarrer Griesheimer in der Pfarrgemeinde St. Paul taufen. Und selbst im Staatspolizeigefängnis bewegte sie die Frage, wer wohl an „Maria Maienkönigin“ in St. Paul den Altar schmücken wird.
Max wird später berichten, dass Klara die ganze Entwicklung gegen die Juden vorausgesehen habe. Sie sei auch von den Mitbürgern nicht mehr geachtet worden und habe sich dies alles so zu Herzen genommen, dass sie schließlich an seelischen Depressionen litt. Am Tag nach den großen Maiaufmärschen 1933 schnitt sie sich die Pulsadern an beiden Handgelenken auf. Im Krankenhaus wurde festgehalten, sie habe sich sehr aufgeregt über politische Sachen und fürchte, ihr Mann würde seine Stellung verlieren.
Seit 1934 überzog die Gestapo die Familie mit ständigen Hausdurchsuchungen. Seine Kolleginnen und Kollegen, die sich nun „Gefolgschafts-mitglieder“ nannten, ließen nichts unversucht, Max Hohenwarter wegen seiner Liebe zu Klara aus seiner Arbeitsstelle zu verdrängen. Wiederholt versuchten sie, die Betriebsleitung zu überzeugen, das Arbeitsverhältnis mit Max zu lösen. 1937 schalteten sie sogar die NSDAP-Ortsgruppe Rohrmühle ein und warfen Max unter anderem vor, er habe sie am Hören einer Führerrede während einer Arbeitspause gehindert.
Die Betriebsleitung wies solche Vorwürfe immer wieder als absurd zurück: „Die Tatsache, dass H. jüdisch versippt ist, gibt keine Veranlassung, ihn von seinem Dienste […] zu entfernen oder sonstwie zu behelligen. Ein etwaiges Verlangen einzelner Gefolgschaftsmitglieder in dieser Richtung ist streng zurückzuweisen. Solange eine staatliche Stelle bzw. Gesetze nicht ausdrücklich die Beschäftigung jüdisch Versippter verbieten, sollte vonseiten der Firma nichts getan werden.“
Noch 1941 heißt es in einer Stellungnahme: Max Hohenwarter „ist fleißig, energisch, zuverlässig und einsatzbereit. […] Die Art seiner Tätigkeit [als Werkschutzleiter] bringt es mit sich, dass er Anfeindungen ausgesetzt ist. Zu seinen Pflichten gehört es eben, Unregelmäßigkeiten abzustellen oder solche höheren Orts zur Meldung zu bringen. […] H. hat sich bis jetzt im Dienste kein Versäumnis zuschulden kommen lassen. Ein solches ist auch für die Folge kaum zu erwarten.“
Dennoch verbot sie Ruth und Klara die übliche Teilnahme von Familienmitgliedern an Werksveranstaltungen und wies die Familie Anfang 1938 an, angesichts der Auseinandersetzungen zwischen den Mietparteien von der Mühlheimer Straße 30 in eine andere Betriebswohnung in der Mainstraße 163 umzuziehen.
Im November 1939 versuchte Klara ein zweites Mal, in den Tod zu flüchten. Die jahrelangen Schikanen hatten längst dazu geführt, dass sie „vollkommen zurückgezogen“ lebte, wie die Betriebsleitung schreibt. „Sie scheint die Straße nur noch ganz selten zu betreten.“ Und längst wurde Max auch von seinem Arbeitgeber nahegelegt, sich doch einfach von Klara scheiden zu lassen.
Auf Druck des Rüstungskommandos versetzte die IG Farben Max im Juli 1941 von dem Posten des Werkschutzleiters in das Lohnbüro. Im Januar 1942 folgte die Aufforderung, die firmeneigene Werkswohnung umgehend zu räumen. Max´ Widerspruch hielt die Betriebsleitung nun für „ausfallend, anmaßend und sogar drohend“, das Verhalten seiner Frau neuerdings für „maßlos arrogant und unverschämt“.
Am 14. Februar folgte die fristlose Kündigung wegen „1. Widersetzlichkeit im Dienst, 2. Aussprechung versteckter Drohungen gegen Vorgesetzte, 3. unbotmäßiges Verhalten und 4. allgemein Gefährdung des Arbeitsfriedens.“
Ein Rechtsanwalt wurde mit der Zwangsräumung der Wohnung beauftragt.
Im August 1942 zogen Klara, Max und Ruth Hohenwarter in die Senefelderstr. 49. Dort hielt Anfang November 1944 um 14 Uhr ein Wagen der Gestapo und nahm Klara mit, die mit doppelseitiger Lungenentzündung im Bett lag. In einem ihrer letzten Briefe aus dem Staatspolizeigefängnis in Darmstadt an „Maxl“ und „mein liebes Ruthlein“ heißt es: „Mein liebes Kind! Oft denke und bete ich für Dich, dass Du Deinen lieben Herrgott nicht vergisst, denn Kindergebet dringt durch die Wolken und Du, mein lieber Maxl, vergisst mich bestimmt nicht im Gebet.“
Stolperstein für Klara Hohenwarter, geb. Rosenberg
Mainstraße 163
63065 Offenbach