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Stadt Offenbach

2011: Das letzte Licht erlosch - Bei Goldpfeil endete eine spannende Firmengeschichte

Das 1913 fertiggestellte einstige Goldpfeil-Haus an der Offenbacher Kaiserstraße ist verwaist. Auf dem Fabrikgelände finden selbst die Mäuse nichts mehr zum Knabbern. Am 29. Januar 2011 um 18 Uhr gingen nun auch im so genannten Outlet-Store endgültig die Lichter aus. Zu reduzierten Preisen waren dort noch Lederwaren verschiedener Marken feilgeboten worden.

Feintäschner bei der Arbeit

Mit den restlichen Waren wurden auch die Museumsstücke abtransportiert, die man im hinteren Teil des Ladens betrachten konnte: Überseekoffer, Handtaschen, Börsen und Necessaires im Geschmack des frühen 20. Jahrhunderts. Dem Vernehmen nach gehen sie nach Norderstedt an die „Fun Fashion Vertrieb GmbH“, eine Tochter des Tchibo-Verbunds, der aus dem Goldpfeil-Nachlass etliche Rechte erworben hat.

 

Bereits vorher verschwand vom Gelände die „Ahnengalerie“ des einstigen Familienunternehmens. Dabei handelt es sich um Porträts der Firmengründer. Oberbürgermeister Horst Schneider und Dr. Christian Rathke, der Direktor des Deutschen Ledermuseums, haben mit einem Brief an „Fun Fashion“ den Versuch unternommen, die Porträts für Offenbach zu retten. Gesichert hat sich das Ledermuseum bereits einige Dokumente aus der Goldpfeil-Vergangenheit. Sie konnten für 100 Euro vom Insolvenzverwalter erworben werden, bevor sie in den Müll wanderten.

 

In der Offenbacher Stadtgeschichte füllen das Haus und seine Gründerfamilie Krumm ein breites Kapitel. Es beginnt mit dem Feintäschner Ludwig Krumm, der 1856 mit sechs Söhnen eine kleine Produktion aufnahm. 50 Jahre danach beschäftigte das Haus 1000 Mitarbeiter, deren Produkte sich bereits die britischen und russischen Märkte erobert hatten. Der amerikanische Markt wurde in den Zwanzigern gewonnen.

 

Mit einem hohen Anspruch an Qualität und Design war die Firma Krumm zum Flaggschiff der Offenbacher Lederwarenindustrie geworden. Dazu mag eine enge Zusammenarbeit mit den Technischen Lehranstalten beigetragen haben, dem Vorläufer der Hochschule für Gestaltung. Zu ihrem Lehrkörper gehörte der Designer Prof. Leo Schumacher, der schließlich auch in den Vorstand des Unternehmens eintrat.

 

Das Markenzeichen „Goldener Pfeil“, das später auch in den Firmennamen gehoben wurde, erfand der Gründer-Nachkömmling Heinrich Krumm in der Zeit um 1930. Der charismatische „Heiner“, wie er im Haus genannt wurde, gehörte zu den deutschen Wirtschaftsführern, die nach dem Zweiten Weltkrieg dem Osthandel die Tür öffneten. Er starb 1957 bei einem Autounfall. In Bieber-Waldhof erinnert ein Straßenname an ihn.

 

Der letzte Unternehmensleiter mit dem Gründernamen war Klaus Krumm. 1969 trat der Supermarkt-König Willi Leibbrand mit einer Mehrheitsbeteiligung in Erscheinung. Da glänzte der goldene Pfeil noch. Zu seinen Ladengeschäften in deutschen Metropolen fügte Goldpfeil ein amerikanisches Netz. Wo zwischen New York und Beverly Hills die Reichen und Schönen lebten, war eine Goldpfeil-Filiale nicht weit. Im Dreiklang von Material, Funktion und Gestalt wurden an der Kaiserstraße Offenbacher Lederwaren zum Prestigeobjekt veredelt. Und wer dort arbeitete, zählte zur Aristokratie der heimischen Babbscher.

 

In den Neunzigern indes zeichnete sich ein Niedergang ab. In immer kürzeren Abständen wechselte das Management. Da mochte es hoffnungsvoll stimmen, dass 1998 eine Fusion mit der an der Hongkonger Börse gelisteten Lifestyle-Gruppe Egana zustande kam. Das Haus an der Kaiserstraße wurde die Europazentrale einer „EganaGoldpfeil AG“, die weltweit mit Uhren, Schmuck, Textilmode und Lederwaren der Marke Goldpfeil agierte. Die Lederwaren wurden jedoch zum größten Teil im Ausland gefertigt.

 

Der Verwaltungsbau an der Kaiserstraße erfuhr dabei eine aufwändige Renovierung. Auf dem Hinterhof entstand eine gläserne Ausstellungshalle für die Konzernprodukte. Dann aber, im Jahr 2007, erlag der Egana-Eigner Hans-Jörg Seeberger einem Herzinfarkt. Am 21. August 2008 meldete die EganaGoldpfeil Insolvenz an. Zu Weihnachten 2010 tauchten Lederwaren der Marke Goldpfeil im Sortiment der Tchibo-Kette auf. Das Firmengelände an der Kaiserstraße geriet in die Hände von Immobilien-Verwertungsgesellschaften.

 

Transparent geworden sind diese Abläufe nie. Ein würdevoller Tod war Goldpfeil nicht vergönnt.

                                                                                                                        Lothar R. Braun

Goldpfeil in den dreißiger Jahren
Georeferenzierung

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