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Stadt Offenbach

1900: Der Traum von einer Strandpromenade

Auf dem Anlagenring tost Verkehr. Aber noch immer hat er Raum für Bäume, Blumen und Kinderwagen. Wie eine grüne Bauchbinde legt er sich um die Innenstadt von der Berliner Straße in einem südwärts geschwungenen Bogen bis zur Bieberer Straße. Folgt man dem „stadtgeschichtlichen Nachschlagewerk“ des Geschichtsvereins-Vorsitzenden Alfred Kurt, dann stammt die grüne Ringstraße aus der Zeit um das Jahr 1900.

Anlagenring Nähe Hessenring

Auf Tag und Stunde freilich lässt sich das nicht datieren. Das beginnende 20. Jahrhundert war eine Periode, in der die Stadt auf breiter Front nach Süden quoll, weit über die Bahnlinie hinaus, die eine Generation früher noch durch Felder führte. 1900 ist die Schule am Friedrichsplatz in Bau, die heutige Albert-Schweitzer-Schule. Weiter nach Westen ist 1894 das Stadtkrankenhaus eröffnet worden. Beide zeigen in ihrem unmittelbaren Vorfeld bereits Ansätze für den heutigen Ring. Mehr als Ansätze sind das noch nicht. Wo sich der Starkenburgring vom Krankenhaus entfernt, zeigt er sich kaum anders als ein Feldweg.

Ein anderer Ansatz stellt sich weiter westwärts im Dreieichpark dar, damals noch Stadtpark genannt. Sein Gelände hat eine eigene Geschichte. In den ganz alten Zeiten gehörte es zur historischen Biebelsmühle, die Fürst Carl von Isenburg 1807 seinem verdienten Minister Goldner überließ. Den westlichen Teil erwarb 1859 die Stadt. Auf dem östlichen hatte sich die Wagenfabrik Dick & Kirschten etabliert. Aus ihr wurde später eine private Frauenklinik, alten Offenbachern vertraut als Greinische Klinik, dann als Klinik Dr. Raub. Heute stehen dort Wohnungsburgen.

Noch heute zeugt ein Beton-Bogen von der Landesausstellung

Den städtischen Teil nutzte Offenbach 1879, um sich mit einer Landesausstellung als „die Werkstatt des Großherzogtums Hessen-Darmstadt" darzustellen. Von ihr bleiben Erinnerungen an erste Begegnung mit elektrischem Licht und konkret die seltsam anmutenden Betonelemente inmitten des Parks. Sie demonstrierten 1879 die Möglichkeiten des neuen Baustoff Betons. Man hat sie erhalten, als die Stadt später das Ausstellungsgelände als Grünanlage gestaltete.

Es gab also bereits Teilstücke, als die Stadtväter 1902 die Herstellung eines großzügig gestalteten Anlagenrings beschlossen. Er wuchs kontinuierlich. 1906 mit dem Isenburg Ring, 1907 mit dem Starkenburgring, 1908 dem Friedrichsring samt Weiher. Äcker und Wiesen wurden zu goldnem Boden. Alte Vermögen ließen anlegen, neue sich bilden. Es wurde chic dort zu bauen und zu wohnen, denn die Stadt verband die Verkehrsstraßen mit großzügig begrünten Promenaden. Zeitgenössische Berichte schwärmen von „berauschenden Blumenbeeten".

Noch war der Ring nicht geschlossen, als der Erste Weltkrieg die städtebauliche Entwicklung unterbrach. Erst Mitte der 20er Jahre folgten der August-Bebel-Ring und der Hessenring mit seinen Kastanien, an den sich dann der Landgrafenring anschloss.

Als "Vater der Offenbacher Grünanlagen" gilt Leonhard Eißnert, dessen Andenken mit dem Leonbard-Eißnert-Park auf dem Bieber Berg gewahrt wird. Als er 1906 in sein Amt gewählt worden war, erregte seine Bestätigung durch den Darmstädter Großherzog das konservative Deutschland bis hinauf zum Kaiserhof. Denn Eißnert war der erste sozialdemokratische Beigeordnete in einer deutschen Stadt. Den Fürsten, der das zugelassen hatte, bezeichnete man fortan als den „roten Großherzog von Hessen“. Eißnerts Gestaltungen haben eine Vorgeschichte. Bereits 1842 hatte eine Bürgerinitiative eine Umfassungsstraße gefordert, "welche demnächst eine Promenade bilden soll". Die Flanierstraße sollte rund um den Stadtkern vom Main zum Main fuhren. Mitglieder der Gesellschaft zur „Anlegung eines Spazierwegs um die Stadt" spendeten Geld, um der Verwaltung Grundstückskäufe für das Projekt zu ermöglichen.

Pavillion im Dreieichpark

Die Promenade, die so entstand, hatte nicht den Verlauf des heutigen Anlagenrings. Sie wich inzwischen der Bebauung, wie die großzügigen Gärten, die sich in der Innenstadt des alten Offenbach hinter den Straßenfronten ausdehnten. August-Bebel-Ring und Parkstraße können als Reste bezeichnet werden. Aber in ihrer Verlängerung beult der heutige Anlagenring viel weiter aus. Und er war gerade geschlossen, als bereits ein weiterer Ring zu planen war: die Verkehrsachse Taunusring, Odenwaldring, Spessartring, Rhönstraße.

Von Lothar R. Braun, veröffentlicht in der Offenbach Post

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