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Stadt Offenbach

1971: Einweihung des Offenbacher Rathauses. Seine Qualitäten sind heute vielfach verkannt

Offenbachs höchstes Gebäude ist das knapp 72 Meter hohe Rathaus schon seit Jahren nicht mehr. Diesen Rekord hält seit 2003 der City-Tower, der 121 Meter in die Höhe ragt. Doch noch immer ist es imposant, wie sich der dreieckige Rathausturm auf schlanken Ständern über den breiten Unterbau erhebt. Als selbstbewusster Ausdruck kommunaler Selbstverwaltung wurde das Rathaus am 10. Juli 1971 eingeweiht.

Die Sonne scheint durch die Bürohochhäuser Haus der Wirtschaft, links das Rathaus. © Stadt Offenbach / Peter Northe Light Factory Pictures

Endlich ein "richtiges" Rathaus

Zentral ist seine Bedeutung als Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger. Das Rathaus kennt in Offenbach jedes Kind. Warum es allerdings in den Rang eines Denkmals erhoben wurde, mag vielen nicht recht einleuchten. Viel Beton, na und ?, mag mancher denken. Und doch ist das Offenbacher Rathaus das Ergebnis vieler kluger Überlegungen. Es ist typisch für seine Zeit und doch auch etwas Besonderes - für Offenbach allemal.

Denn Offenbach hatte zuvor nie ein "richtiges" Rathaus, ein Gebäude, das eigens zum Zwecke der bürgerschaftlichen Verwaltung errichtet worden wäre. In Offenbach hatte die Administration immer in umfunktionierten Gebäuden logieren müssen: Ihr letzter zentraler Sitz war das 1943 bei einem Bombenangriff zerstörte Büsingpalais gewesen. Nach dem Krieg verteilten sich die städtischen Ämter viele Jahre lang auf bis zu 20 verschiedene Standorte.

Schon in den 1950er Jahren hatten darunter sowohl Bürger als auch Mitarbeiter zu leiden, weshalb die Politik ab 1956 über ein neues Rathaus nachdachte. 1959/60 wurde innerhalb der Verwaltung ein Raumprogramm für einen zentralen Rathausneubau erarbeitet. Man ging von einem Flächenbedarf von rund 8000 Quadratmetern aus. Im Oktober 1961 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, einen mit 50.000 D-Mark dotierten Ideenwettbewerb auszuschreiben. Nur gut ein Drittel der angefragten Architekten reichten tatsächlich Entwürfe ein. Mehr als die Hälfte der 84 Wettbewerbsteilnehmer kamen aus Frankfurt am Main. Dem Preisgericht unter Vorsitz von Wilhelm Wichtendahl, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Architekten (BDA), gehörte neben Stadtbaurat Adolf Bayer, Oberbürgermeister Georg Dietrich und Stadtverordnetenvorsteher Walter Frank, auch Paul Posenenske an. Als Leiter des Staatsbauamtes in Offenbach hatte er in den 1950er Jahren den Wiederaufbau des Isenburger Schlosses geleitet und das Gebäude des Deutschen Wetterdienstes entworfen.

Ausgearbeitet und realisiert wurde schließlich der Siegerentwurf der Architektengemeinschaft Maier, Graf, Speidel aus Stuttgart. Nicht nur in Offenbach zeichnete sich zu jener Zeit der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft ab. So sollte das neue Rathaus eine Antwort auf die Nachfrage nach mehr Bürger-Service sein: Die publikumsintensiven Ämter, allen voran das Standesamt sollten ihr neues Domizil im leicht zugänglichen Erdgeschoss erhalten. Auch entsprach es dem Zeitgeist, nach architektonischen Ausdrucksformen demokratischer Prinzipien zu suchen. So bilden die Räume für Parlament und Fraktionen gleichsam die Basis des Offenbacher Rathaus-Komplexes: Die Legislative als Grundlage des Verwaltungshandelns. Auch bei der Gestaltung des Stadtverordnetensitzungssaales haben sich die Architekten von demokratischen Überlegungen leiten lassen. Die Zuschauertribüne ist seitlich angeordnet, so dass interessierte Bürger sowohl das Präsidium als auch die Parlamentarier im Blick haben.

Funktionalität und ein Ort für soziales Leben

Der Dienstleistungscharakter des Offenbacher Rathauses hat sich in seiner fast 50-jährigen Geschichte als ausbaufähig erwiesen: Ganz im Sinne der Architekten wurde im Jahr 2000 das Bürgerbüro im Erdgeschoss untergebracht, den Bürgern damit ein leichter Zugang zur wichtigsten städtischen Servicestelle ermöglicht. Aus Platzgründen zog die Einrichtung im Herbst 2018 um in die Kaiserstr. 39 (ehemaliges Goldpfeilgebäude). Ein Mittelpunkt des öffentlichen Lebens ist das Rathaus bis heute: Von allen vier Seiten her zugänglich, ist das Foyer mit seinen Galerien und Freitreppen ein offener, kommunikativer Ort, wo regelmäßig Ausstellungen und Empfänge stattfinden.

Die Einsicht, dass gerade öffentliche Verwaltungsgebäude auch Orte sind, an denen sich soziales Leben abspielt, hatte sich zu Beginn der 1960er Jahre durchgesetzt. Funktionell sollte ein solcher Bau allerdings auch sein. Wie durchdacht das Offenbacher Rathaus ist, mag selbst regelmäßige Besucher überraschen. 80 Prozent des Gebäudes werden als reine Verwaltungsräume genutzt. Im Innenkern des Hochhauses brachten die Architekten die Aufzugsanlagen sowie Toiletten unter.

Die Wände zu den Fluren hin wurden ursprünglich als Wandschränke, teilweise sogar mit Handwaschbecken, konzipiert. Die gesamte Stark- und Schwachstromversorgung, also Steckdosen-, Telefon- und Computerkabel verlaufen unterhalb der Fensterbrüstung. Der Kabelkanal kann einfach durch Herunterklappen der Fensterbank freigelegt werden. Bewusst sparten die Planer beim Anbringen der Jalousien ein Oberlichtband aus, durch das Sonnenlicht einströmen sollte, um die Stimmung zu heben, ohne zu stören. Die düsteren Holzwände passen hingegen heute nicht mehr zum Bild einer modernen transparenten Verwaltung. Was an dem Gebäude jedoch bis heute besticht, ist die optimale Raumausnutzung. Und auch die Art der Betonverarbeitung ist ungewöhnlich: An sämtlichen Betonflächen sind die Strukturen verwendeter Schalbretter / Schalhölzer sichtbar, was dem Baustoff eine fast organische Wirkung verleiht, die in der heutigen Zeit nur noch künstlich mit Hilfe eingelegter Strukturmatrizen erzeugt werden kann, was immer mit Zusatzkosten verbunden ist.

Dass nicht alle Ideen der Architekten in die Tat umgesetzt wurden, war auch in den 1960er Jahren bereits den knappen Kassen geschuldet. Im Mai 1964 beauftragten die städtischen Gremien die Wettbewerbssieger mit der weiteren Ausarbeitung ihres Entwurfs. Als jedoch etwa ein Jahr später eine Bausumme von rund 36 Millionen Mark im Raum stand, fing man an, Abstriche zu machen. Unter anderem wurde die für eine spätere Erweiterung vorgesehene Fläche um die Hälfte reduziert. Inzwischen war nämlich auch absehbar geworden, dass die Bevölkerung nicht mehr so rasant weiterwachsen würde wie in den Jahren zuvor. 1961 zählte Offenbach 118.000 Einwohner. Diese Zahl ist bis heute weitgehend konstant geblieben.

Auch die Architektur, insbesondere des Basisgebäudes, wurde gegenüber dem Wettbewerbsentwurf vereinfacht. Und zum Leidwesen von Generationen städtischer Bediensteter wurde auch auf eine Vollklimatisierung verzichtet, denn das hätte nicht bloß den technischen Aufwand erhöht. Auch die einzelnen Stockwerke hätten höher gebaut werden müssen. Am Ende stimmten die Stadtverordneten im Dezember 1967 einer Planung mit einem Investitionsvolumen von rund 23,9 Millionen D-Mark zu. Im Juli 1968 wurde der erste Spatenstich ausgeführt.

Auf den Standort hatte man sich inzwischen geeinigt. Verworfen worden war die Idee, das Rathaus nördlich der Domstraße im Bereich des Büsingparks zu errichten. Stattdessen sollte das Rathaus möglichst mitten in der Stadt stehen und eng mit der City verbunden sein. Deren Entwicklung, insbesondere die Gestaltung eines Stadthofs mit Platanenhain, Kinderspielplatz und Ruhebänken wurde durch diese Entscheidung enorm befördert. "Der Wahl des Standortes des Rathauses im Herzen der Stadt kommt eine besondere Symbolkraft zu, da hier im Schnittpunkt aller gesellschaftlich wirkenden Kräfte dem Willen zur städtebaulichen Neugestaltung sichtbarer Ausdruck verliehen wird", heißt es in der Urkunde zur Grundsteinlegung.

Fast auf den Tag genau wurde die vereinbarte Bauzeit von zweieinhalb Jahren eingehalten. Für zusätzlich 2,6 Millionen D-Mark war auch eine Tiefgarage mit 135 Stellplätzen angelegt worden. 13.000 Kubikmeter Beton und mehr als 1300 Tonnen Stahl waren zum neuen Offenbacher Rathaus mit einer Nutzfläche von 12.000 Quadratmetern verbaut worden. Im Dezember 1970 zogen die ersten Ämter ein. Am 10. Juli 1971 feierte die Stadt die Einweihung.

Kantine mit Panoramablick

In den ersten Jahrzehnten konnten die städtischen Bediensteten ihre Mittagspause in der Speisesaal-Etage im 14. Stock genießen. Mit fast bodentiefen Fenstern bot die Kantine ein bisschen den Luxus eines Panorama-Restaurants. In der obersten Etage befand sich die Küche, in der bis zu 1000 Essen zubereitet werden konnten. Inzwischen sind im 14. Stock längst Büros untergebracht. Die Rathaus-Kantine befindet sich nun im 15. Stock und ist öffentlich zugänglich. Das Panorama ist sensationell. Der Blick reicht über die gesamte Stadt. Grund genug, dass sogar die studentisch geführten OFlovesU-Esskult(o)uren eine Einkehr auf der Dachterrasse des Rathauses einschließen.

Auf Beschluss der Stadtverordneten vom 6. Mai 2004 wurde im Jahr 2005 mit der brandschutz- und gebäudetechnischen Sanierung des Rathauses begonnen. Sie ist in neun Bauabschnitte aufgeteilt und erfolgt im laufenden Betrieb.

Als Ausdruck von Großspurigkeit wird heute wohl keiner mehr das Rathaus werten. In der Planungs- und Bauphase gab es diese kritischen Stimmen durchaus. Zu Unrecht, wie der Lokaljournalist Lothar R. Braun schon damals fand. Er betrachtete das Gebäude als identitätsstiftenden Beitrag zur Stadtgemeinschaft. Bürgerinnen und Bürgern riet er, das Gebäude zu erkunden - auch abseits der üblichen Behördenwege. "Jeder Schritt verschafft neue Einsichten und Perspektiven. Das Raumerlebnis wird fortwährend verändert", schwärmte Braun und fügte erläuternd hinzu: "Ein solches Bauwerk übt einen Sog aus. Er wirkt als Herausforderung, zwingt zu Engagement, zu Kontakt, Auseinandersetzung und Stellungnahme."

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