Geschichte der Hugenotten
Nicht überall wurden die Glaubensflüchtlinge aus Frankreich begeistert aufgenommen. Zu den aufnahmebereiten Landesherren gehörte der im Schloss zu Offenbach residierende Graf Johann Philipp von Isenburg, dessen Familie bereits 1597 den reformierten Glauben angenommen hatte. Um die Hugenotten längerfristig anzusiedeln, gewährte Graf Johann Philipp seinen Neubürgern weitreichende Privilegien, die auch für spätere Zuwanderer und deren Nachkommen gelten sollten.
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Herkunft der Hugenotten
In St. Gilles in der Landschaft Languedoc, am westlichen Arm der unweit in das Mittelmeer mündenden Rhone gelegen, lebten vor rund 300 Jahren die Vorfahren der Hugenottenfamilie Andre.
Im Umkreis von 50 km um St. Gilles liegen die historisch bedeutsamen Städte Montpellier und Nimes im Westen, nördlich davon Arles und Avignon, im Osten Aix-en-Provence und südlich Marseille.
In diesen Gegenden, wie auch in anderen Teilen Frankreichs, verbreitete sich um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Lehre des Reformators Jean Calvin (1509-1564). Mit seiner These von der Prädestination, der Vorherbestimmung des menschlichen Lebens, unterschied er sich grundlegend von der Reformation Martin Luthers.
Calvins Anhänger konnten aus seinen Aussagen den Schluss ziehen, dass sie, bei aller Vorherbestimmung, auch aus Erfolgen im Leben, Gewissheit für Rettung und Auserwählung im Jenseits gewinnen können.
Es verwundert nicht, dass insbesondere viele Angehörige der adligen Oberschicht und weite Teile des aufstrebenden Bürgertums bereit waren, diese neue Lehre anzunehmen, während die Landbevölkerung ziemlich unbeeindruckt davon blieb.
Die Anhänger Calvins bezeichnete man in Frankreich schon bald als Hugenotten. Diese Bezeichnung ist auf die französische "Verballhornung" des Wortes Eidgenossen (hugenots) zurückzuführen. Eidgenossen deshalb, weil diese Reformationsbewegung ihren Ausgangspunkt von Genf aus, der freien kaiserlichen Stadt und den Städten Freiburg und Bern genommen hätte.
Die Umstände der Massenflucht
Religiöse Wirren in Frankreich
Die Hugenotten galten dem französischen Königtum als Ketzer, die man bekämpfen musste. Die katholischen französischen Könige jener Zeiten unterdrückten und verfolgten zwar die Protestanten im eigenen Lande, stellten aber aussenpolitisch stets den Vorteil Frankreichs über ihre religiöse Überzeugung, wenn sie sich im Kampf gegen den katholischen deutschen Kaiser mit aufständigen protestantischen Fürsten oder sogar mit den osmanischen Sultanen verbündeten.
Die Hugenotten waren freilich nicht bereit, vor ihren Verfolgern zu kapitulieren. Sie schlossen sich zusammen und leisteten Widerstand. Zunächst kämpften sie um Freiheit für ihren Glauben, später um ihre wirtschaftliche Existenz und um die Macht im Staat.
Einzelne schlimme Ereignisse jener Zeit finden sich in der alten französischen Bibel aus dem Jahr 1588, die die Familie Andre aus der französischen Heimat mitbrachte.
Handschriftlich ist dort vermerkt:
Am 20. April 1545 wurde die Stadt Cabrieres in der Provence geplündert und auch 22 Dörfer der Umgebung eingeäschert. Und alle wurden in den Tod geschickt, sowohl Männer wie Frauen und Kinder.
Am 1. Mai 1562: Andere Glaubensmetzeleien in der Provence.
Im September 1562 schenkte Gott den Gläubigen einen glücklichen Sieg über die Papisten in St. Gilles in der Languedoc.
Den vernichtenden Schlag gegen die hugenottische Führungsschicht sollte die berüchtigte Bartholomäusnacht, die "Pariser Bluthochzeit", als traurigen Höhepunkt der anhaltenden und erbitterten Kämpfe am 24. August 1572 bilden. Während des Festgelages anlässlich der Hochzeit des legitimen Thronanwärters Heinrich V. Navarra (nachmals Heinrich IV.) aus dem Geschlecht der Bourbonen, der selbst Hugenotte war, mit der katholischen Schwester der französischen Könige Franz II., Karl IX. und Heinrich III., Margarete von Valois, begann ein furchtbares Gemetzel unter den in Paris weilenden Hugenotten. 3000 Menschen verloren ihr Leben. Auch in der Provinz kam es zu weiteren Ausschreitungen, denen ca. 20.000 Menschen zum Opfer fielen und von dem die Eintragung in der alten Bibel der Familie Andre Zeugnis gibt.
Die Kämpfe tobten und forderten Opfer auf beiden Seiten. Das Land litt furchtbar, die Teuerung erreichte einen Höchststand. Doch der Borubone Heinrich IV. war ein pragmatisch denkender, auf Ausgleich bedachter Regent. Er hielt sich an den Grundsatz: "Der Fürst soll nicht ergründen wollen, welche der Religionen die bessere ist, und soll auf Gewalt verzichten". Heinrich (le bon) sah ein, dass ein protestantischer König Frankreich von dem noch immer aufrührerischen Paris aus nicht regieren könne und zog daraus seine Konsequenz. 1593 trat er zum katholischen Glauben über, Paris war ihm "eine Messe wert".
Nach seinem Einzug in die Hauptstadt gingen die Wirren, die vierzig Jahre lang auf beiden Seiten unzählige Menschenleben kostete, allmählich zu Ende. Seinen früheren hugenottischen Freunden aber kam der erste Bourbonenkönig in großzügiger Weise entgegen. Das 1598 erlassene "Toleranzedikt von Nantes" gewährte ihnen Religionsfreiheit und Gleichberechtigung. Die Hugenotten bildeten von da an eine Art Staat im Staate.
Das aber war auf Dauer nicht vereinbar mit dem absolutistischen Herrschaftsanspruch, der sich im folgenden Jahrhundet unter Ludwig XIII. und den für ihn regierenden Kardinälen Richelieu und Mazarin und erst recht unter dem "Sonnenkönig" Ludwig XIV. entwickelte. Ein Herrscher, der sich mit dem Staat gleichsetzte (L´etat, c´est moi), konnte und wollte die Sonderrechte einer konfessionellen Minderheit nicht hinnehmen.
So kam es, dass Ludwig XIV. rücksichtslos gegen die hugenottische Minderheit im eigenen Lande vorgehen ließ. Protestanten wurde der Zugang zu allen öffentlichen Ämtern und zu freien Berufen wie Ärzten, Rechtsanwälten, Notaren und Druckern verwehrt. 1686 hob er die Schutzbestimmungen des Ediktes von Nantes ersatzlos auf. Seinen protestantischen Untertanen befahl er, ihrem hugenottischen Glauben abzuschwören.
Die Aufhebung der alten Schutzbestimmungen brachte die Hugenotten in äußerste Bedrängnis und hatte in Frankreich selbst verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft des Landes. Wollten sie ihren Glauben bewahren, mussten sie ihre bürgerliche Existenz, vielfach als Spezialisten aus technischen, kaufmännischen und handwerklichen Berufen, in der angestammten Heimat aufgeben, alles zurück- und das Land verlassen. Das wiederum war ihnen aber unter Androhung strengster Strafen (Hinrichtung oder lebenslange Verbannung auf Galeeren) verboten. Dennoch schätzt man die Zahl derer, die ihres Glaubens willen aus Frankreich flüchteten, auf etwa eine halbe Million Menschen bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von ca. 19 Millionen.
Die Flucht
Flucht der Familie Andre
Für die Hugenotten in Südfrankreich, in der Provence und im Languedoc bot sich als Fluchtweg die Rhone flussaufwärts mit Genf als rettendes Tor.
Diesen Weg zu nehmen, entschloss sich im Herbst 1687 auch die Familie Andre aus St. Gilles. Ein Familienmitglied, Gilles Andre (1673-1748), hat diesen Vorgang später in einem Eintrag in die Familienbibel überliefert:
Das, was Gilles Andre gezwungen hat, Frankreich zu verlassen, war die Verfolgung, die der König Ludwig XIV. gegen die Reformierten 1685 ausgeübt hat. Und indem Gott ihm die Gnade gewährte, am 12. Oktober 1687 fortzukommen, ist er mit der ganzen Familie glücklich aus dem Königreich ausgezogen, und zwar mit seinem Stiefvater und seiner Mutter und drei Brüdern, deren einer Jean Andre hieß. Sie sind in Genf angekommen und unternahmen die Reise nach Deutschland...
Über die Nöte und Entbehrungen der Flüchtlinge in der Winterszeit lässt sich nur spekulieren. Sie dürften anfangs noch keine klaren Vorstellungen von ihrem Zielort besessen haben. Nahziel waren zunächst die protestantischen Kantone der welschen Schweiz. Hatte man Genf oder Lausanne erreicht, so war man vor den französischen Häschern endlich sicher.
Bei aller Hilfsbereitschaft der Schweizer Glaubensbrüder konnte die Schweiz freilich nur eine Zwischenstation sein, denn die Zahl der Flüchtlinge war zu hoch. So nötigten die Schweizer Behörden die Mehrzahl der eingetroffenen Hugenotten zur Weiterreise in Richtung Deutschland.
Auch die Familie von Gilles Andre zog im Winter 1687/88 von Genf nach Norden weiter. Falls man einen Eintrag in der Familienbibel richtig deutet, war Pforzheim ein Etappenort für sie. Grund für die Abweichung von der direkten Route Basel in das Rhein-Main-Gebiet waren wohl kriegerische Auseinandersetzungen des Pfälzischen Erbfolgekrieges. Französische Truppen verwüsteten das Land und verbrannten planmäßig Städte und Dörfer. Die Zerstörung des Heidelberger Schlosses und der deutschen Kaisergräber im Speyrer Dom waren die traurigen Höhepunkte der französischen Expansion.
Am 28. Januar 1688 verstarb Gilles Mutter, Francoise Andre-Heraud.
Allein mit seinen vier Kindern setzte der Stiefvater den Weg von Pforzheim nach Frankfurt a.M. fort. Von hier aus gelangte er in die Gemeinde Seulberg der kleinen Landgrafschaft Hessen-Homburg. Strapazen und Entbehrungen der Flucht zehrten an den Kräften der Kinder. Am 18. Februar 1688 verstarb Gilles erst 14 Monate alter Stiefbruder Henri und kurz darauf am 13. März sein 12jähriger Bruder Jean.
Von den sechs Mitgliedern der Familie, die im Herbst 1687 aus St. Gilles die Flucht angetreten hatten, konnten also nur drei im Maingebiet eine neue Heimat finden.
Sie verdienten ihren Lebensunterhalt in den nächsten Jahren als Seidenweber oder auch als Strumpfwirker. Gilles Andre, der das Handwerk bei seinem Stiefvater erlernt hatte, übte später seinen Beruf auch zeitweise in Offenbach aus. 1699 erschien sein Name im Mitgliederverzeichnis der neugegründeten französisch-reformierten Gemeinde zu Offenbach.
Im gleichen Jahr heiratete er in Frankfurt die ebenfalls einer Hugenottenfamilie entstammenden Judith Gerain. Dem Ehepaar wurden acht Kinder geboren, die ersten sechs erblickten in Frankfurt das Licht der Welt, die beiden jüngsten in Offenbach, wohin die Familie im April 1709 übersiedelte.
An 31. Mai 1709 ließ sich Gilles Andre in das Kaufmannsregister in Offenbach eintragen, "um an den Vorrechten (der hiesigen Hugenottengemeinde) teilzuhaben".
Die Anfänge in Offenbach
Gilles Andre (*1673 +1748)
Marc Andre (*1705 +1751)
Nicht überall wurden die Glaubensflüchtlinge aus Frankreich begeistert aufgenommen. Zu den aufnahmebereiten Landesherren gehörte der im Schloss zu Offenbach residierende Graf Johann Philipp von Isenburg, dessen Familie bereits 1597 den reformierten Glauben angenommen hatte.
Das Isenburger Land war freilich klein und konnte nur eine begrenzte Zahl der "Refugies" (Flüchtlinge) aufnehmen. Um die Hugenotten längerfristig anzusiedeln, gewährte Graf Johann Philipp seinen Neubürgern weitreichende Privilegien, die auch für spätere Zuwanderer und deren Nachkommen gelten sollten. Neben dem echten Willen zur Hilfe dürfte beim Grafen auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, mit deren handwerklichen und gewerblichen Fähigkeiten dem kleinen, erst etwa 800 Einwohner zählenden Residenzort Offenbach einen Auftrieb zu verschaffen.
In Offenbach trafen im Laufe des Jahres 1703 weitere französische Flüchtlinge ein. Es waren überwiegend recht kapitalkräftige Gewerbetreibende und Handwerker, zum großen Teil Wollweber, Strumpfwirker, Hutmacher und Goldarbeiter, die schon bald eine rege Tätigkeit entfalteten. Für den in Frankfurt ansässigen Gilles Andre, waren die gewährten Privilegien der nachbarlichen Residenz attraktiv genug, seinen Wohnsitz 1709 von der Freien Reichsstadt nach Offenbach zu verlegen. Gilles Andre brachte es durch Fleiß und Geschicklichkeit als selbständiger Seidenweber schon bald zu einem gewissen Wohlstand. In der nördlichen Herrnstraße 54 errichtete er nach einiger Zeit ein geräumiges Wohnhaus, das er und seine Nachkommen bis 1784 bewohnten. Im Alter von 75 Jahren ist Gilles Andre, der einst seines Glaubens wegen geflüchtet war, am 21. August 1748 in Offenbach gestorben. Seine Frau Judith überlebte ihn um 14 Jahre und verstarb am 17. April 1762.
Von den acht Kindern Gilles Andres überlebte nur der 1705 geborene Marc seinen Vater. Im Januar 1737 heiratete er in Offenbach die aus Mannheim stammende Marie Julienne Pfaltz. Aus dieser Ehe entstammten alle späteren Mitglieder der Familie Andre. Als Seidenfabrikant wurde Marc Andre offenbar zu einem recht wohlhabenden Mann, der seiner französisch-reformierten Gemeinde ein großes Wohn- und Schulgebäude neben der Kirche in der Herrnstraße 25 finanzieren konnte. 1751, nur knapp 3 Jahre nach seinem Vater, verstarb Marc Andre im Alter von erst 46 Jahren.
Offenbachs "klassische Zeit"
Johann Andre (*1741 +1799)
Für Offenbach und die Musikwelt erlangte Marc Andres ältester Sohn Johann Andre eine besondere Bedeutung. Beim Tod seines Vaters erst 10 Jahre alt, zeigte er schon früh eine außergewöhnliche musikalische Begabung. Im Alter von 16 Jahren trat er in das Geschäft seiner Familie ein, um "die Handlungen zu erlernen".
Die musikalische Ausbildung wurde parallel fortgesetzt. Doch schon bald schickte ihn seine Mutter nach Mannheim, damit er dort seine kaufmännische Ausbildung zum Abschluss bringen konnte. Mannheim war zu dieser Zeit die bedeutsamste Musikmetropole der Epoche und Europas.
Johann Stamitz (1717-1757) schuf als Komponist und Dirigent völlig neue Fundamente einer Orchestertradition; geänderter Kompositionsaufbau der Instrumentierung, der unterschiedliche Einsatz von Streichern und Bläsern im Gegensatz zu den Barockkomponisten, die praktisch beiden Gruppen die gleiche Musik zum Spielen gegeben hatten, wurde stilbildend für die weitere europäische Musik. Hier hatte der junge Andre Gelegenheit, zahlreiche Opern und Konzertaufführungen zu besuchen und seine musikalischen Kenntnisse auszuweiten.
Mit 20 Jahren kehrte er nach Offenbach zurück. Neben der Tätigkeit in der Seidenfabrik versuchte er sich bald mit eigenen Kompositionen. Es entstanden kleine Lieder und eine Klaviersonate.
Der erste musikalische Erfolg gelang dem Offenbacher Seidenweber mit seiner komischen Oper "Der Töpfer", die am 22. Januar 1773 in Hanau erstmals aufgeführt wurde. Sein gesamtes musikalisches Oeuvre umfasste schließlich dreißig Opern und Singspiele, daneben Ouvertüren sowie zahlreiche Arien und Lieder, die damals recht populär waren, heute freilich weitgehend vergessen sind.
Die damaligen Differenzen waren wohl ausgeräumt, als Goethe im Jahre 1775 oft nach Offenbach kam, um der 17jährigen Frankfurter Bankierstochter "Lili" Schönemann ungezwungener nahe zu sein. Seit dem Frühjahr wohnt sie bei ihren Verwandten, der Familie des Schnupftabaksfabrikanten Nicolaus Bernard, in der Offenbacher Herrnstraße. Goethe nahm die Gastfreundschaft des im Haus gegenüber wohnenden Johann Andre in Anspruch und quartierte sich bei ihm ein.
Auch über das damalige Offenbach, seine Zeit dort mit Lili und über seinen Gastgeber Johann Andre berichtete Goethe in "Dichtung und Wahrheit":
... Offenbach am Main zeigte schon damals bedeutende Anfänge einer Stadt, die sich in der Folge zu Bilden versprach. Schöne für die damalige Zeit prächtige Gebäude hatten sich schon hervorgetan; Onkel Bernard, wie ich ihn gleich mit seinem Familientitel nennen will, bewohnte das größte; weitläufige Fabrikgebäude schlossen sich an; d´Orville, ein jüngerer lebhafter Mann von liebenswürdigen Eigenheiten wohnte gegenüber.
Ich wohnte bei Johann Andre,...war bei ihm einquartiert. Lilis Pianospiel fesselte unsern guten Andre vollkommen an unsre Gesellschaft. Dieses alles aber,...diente den Liebenden nur zur Verlängerung des Zusammenseins; sie wissen kein Ende zu finden, und der gute Johann Andre war durch die wechselweise Verführung der beiden gar leicht in ununterbrochene Bewegung zu setzen, um bis nach Mitternacht seine Musik wiederholend zu verlängern. Die beiden Liebenden versicherten sich dadurch einer werten, unentbehrlichen Gegenwart.
Die Liebesgeschichte zwischen Goethe und Lili fand bekanntlich ein jähes Ende: Ohne Abschied zu nehmen, reiste Goethe überraschend in die Schweiz. Nach seiner Rückkehr im Herbst ging das Verlöbnis zu Bruch.
Mozarts Nachlass und Senefelders Erfindung
Johann Anton Andre (*1775 +1842)
Johann Anton erblickte am 06. Oktober 1775 als 5. Kind der Eheleute Andre noch im alten Haus in der Herrnstraße das Licht der Welt. Den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verlebte er außerhalb Offenbach. Die bald zutage tretende musikalische Begabung wurde durch den Vater nachhaltig gefördert. In den folgenden Jahren, während der französischen Revolution, pendelte Johann Anton zwischen Mannheim und Offenbach und kümmerte sich intensiv um seine musikalische Ausbildung.
Die Kriegsunruhen veranlaßten ihn 1793, sich überwiegend in Offenbach aufzuhalten und er übernahm in der väterlichen Verlagsfirma Arbeit und Verantwortung. Aus beruflichen Gründen, auch um die unterschiedlichsten Tonsetzer aufzusuchen, unternahm er ausgedehnte Reisen bis nach Österreich.
1798/99 übernahm Johann Anton den väterlichen Betrieb. Mit gründlicher musikalischer Ausbildung ausgestattet, trat er ganz in die Fußstapfen des Vaters. Er komponierte über 100 Werke und schrieb ein Lehrbuch der Tonsetzkunst.
1799 kaufte Anton Andre von der Witwe Mozarts den musikalischen Nachlaß des Komponisten für 3.150 Gulden.
"...Herr Andre, der durch seinen hiesigen Aufenthalt in dem Stand gesetzt ward, den Werth und den Reichthum dieses Nachlasses zu beurtheilen, hat mir ihn seitdem abgekauft, und ist dadurch der höchstrechtmäßige Eigenthümer, nicht eines Rests, sondern einer fast vollständigen Sammlung, vollkommen correcter und vollkommen authentischer Werke im Originalmanuscript von der ersten Jugend Mozarts an bis zu seinem Tode, geworden.
Herr Andre hat diese Erklärung von mir gefordert, er hat ein Recht darauf, sie ist der strengsten Wahrheit gemäß; ich gebe sie ihm hiermit.
Wien den 13. März 1800 Constanze Mozart"
Mozarts "Musikalischer Spaß für zwei Violinen, Bratsche, zwei Hörner und Baß" gehörte zu den ersten Offenbacher Drucken im neuen lithographischen Verfahren.
1803 verlieh ihm der Landgraf von Hessen-Darmstadt, Ludewig X., den Titel eines Hofkapellmeisters. 1813 ernannte ihn Fürst Carl Ludwig Moritz von Isenburg-Birstein zum "Fürstlich Isenburgischen Wirklichen Hofrat".
Zwei Begegnungen sollten für den Lebensweg des Johann Anton Andre und die Entwicklung seiner Verlagsfirma von ausschlaggebender Bedeutung sein:
- er erwarb den gesamten musikalischen Nachlass des 1791 verstorbenen W. A. Mozart von der Witwe Constanze
- es kam zur Zusammenarbeit mit dem Erfinder der Lithographie, Alois Senefelder
Andre konnte Senefelder und dessen Mitarbeiter Gleißner gewinnen, nach Offenbach überzusiedeln. In der Notendruckerei standen zehn Kupfer- und Zinndruckpressen. Die Hälfte wurde durch Steindruck-Stangenpressen ersetzt und die Arbeiter entsprechend angelernt. Der Umsatz ging in die Höhe. Bald gab es hochfliegende Pläne, das Unternehmen auf andere Länder auszudehnen. In London und Paris wurden von den Brüdern Philipp Henri und Peter Friedrich geleitete Niederlassungen gegründet, weitere in Berlin und Wien waren vorgesehen. Diesen Unternehmungen blieb aber auf Dauer der Erfolg versagt. Patente waren zwar erteilt, doch sie schützten wenig vor Nachahmern und Konkurrenten.
In der Andre´schen Notendruckerei zu Offenbach löste der Steindruck den Druck mit Kupfer- und Zinnplatten ab. Johann Anton Andres Bestreben war, wie er es formulierte, seinen Editionen "alle mögliche typographische Schönheit zu verschaffen". Wenn sich auch der Musikalienverlag Andre überwiegend mit der Reproduktion und dem Notendruck befasste, so dehnte sich doch diese Erfindung auch rasch auf die Bildende Kunst, den künstlerischen Steindruck aus.
Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert brachte das Ende der "klassischen Epoche" Offenbachs. Ursache hierfür waren einerseits die napoleonischen Kriege, die sich auf Handel und Gewerbe als "Sponsoren" kultureller Unternehmungen negativ auswirkten, andererseits veränderte Offenbach seinen Charakter. Für viele Unternehmer war Offenbach im Vergleich zur industriefeindlichen Handelsstadt Frankfurt der attraktivere Standort. Die ehemals fürstliche Residenz entwickelte sich zur Industriestadt.
Neben seiner eigentlichen Verlagsarbeit, seinen musikalischen Studien und Kompositionen beschäftigten Johann Anton Andre zunehmend die in seinem Besitz befindlichen Mozart´schen Handschriften. Über deren intensivem Studium versäumte er es anscheinend, aus diesem Schatz großes Kapital zu schlagen. Eine andere Verlagsfirma, die sich Abschriften besorgt hatte, kam ihm mit der Herausgabe Mozart´scher Kompositionen zuvor. Eigentumsrechte i.S. des heutigen "Copyrights" oder "TM" (für TradeMark) ließen sich damals zur schwer geltend machen.
1811 weilte Anton Andre in München. Er besuchte Alois Senefelder und erfuhr von desesen Absicht, ein Werk herauszugeben, in dem alle Manieren der Lithographie in einer Folge von Musterblättern mit beschreibenden Text gezeigt würden. Andre wollte das Buch in seinem Offenbacher Verlag erscheinen lassen. Noch im gleichen Jahr reiste Senefelder nach Offenbach, um mit den Arbeiten zu beginnen, scheiterte jedoch an den hohen Kosten. Senefelders "Vollständiges Lehrbuch der Steindruckerey" erschien erst 1818 in München und Wien. Ob Andre an der Herausgabe noch finanziell beteiligt war, erscheint fraglich.
Seit 1813 beschäftigte sich Senefelder mit der Herstellung künstlicher Platten, die die schweren Solnhofer Kalkschiefersteine ersetzen sollten. Gemeinsam mit Andre wollte er 1828 eine "Steinpapier- und Steinblech-Fabrik" einrichten. In einer schriftlichen Übereinkunft vom 19. Oktober wurde geregelt: "Dem Herrn Senefelder wird hierbey die Direktion der Fabrikation und dem Herrn Hofrath Andre der Verkauf des Fabrikats zur Last fallen..." Das Vorhaben wurde nicht realisiert.
Als eine Frucht seiner Mühen erschien endlich 1841 das "Thematische Verzeichnis" der Original-Handschriften Mozarts, eine Art Vorläufer des berühmten Köchel-Verzeichnisses.
Am 6. April 1842 starb Johann Anton Andre. 8 seiner 15 Kinder überlebten ihn. Für seine Familie, seine Firma, für die Musik und für seine Vaterstadt hatte er zu Lebzeiten Großes geleistet. In den später erschienenen "Hessischen Biographien" wurde er wie folgt gewürdigt:
"Trotz dieser umfassenden Tätigkeit als Verleger, Schriftsteller, Komponist und Lehrer fand aber Anton Andre doch noch Zeit für das öffentliche Wohl zu wirken."
Gründung der Notenfabrik 1774
Johann Andre (* 1741 + 1799)
Nachdem Johann Andre zunächst die väterliche Seidenfabrik übernommen hatte, gründete er am 17. August 1774 in der Herrnstraße 54 einen Musikalienverlag mit angeschlossener Notendruckerei. Von Anfang an wurde das Unternehmen als "Fabrique" bezeichnet. Die Seidenfärberei übergab er seinem Onkel und zog 1777 nach Berlin, wo er Musikdirektor des Döbbelinischen Theaters wurde. Die "Notenfabrique" Offenbach leitete er nun von Berlin aus, die jedoch während seiner Abwesenheit mit Verlust arbeitete. Zwei Geschäfte gleichzeitig wurden ihm zuviel, so kehrte er 1784 nach Offenbach zurück. Im gleichen Jahr übersiedelte das Unternehmen von der Herrnstraße 54 in die Domstraße 21. In den rückwärtigen Gebäuden wurden Verlag und Druckerei eingerichtet. 1797 wies der Ver-lagskatalog bereits 1052 Nummern auf: Opern, Arien, Lieder, Konzerte und Sinfonien.
Goethe, der seit 1775 in Weimar lebte, kam im August 1797 wieder nach Offenbach und besuchte die Schriftstellerin Sophie LaRoche in der Domstraße. Von einem Besuch im Nachbarhaus bei seinem alten Gastfreund Johann Andre berichtete er allerdings nichts.
Frau Aja Goethe hingegen berichtete ihrem Sohn Johann Wolfgang in einem Brief, dass "unser alter Freund (Johann) Hans Andre sich erbarmte", als er ihr nach Beendigung der Beschießung und Besetzung der Freien Reichsstadt Frankfurt zur Rückkehr verhalf.
Am 18. Juni 1799 ist der Seidenfabrikant, Komponist, Kapellmeister und Musikverleger Johann Andre im Alter von 58 Jahren in Offenbach gestorben.
Kaufmann und Wohltäter Sohn des Johann Anton Andre
Johann August Andre (*1817 +1887)
Ebenfalls noch zu Lebzeiten des Vaters hatte Johann August Andre, das 13. Kind von Marie Julienne und Johann Anton Andre, im Jahre 1840 die Geschäfte der Firma in Offenbach übernommen. Mehr kaufmännisch als musikalisch begabt, konsolidierte er den eher künstlerisch als kaufmännisch ausgerichteten und dadurch zum Stillstand gelangten Verlag. Er widmete sich unermüdlich um den Betrieb und führte ihn zu neuer Blüte, in dem er preiswerte neue Ausgaben von Werken klassischer Meister herausgab: u.a. Mozart, Beethoven, Haydn.
Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit lag ihm das Wohlergehen seiner Mitbürger und seine Vaterstadt am Herzen. Er war sehr stark sozial engagiert und u.a. auch Vorsitzender der Allgemeinen Krankenkasse, des Allgemeinen Armenvereins, des Bürgervereins und des Bernardstiftes.
1854 teilten die Erben Johann Anton Andres den Mozartnachlass (273 Originalmanuskripte) in sieben Teile auf. Davon erwarb 1873 die Königliche Bibliothek zu Berlin 138 Handschriften, der Restbestand wurde auf Auktionen der Jahre 1929 und 1932 versteigert.
Die Geschwister Andre
Carl August Johann Andre (*1853 +1914)
Gustav Adolf Andre (*1855 +1910)
1880 wurde die Übergabe vom "Musikalienverlag und Klavierhandlung" an die nächste Generation geregelt. Nachfolger wurden die beiden Söhne Carl August Johann und Gustav Adolf.
Beide Brüder haben in den folgenden Jahrzehnten die altrenommierte Firma umsichtig und tatkräftig weitergeführt, wobei sich Carl August zunächst stärker den kaufmännischen Angelegenheiten, Gustav Adolf sich dem Verlagsbetrieb zuwandte. Beide waren der Familientradition entsprechend musikalisch hoch begabt und erwarben sich Verdienste bei der Förderung des Offenbacher Konzertwesens.
Im Jahr 1894 weitete sich der Geschäftsbetrieb der beiden Andre-Brüder infolge familiärer Umstände erheblich aus. Der Onkel der beiden Brüder hatte 1828 das Bürgerrecht der bis 1866 "Freien Reichsstadt Frankfurt" erworben und dort die Konzession für den Betrieb einer "Kunst- und Musikalienhandlung" erhalten, der später eine leistungsfähige Klavierfabrik angegliedert wurde. Zwischen den Andrefirmen in Offenbach und Frankfurt bestanden enge persönliche und wirtschaftliche Verbindungen.
Nach dem Tod des unverheirateten Onkels ging die Frankfurter Firma Andre an die Brüder Carl August Johann und Gustav Adolf über. Beide Brüder waren gemeinsame Eigentümer beider Firmen. Gustav Adolf arbeitete fortan vorzugsweise in dem Offenbacher Geschäft, während Carl August täglich hinüber nach Frankfurt pendelte.
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg verstarb 1910 Gustav Adolf mit 55 Jahren, sein Bruder Carl August folgte im Juni 1914 im Alter von 61 Jahren. Drei Jahre zuvor hatte Carl August in französischer Sprache seine "Bekenntnisse" veröffentlicht und sich ganz, gegen den Zeitgeist, aus Überzeugung seiner hugenottischen Herkunft und Tradition, für eine deutsch-französische Verständigung eingesetzt.
1910 ging die Geschäftsführung an die Witwe Gustav Adolf Andres, Aurelie, über, die ab 1914 den Verlag gemeinsam mit der Witwe Carl August Andres, Elisabeth führte.
Die Zeit der Weltkriege
Hans Andre (*1879 +1951)
und seine Nachfolger(innen)
Nach dem Ableben der Geschwister Andre wurden in den schwierigen Verhältnissen der Kriegs- und Nachkriegszeit die beiden Geschäfte in Offenbach und Frankfurt von den hinterbliebenen Witwen weitergeführt. Von Vorteil war, dass weitere, zuverlässige Verwandte, die Urenkel des Johann André, Ludwig und Ferdinand Andre, in der Firma tätig waren.
Von den Erben wollte zunächst niemand die Geschäftsführung übernehmen, bis Gustav Adolfs Sohn Hans Andre, der als Berufsoffizier den Ersten Weltkrieg erlebte, sich als Verlagskaufmann ausbildete und in den Verlag eintrat. In diesen Jahren leitete er den altrenommierten Musikverlag und die Musikalienhandlung umsichtig und erfolgreich.
Die alten Häuser Andre in der Domstraße wurden durch Bombenangriffe der Jahre 1943-1945 beschädigt, die Druckereiwerkstatt völlig zerstört. Das von Hans Andre in der Frankfurter Straße der Hauptgeschäftsstraße Offenbachs, erworbene Haus überstand einigermaßen heil den 2. Weltkrieg.
Hans Andre starb am 06. Jan. 1951 im Alter von 61 Jahren. Da sein ursprünglich als Nachfolger vorgesehener Sohn Hans-Günter (1924-1946) in russischer Kriegsgefangenschaft ums Leben gekommen war, schlug wieder die Stunde der Frauen: Die Witwe Friederike Andre und ihre Schwägerin Elfriede Andre, beide schon jahrelang in der Firma tätig, führten das Geschäft erfolgreich weiter. Zu ihnen trat als Vertreterin der nächstfolgenden Generation Ute-Margrit Andre, die dann, nach dem Tod der Mutter und der Tante, die Firma, gemeinsam mit ihrem Ehemann August Thomas-Andre leitete. Sohn Hans-Jörg repräsentiert inzwischen die siebte Generation in dem einst 1774 von Johann Andre gegründeten Verlags- und Musikaliengeschäft.
In den über 230 Jahren ihres Bestehens hat die Firma Andre Höhen und Tiefen durchlebt, aber Dank ihrer jeweiligen Inhaber, Geschäftsführer und Mitarbeiter die Schwierigkeiten überwunden und stets zu neuer Blüte gefunden. In der Stadt Offenbach kann keine andere, in Familienbesitz befindliche Firma, auf ein solches Alter, eine solche Tradition und Kontinuität zurückblicken.
Offenbach hat sich freilich in diesen 230 Jahren seit Firmengründung und noch mehr in den 300 Jahren, seit sich die ersten hugenottischen Flüchtlinge hier niederließen, gewaltig verändert. Heute wie damals hat die Stadt von dem Zustrom durch Fremde, die sich freilich bei allen Besonderheiten in das städtische Leben einfügten, in vielfacher Hinsicht profitiert.