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Stadt Offenbach

»Alles erliegt der scharfen Sense der Zeit«

Jenes durch Sophie von La Roche in Offenbach am Main bis zu ihrem Tode bewohnte Haus lag als damals vorletztes Gebäude an der Nordseite der Domstraße am westlichen Ortsrand. Als sie es 1786 bezog, war es erst wenige Jahre alt. Als Vorbesitzer und einziger Bewohner läßt sich über das Einwohnerverzeichnis Offenbachs von 1784 ein Maurermeister Günther feststellen.

Auch auf einem Lageplan, den Baukommissar Johann Caspar Nicks im selben Jahr vom nordwestlichen Stadtteil Offenbachs anfertigte,(1) ist zu sehen, daß Günther hier eine große, später in mehrere Parzellen aufgeteilte Fläche gehörte, beschriftet als »noch offenes Bau-Quartier«.(2)

Unauffällig eingefügt

In seinen schlichten Bauformen entsprach das Wohnhaus der La Roche einem damals weit über Offenbach am Main hinaus in ganz Südwestdeutschland verbreiteten spätbarocken Haustyp. Von mittlerer Größe und allseitig umgehbar, fügte es sich unauffällig in die damals recht einheitlich bebaute Häuserzeile der Domstraße ein. Frau von La Roche selbst bezeichnete ihr Heim gerne als kleine Hütte mit Gärtchen oder als ihre »Grillenhütte«, ob aus Understatement, Koketterie oder Enttäuschung über die als eingeschränkt empfundenen Lebensverhältnisse sei dahingestellt. Für Offenbacher Verhältnisse war das Haus ein zwar nicht besonders großartiger, doch durchaus standesgemäß anzusehender Alterswohnsitz für einen zurückgezogen lebenden ehemaligen Staatsrat.(3) Zu den Vorzügen des Anwesens gehörte ein großer Garten, den Herr von La Roche gleich nach dem Einzug nach seinen Vorstellungen mit Bäumen und Blumen bepflanzen ließ und der rückseitig an die schönste und größte Parkanlage der Stadt angrenzte, den Familien Bernard und d’Orville gehörend. Auch die direkte Nachbarschaft, nämlich auf der westlichen Seite das kleine Wohnhaus des Musikverlegers Johann André sowie östlich das größere Wohn- und Geschäfthaus von dessen Sohn Hofrat Johann Anton André, war respektabel und versprach dem Ehepaar La Roche künftig angenehmen gesellschaftlichen Umgang.

Wohlgestaltetes Erscheinungsbild

Solide mit steinernen Außenmauern über einem gewölbten Keller gebaut, besaß das La Rochesche Haus ursprünglich zwei Stockwerke und darüber ein hohes ausgebautes Mansardendach. Obergeschoß und Dachstock hatten je fünf Fenster. Im Erdgeschoß lag in der mittleren Achse zwischen vier Fenstern die Haustüre und davor eine kleine Freitreppe, um den Niveauunterschied zur Straße auszugleichen.(4) Es waren vor allem die klare Symmetrie und die Proportionen, die der Fassade ein wohlgestaltetes Erscheinungsbild verliehen; auf Bauschmuck wurde weitgehend verzichtet. Unbekannt ist, ob die Außenmauern ursprünglich verputzt waren, oder ob der rote Sandstein des Mauerwerks zu sehen war – bei den Fassaden besserer Wohnhäuser in Offenbach vor 1800 vielfach üblich.

Betrat man das Haus von der Domstraße her, kam man zuerst in eine lange, breite und nur durch die Oberlichter über den Türen erhellte Diele, die im Erdgeschoß das ganze Gebäude durchzog. Vorne, nahe der Haustür, lagen beiderseits dieses geräumigen Flures zwei große Zimmer mit je zwei Fenstern zur Straße hin, geeignet, Gäste zu empfangen. Daran schlossen sich in der Tiefe des Hauses weitere Räume an; in einem war die Küche untergebracht. Am hinteren, nördlichen Ende der Diele befand sich die Türe, die hinaus in den Hof sowie den daran anschließenden Garten führte. Daneben lag innen im Gebäude die Treppe hinauf in das obere Stockwerk. Dort wiederholte sich die Anordnung der Räume, allerdings war die Diele zum Vorplatz verkürzt und stattdessen eines der beiden straßenseitigen Zimmer saalartig vergrößert. Durch Verbindungstüren entstand eine Enfilade schöner Wohnräume, die auch gartenseitige Zimmer einbezog.

Blick auf die Berger Höhe

Über die spezielle Nutzung sowie Einrichtung einzelner Räume ist wenig bekannt. Der Unterricht, den Frau von La Roche den seit 1798 weitgehend bei ihr lebenden Enkelinnen Bettine, Lulu und Meline erteilte, fand in einem Wohnzimmer statt. Vom Bibliothekszimmer aus, wo sich wohl auch die Mineraliensammlung des Herrn von La Roche sowie Bilder seiner Gemäldesammlung befanden, konnte man hinüber auf die ferne Berger Höhe sehen; ein Hinweis, daß dies wohl der nordwestliche, im Obergeschoß gelegene Raum war.(5) Vermutlich befand sich in diesem Stübchen in den Jahren vor 1799, als die La Roche ihr Buch ›Mein Schreibetisch‹ verfaßte, auch ihr Arbeitsplatz, umgeben von ihr wichtigen Büchern und Bildern nahe bei einem Fenster, welches einen Ausblick auf ihren Hühnerhof bot.(6) Ganz oben im Dachstock gab es weitere kleinere und niedrige Räume mehr intimeren Charakters. Hier wohnten die Enkelkinder als Dauergäste. Wo die Tochter Louise Möhn, die nach der Scheidung 1789 bei ihrer Mutter eingezogen war, ihr Refugium hatte, oder wo als zeitweiser Logiergast der junge von Bethmann und sein Erzieher untergebracht wurden, ist unbekannt. Die hochbetagte Nichte Cordula (»Kordel«), die als mittellose Verwandte Georg Michael Frank von La Roches ebenfalls zum Haus gehörte, schlief, wie Bettine berichtete, in einem Wohnraum des ersten Stocks im Ledersessel.

Akazien und Aprikosen

Eine wichtige Rolle spielte in Bettine Brentanos Erinnerungen sowie Sophie von La Roches Schriften der Garten. Von hohen Mauern umgeben, begrenzte ihn nach Norden als grüne Wand zusätzlich eine Reihe immer höher wachsender Pappeln. Akazienbäume, Aprikosen- und andere Obstgewächse, Reben, eine Geißblattlaube und Blumen erfreuten das Auge. Daneben gab es umfangreiche Nutzbeete mit Bohnen, Kohl, Salat, Petersilie und Kartoffeln, die ein Gärtner bestellte. Auch die Enkelinnen übernahmen etwas Gartenarbeit, schließlich legte Frau von La Roche bei deren Schulbildung großen Wert auf die Lektüre von Büchern über Gartenökonomie. Für Bettine waren Gestaltung und Ordnung des Gartens bis hin zu den sorgsam aufgestapelten Holzvorräten Ausdruck des großmütterlichen Schönheitssinns.

Als 1808 nach Abwicklung der Nachlaßangelegenheiten auch das Haus der verstorbenen Frau von La Roche versteigert wurde,(7) eine damals übliche Form der Wertfeststellung bei der Veräußerung von Immobilien, gab es durch die Zeitumstände kaum Interessenten für teure Wohnhäuser. Der Käufer, ein Mitglied der großen Familie Pfalz, erwarb es, um sein Gasthaus »Isenburger Hof« hierher zu verlegen. Doch auch im Gastgewerbe gingen, beeinträchtigt durch die Napoleonischen Kriege, die Geschäfte nur schleppend, und schon nach wenigen Jahren übernahm Georg Ziegler den Betrieb. Mit sommerlichen Musikveranstaltungen im Garten, einer Kegelbahn und Fuhrbetrieb in die Nachbarstädte versuchte er, sein Einkommen aufzubessern, vergebens, wie der Konkurs 1823 zeigte, als er das Haus veräußern mußte und mit der Wirtschaft in die Geleitsstraße zog. Der nächste Eigentümer hätte der Frau von La Roche wohl besser gefallen, denn der evangelische Pfarrer Johann Balthasar Spieß benötigte Haus und Garten, um seine Knabenerziehungsanstalt unterzubringen. Spieß und seine Ehefrau waren offen für pädagogische Neuerungen und seine Privatschule eine der ersten, in der regelmäßiges Schulturnen stattfand. Schriftstellerisch tätig, gab er überdies die ›Allgemeine Älternzeitung zur Beförderung einer besseren häuslichen und öffentlichen Erziehung‹ heraus, um Reformideen zu verbreiten. Da er für den Unterricht und die teilweise im Haus wohnenden Kinder immer mehr Platz brauchte, ließ er das Gebäude um ein Geschoß aufstocken und ein neues Satteldach mit kleinen Krüppelwalmen an den Giebelseiten aufsetzen. Die in der Straßenfassade gelegene Haustüre wurde zu einem Fenster umgebaut und stattdessen die hofseitige Türe als einziger Eingang benutzt.

Wattierte Röcke, gesteppte Decken

Um 1831 schloß Spieß, der sich auch für den Aufbau des öffentlichen Schulwesens in Offenbach eingesetzt hatte, sein Privatinstitut und zog nach Sprendlingen. Im Jahr 1832 bot er in einer Anzeige das erste Obergeschoß mit Salon, zwei Zimmern, Kabinett, Küche und einer großen Dachstube zur Miete an.(8) Im Jahr 1837 verkaufte er dann das Anwesen an den Schneidermeister Carl Krauß, der in den nachfolgenden Jahren in der Zeitung Werbung für seine wattierten Schlafröcke, Sommerröcke sowie gesteppten Bettdecken machte und immer wieder junge Mädchen als Arbeitskräfte suchte. Auch Josef Kößler, der nachfolgend 1846 die Liegenschaft erwarb, war als Hersteller von Schlafröcken und als Händler tätig. Zusätzlich verkaufte er als einer der ersten in Offenbach fertige Kleidung, die er in einem als Fabrik bezeichneten Betrieb nähen ließ, der sich wohl im Erdgeschoß befand. Im Jahr 1846 ließ Kößler auf der Fläche der westlichen Einfahrt neben dem Wohnhaus einen schmalen Laden anbauen, in den die Putzmacherin Jeanette Herchenröder mit ihrem Damenhutgeschäft einzog. Zu diesem Zeitpunkt war schon abzusehen, daß sich die Domstraße durch den Bau von Eisenbahn und Bahnhof zu einer verkehrsreichen Straße entwickeln würde.(9)

Florierendes Gewerbe in der Nachbarschaft

Die Aufwertung zum attraktiven Gewerbestandort blieb nicht ohne Folgen für das Haus. War bis dahin der Garten mit zwei Wasserbecken, einer sogenannten Wielandsgrotte und Baumspalieren entlang der Begrenzungsmauern noch erkennbar im alten Zustand erhalten,(10) läßt sich anhand der Bauakte verfolgen, wie ab 1851 im Bereich von Hof und südlicher Gartenhälfte mehrere Seiten- und Hinterbauten errichtet und nachfolgend weiter vergrößert wurden. Mit der Portefeuillefabrik Steinhart und Günzburg zog 1855 eine größere Firma in dieses Gebäudekonglomerat ein. Im Jahr 1863 verkaufte Kößler das Haus an seinen östlichen, den in der Domstraße 21 wohnenden Nachbarn August André, dem es wohl darum ging, das Betriebsgelände seines Musikverlags und der Notendruckerei zu erweitern. Nach teilweiser Beseitigung der Trennmauer entlang der südlichen Grundstücksgrenze ließ André im Garten als erstes eine neue Kegelbahn errichten. In das Ladengeschäft zog nach der Modernisierung 1864 der Schnupftabak-Werksverkauf der Gebrüder Bernard ein, und einem dort tätigen Lehrmädchen ist die Erinnerung zu verdanken, daß immer noch auswärtige Besucherinnen auch aus England kamen, um das Wohnhaus der Schriftstellerin La Roche zu sehen.(11) Dieses hatten Bürgermeister Johann Martin Hirschmann und sein Sohn Georg gemietet, eine eng mit der Familie André befreundete Fabrikantenfamilie. Die lithographische Anstalt Hirschmann, bekannt für ihre künstlerisch anspruchsvollen Reproduktionen von Graphiken, produzierte in den Hinterbauten des Nachbarhauses Nr. 21. Als Johann Martin Hirschmann 1874 starb, geleitete eine riesige Menschenmenge den beliebten Bürgermeister vom Trauerhaus zum Friedhof hinaus. Danach zog Hirschmanns Familie in ihr Wohn- und Geschäftshaus an der Frankfurter Straße, neuer Hauptmieter von Wohnung sowie einer Werkstatt wurde der Portefeuillefabrikant Hartmann Stöhr. Weiter mieteten sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Buchbindereien, lederverarbeitende Betriebe und andere Handwerker ein.

Straßenlärm nimmt ständig zu

Seit den 1860er Jahren hatte Eigentümer August André am Wohnhaus Domstraße 23 einige kleinere Modernisierungsmaßnahmen vornehmen lassen. Allerdings veränderte nur der Anbau eines kleinen Erkers für Aborte seitlich der Treppe an der Hinterfassade das Äußere. Im Vergleich mit zeitgenössischen Neubauten erschien das Gebäude immer altmodischer und ließ zunehmend Komfort vermissen. Den früher schönen Ausblick vom Haus aus auf den jenseits der Gartenmauer liegenden, damals noch privaten Park der Familie Büsing-d’Orville verstellten die gewerblich genutzten Hinterbauten, vom hauseigenen Garten bestand nur noch ein kümmerlicher Rest. Durch den Bau der neuen Mainbrücke 1887 verlagerte sich der Durchgangsverkehr aus der Altstadt in den vorher stillen nördlichen Abschnitt der Kaiserstraße, und auch auf der nun endgültig zur Innenstadt gehörenden Domstraße nahm der Straßenlärm ständig zu. Angesichts des sinkenden Wohnwerts ist es verständlich, daß die Geschwister André als Erben und Eigentümer 1911 das Erdgeschoß umbauen ließen, um es als Büroraum und Lager an Lederwarenfirmen wie Dieterle und Winter zu vermieten. Zur letzten größeren Erweiterung der Werkstattgebäude im Hofbereich kam es während des Ersten Weltkriegs für die kurzzeitig expandierende Zigarettenfabrik Grundmann und Altschul. In der Zwischenkriegszeit mieteten eine Auto-Sattlerei und verschiedene Firmen vor allem der Lederbranche die Seiten- und Hinterhäuser.

Erst bei der Vorbereitung des Goethejahres 1932 geriet das inzwischen grau und schäbig wirkende Gebäude wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Durch eine verstärkte Erinnerung an Offenbachs »klassische Epoche« vor und um 1800 hofften Verkehrsverein, Geschichtsverein und Heimatmuseum in der seit Jahren durch Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise geprägten Stadt den depressiv stimmenden Zeitumständen ein positives Selbstbild vergangener Bedeutsamkeit entgegenzusetzen.(12) Unter anderem beschlossen die Verantwortlichen zusammen mit der Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenverbandes, am Wohnhaus der Schriftstellerin La Roche eine Gedenktafel anzubringen. Im Dezember 1931 enthüllte die Vorsitzende des Verbandes Offenbacher Frauen Clara Grein während einer kleinen Feier anläßlich des – damals noch für das Jahr 1731 angenommenen – Geburtstages der Sophie von La Roche die Steintafel mit der von Berthold Wolpe entworfenen Inschrift an der Fassade:(13)

Sophie La Roche, der geistvollen Schriftstellerin, der Freundin Wielands und Goethes, die in diesem Hause von 1786 bis 1807 wohnte, aus Anlass der 200. Wiederkehr ihres Geburtstages gewidmet von Offenbachs Frauen. Am 6. Dezember 1931.

Bomben verursachen nur leichte Schäden

In den Jahren des Nationalsozialismus nahm derartiges Gedenken dann andere, propagandistische Formen an: als ein Kult mit deutschen Geistesheroen, besonders in den örtlichen Pressemedien. Sophie von La Roche wurde allerdings nur oberflächlich und als eine lokal schätzenswerte Vertreterin ihrer Zeit wahrgenommen. Von all dem blieb ihr Wohnhaus unberührt. Doch einige der gewerblichen Mieter litten unter den zunehmenden antijüdischen Repressionen: So betraf einer der zwangsweisen Firmenverkäufe die Lederwarenfabrik Heymann und Bachert; Hey und Michel profitierten von der »Arisierung«. Während in den Bombennächten der Kriegsjahre ein Großteil der Häuser in der Domstraße in Schutt und Asche gelegt wurden, blieben die Wohnhäuser der La Roche und ihres Nachbarn André mit nur leichten Schäden wie Inseln stehen. Schon 1945 begann der Schreinereibetrieb Pietz den zerstörten Seitenbau für die Möbelherstellung wieder instand zu setzen, verkauft wurde in dem kleinen, schlauchartig langen Ladenanbau.(14) Schon in den ersten Nachkriegsjahren war abzusehen, daß die kommunale Wiederaufbauplanung alte Überlegungen, die innerstädtischen Verkehrsverhältnisses zu verbessern, auch in der Domstraße ohne Sentimentalitäten durchsetzen würde. Die Stadt kaufte die für die Durchbruchstraße benötigten Ruinengrundstücke sowie erhaltene Gebäude an, und als Ende der 1950er Jahre endlich ausreichend andernorts neu errichteter Wohnraum bereitstand, begann im August 1960 der Abriß des Hauses der Sophie von La Roche für den Ausbau der großzügig dimensionierten Berliner Straße. Der hintere Teil der Grundstücksfläche kam dem Büsingpark als Erweiterung zugute. Um an das Verlorene zu erinnern, steht seither ein Gedenkstein zwischen Büschen und Beeten nahe dem Straßenrand. Ein weiterer Erinnerungsort ist der 1928 in die Erdgeschoßarkade des Isenburger Schlosses versetzte Familiengrabstein.

"Scharfe Sense der Zeit"

Sophie La Roche selbst war sich, im Denken des 18. Jahrhundert verhaftet, der Endlichkeit alles Irdischen bewußt. Voll Wehmut hatte sie einmal an gesichts alter, zerstörter Burgen geschrieben: »[…] alles erliegt unter den Händen des Schicksals, und der scharfen Sense der Zeit […]«. (15) Hätte sie aber sehen können, wie kurz vor dem Abriß und nicht weit entfernt in einem Teil des früheren Wohn- und Geschäftsgebäudes der Familien Bernard und d’Orville neue und schönere Räume für die Offenbacher Stadtbücherei geschaffen worden sind – vielleicht hätte sie dies mit dem Verschwinden ihres Hauses aus dem Stadtbild versöhnt.


Anmerkungen

(1) Johann Caspar Nicks, Lageplan, 1784. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main) Im Jahr 1784 hatte das Haus noch die laufende Nummer 74. Für den Namen des fürstlichen Baukommissars und Ingenieurs gibt es mit Nicks, Nix sowie Niels drei verschiedene zeitgenössische Schreibweisen.

(2) Leider stellt dieser Plan die bereits bestehende Bebauung des Quartiers nur zum kleineren Teil dar. Eigentümlich ist auch, daß auf Nicks’ Plan der Name La Roche an unerwarteter Stelle auftaucht, nämlich bei der Parzelle, wo das Wohnhaus zuletzt Kaiserstraße 91 stand [vgl. Lageplan, Anm. 1]. Aus der Frühzeit dieses Bauobjekts ist bisher nur bekannt, es sei 1792 für eine Frau La Fontaine aus Frankfurt erbaut worden. Ob Herr von La Roche ursprünglich dieses Grundstück im Auge hatte oder ob es das kurzzeitig vom Sohn Fritz erworbene Anwesen war, ist vorläufig nicht zu klären. Weitere Fragen werfen einige Briefe des Ehemannes Georg Michael Frank von La Roche aus dessen ersten Wochen in Offenbach auf. Auf das Briefkonvolut im Archiv des Freien Deutschen Hochstifts/Frankfurter Goethe-Museum hat Julia Bastian mich dankenswerterweise hingewiesen. In diesen Briefen berichtet La Roche seiner Tochter Maximiliane von seiner Suche nach einer geeigneten Immobilie sowie Verhandlungen mit dem Bauunternehmer und Zimmermeister Seib. Wegen des von La Roche als unfreundlich-grob empfundenen Charakters von Heinrich Seib sowie unterschiedlicher Preisvorstellungen wurden nicht komplikationsfreie Verhandlungen begonnen, die im September 1786 zu einem Kaufentschluß und nachfolgendem Einzug des Herrn von La Roche in ein derzeit nicht sicher zu identifizierendes Wohnhaus führten. Ein nachfolgender Brief läßt allerdings die Vermutung zu, daß Seib sich weiterhin als Eigentümer sah beziehungsweise auf eine kurzfristige Bezahlung des Kaufpreises drang. Die Möglichkeit, daß dieses Geschäft sich zerschlug und La Roche mit der Unterstützung Brentanos eine andere Immobilie erwarb, ist nicht auszuschließen. Ein weiterer Hinweis auf einen Wechsel könnte sein, daß in diesen Briefen zwar Herrn La Roches Freundschaft mit der ihm in seinen ersten Wochen in Offenbach Logis gebenden Familie André zur Sprache kommt, aber im September nichts betreffend einer künftigen Nachbarschaft mit den Andrés geschrieben wurde [vgl. Georg Michael Frank von La Roche, Briefe an Maximiliane Brentano, Offenbach am Main, 10. Juli [1786], 23. Juli [1786], 27. September [1786]. (Freies Deutsches Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum)]. Sophie von La Roche selbst kam, wie Frau Bernard in ihrem Tagebuch vermerkte, erst im Dezember in Offenbach an [vgl. Wingenfeld 1975].

(3) Im 1808 für eine Steuerumlage angefertigten Offenbacher Häuserverzeichnis mit vier Wertkategorien ist das Wohnhaus in die zweitbeste Kategorie eingestuft, es hatte nun die Nummer Lit. Q 11 [vgl. Offenbacher Häuserverzeichnis, 1808. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)]. Ein Vergleich zeigt, daß andere höhere Beamte und wohlhabende Personen ähnlich dimensionierte Wohnhäuser besaßen. Laut Anzeige in der ›Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung‹ gab es in diesem Haus elf Zimmer sowie eine Küche, Keller, Holzplatz und Garten [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 12. August 1808. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)].

(4) Ein hoher Keller war nötig, um den Wohnbereich vor den immer wiederkehrenden Mainhochwässern zu schützen; so wurde 1798 der Garten der La Roches überschwemmt, ihre Wohnräume blieben anscheinend verschont.

(5) Nach der Anzeige in der ›Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung‹, den letzten Versteigerungstermin des Nachlasses ankündigend, umfaßte die Büchersammlung des Ehepaars von La Roche zu diesem Zeitpunkt noch etwa 1400 Bände [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 8. Oktober 1808. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)].

(6) Später, in Bettines Jugendjahren, stand der Schreibtisch dann an einer Stelle, von der aus Frau von La Roche mittels eines Spiegels auf die Straße hinaussehen und die Ankommenden beobachten konnte.

(7) Wegen der Unklarheit über den Verbleib des ältesten Sohnes Fritz dauerte die Erbschaftsregelung länger als ein Jahr, wie Anzeigen belegen [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 30. Juni 1807. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)]. Da sich die Tochter Louise andernorts verehelichte, legte sie keinen Wert mehr auf das Offenbacher Haus. In der Zeitung wurde die Versteigerung der zur Verlassenschaft gehörenden Ölgemälde und Kupferstiche annonciert [vgl. Privilegirtes Offenbacher Frag- und Anzeige-Blatt, Offenbach am Main, 29. April 1808. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)] sowie am 30. September 1808 der Verkauf des Wohnhauses mitsamt Zubehör [vgl. Privilegirtes Offenbacher Frag- und Anzeige-Blatt, Offenbach am Main, 30. September 1808. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)]. Mehrfach wurde diese Versteigerung neu anberaumt, was einen Mangel an Interessenten oder anfänglich zu geringe Gebote vermuten läßt [vgl. Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung, Frankfurt am Main, 12. August, 13. September, 3. Oktober 1808. (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main)].

(8) Vgl. Privilegirtes Offenbacher Frag- und Anzeige-Blatt, Offenbach am Main, 22. Juni 1832. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)

(9) Seit dem Jahr 1842 waren Offenbacher Bürger aktiv, einen Bahnanschluß zu bekommen. Als Standort des Bahnhofs sah man den früheren Garten der Familie von Amerongen an der Kanalstraße gegenüber der Einmündung der Domstraße vor. 1845 begannen die Bauarbeiten, 1848 wurde der Bahnbetrieb aufgenommen.

(10) Die »Grillenhütte« der Frau v. La Roche in Offenbach, Verfasser war vermutlich Emil Pirazzi, in: Offenbacher Intelligenzblatt, Offenbach am Main, 26. [23 ! ] August 1862. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)

(11) Vgl. Völker 1929, S. 15.

(12) So wurden durch Führungen 1931 erstmals der private sogenannte »Lili-Park« und der Metzlersche Badetempel für eine interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Auch die beiden oft abgebildeten Lithographien des Wohnhauses der Sophie von La Roche, die eine Ansicht der Nordfassade und des Gartens im ursprünglichen Zustand um 1800 wiedergeben, entstanden wohl in diesem Zusammenhang.

(13) Vgl. Offenbacher Zeitung, Offenbach am Main, 5. Dezember 1931. (Haus der Stadtgeschichte, Archiv, Offenbach am Main)

(14) Frau Pietz und Herrn Buschhaus ist für ihre Mitteilungen über den Zustand des Hauses in den Nachkriegsjahren zu danken.

(15) La Roche 1791, S. 331.

Quelle: Der Aufsatz von Christina Uslular-Thiele ist erschienen in: Dr. Jürgen Eichenauer (Hrsg.): "Meine Freiheit, nach meinem Charakter zu leben". Sophie von La Roche (1730 - 1807) - Schriftstellerin der Empfindsamkeit. Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2007 Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages und der Autorin

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