Eine "Stele der Erinnerung" füllt die topographische Leerstelle in der Hintergasse
Einen ehemaligen „Fast-Nicht-Ort“ nennt Professor Wolfgang Luy von der Hochschule für Gestaltung (HfG) die Hintergasse in Offenbach, der Vorsitzende der Max Dienemann/ Salomon Formstecher Gesellschaft Anton Jakob Weinberger spricht von einer topographischen Leerstelle und Oberbürgermeister Horst Schneider von der Aufforderung zu Verantwortung und Toleranz: seit Donnerstag weist eine „Stele der Erinnerung“ an der freigelegten und restaurierten Ostwand der früheren Synagoge auf die Anfänge jüdischen Lebens in Offenbach hin.
Mehr als 200 Jahre waren die Straßen um die Synagoge in der „Großen Marktstraße“ Zentrum jüdischen Lebens, in denen viele jüdische Kaufleute bis zur Vertreibung durch die Nationalsozialisten Geschäfte und Betriebe unterhielten. In der Synagoge Ecke Hintergasse und der bis 1822 „Große Judengasse“ genannten Marktstraße wirkte mit dem Rabbiner Dr. Salomon Formstecher einer der Gründungsväter der jüdischen Reformbewegung, der im Oktober 1882 erster jüdischer Ehrenbürger der Stadt Offenbach wurde. Die Synagoge wurde 1916 geschlossen, 1919 musste das Gebäude einem Kinoneubau weichen. Bis vor wenigen Jahren auch im „Gloria-Kino“ der letzte Vorhang fiel und die Geschichte des Gebäude in der Hintergasse von weiterer Patina überlagert wurde.
In den vergangenen Monaten wurde die Liegenschaft vom Eigentümer Rolf Wille nicht nur aufwendig saniert und die Gewerbefläche neu vermietet, sondern im Schulterschluss mit dem Amt für Stadtplanung und Baumanagement auch die Ostwand der früheren Synagoge freigelegt. „Es ist gelungen“, bilanziert Wille. Nicht zuletzt habe das Amt für Stadtplanung bei Problemen schnell Lösungen entwickelt und die richtigen Entscheidungen getroffen wie etwa bei der Abstimmung der Farbe der Abschlusswand zur Verdeckung des Daches. Dass der von ihm ursprünglich für die Sanierung budgetierte Kostenrahmen nicht eingehalten wurde, schmerzt ihn nicht: „Die Wand ist recht hübsch“, meint Wille und dass sie nachträglich unter Denkmalschutz gestellt wurde, rechtfertigt den Aufwand.
„Die Ostwand der früheren Synagoge weist nach Jerusalem, an ihr befand sich der Toraschrein, in dem die Torarollen aufbewahrt wurden und das ewige Licht“, erklärt Anton Jakob Weinberger. Der Vorsitzende der Max Dienemann/ Salomon Formstecher Gesellschaft freut sich, dass die topographische Leerstelle an der ersten Station des Stadtplans der historischen Stätten jüdischen Lebens in Offenbach nun der Vergangenheit angehört. Insgesamt elf „Orte der Erinnerung“ sammelt der 2008 herausgegebene Stadtplan, elf zerstörte oder auf den ersten Blick nicht klar erkennbare Zeugnisse der dreihundertjährigen Geschichte jüdischen Lebens in Offenbach. „Aus einer gesichtslosen Durchgangsstraße am Rand der Fußgängerzone ist durch die Freilegung der Synagogenwand, die Anbringung der Informationstafeln und die Errichtung der Stele ein Erinnerungsraum geworden, in dem sich die Zeitschichten überlagern und die historischen Brüche erfahrbar werden“, so Weinberger. In der „Stele der Erinnerung“ des Absolventen Eugen El, die in Kombination mit zwei Informationstafeln auf die Geschichte der Hintergasse verweist, sieht er den biblischen Imperativ „Sachor-Erinnere dich“ gut realisiert und zitiert Aleida Assmann: „Ein Ort hält Erinnerungen nur dann fest, wenn Menschen Sorge für ihn tragen.“
Damit die Hintergasse die richtige Beachtung findet, müsse allerdings auch nochmals über die richtige Beleuchtung nachgedacht werden, meint Oberbürgermeister Horst Schneider: „Ein Lichtband anstelle der Laterne wäre optimal.“ Schließlich, so Schneider, soll der Ort auch die jüngere Generation neugierig machen und zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einladen.“
Neben Privatmitteln konnte die Freilegung der Wand mit Geldern aus dem Städtebauförderungsprogramm „Aktive Kernbereiche“ realisiert werden. Die „Stele der Erinnerung“ wurde auch mit Geldern der Dr. Marschner Stiftung möglich.