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Stadt Offenbach

Sozialdezernent Martin Wilhelm kritisiert radikalen Systemwechsel: Menschen zwischen 15 und 25 Jahren sollen ab 2025 nicht mehr vom Jobcenter betreut werden

21.07.2023

Die Nachricht hat alle Kommunen, Jobcenter und die Bundesagentur für Arbeit unvorbereitet getroffen. Nicht nur im Haushaltsjahr 2024 ist mit großen finanziellen Kürzungen beim Bürgergeld zu rechnen, ab 1. Januar 2025 soll die Zuständigkeit für die Beratung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren vom Jobcenter in die Agentur für Arbeit wechseln. Die finanziellen Leistungen zum Lebensunterhalt sollen allerdings weiter vom Jobcenter finanziert werden – oder je nach Ausgestaltung - durch die zukünftige Kindergrundsicherung teilweise mit finanziellen Ergänzungsleistungen der Jobcenter.

Damit will der Bundesarbeitsminister in 2025 beim Bund 900 Millionen Euro Steuergelder einsparen und Mittel der Sozialversicherung für die Arbeitsmarktintegration nutzten. Diese rein finanzpolitische Entscheidung hat das Ziel, die Neuverschuldung im Bund zu reduzieren.

Das Vorhaben wird nicht nur von den kommunalen Spitzenverbänden und dem Bundesnetzwerk der Jobcenter heftig kritisiert, sondern auch von den hessischen Sozialdezernentinnen und -dezernenten. Sie alle appellieren dringend an die Bundespolitik, die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Argumente bei der Finanzplanung zu berücksichtigen und vom Zuständigkeitswechsel abzusehen.

Auch der Offenbacher Stadtkämmerer und Sozialdezernent Martin Wilhelm weist darauf hin, dass der angedachte Zuständigkeitswechsel nur oberflächlich und kurzfristig betrachtet ein sinnvoller Sparvorschlag sei und begründet dies: „Seit knapp zwei Jahrzenten kümmert sich das Jobcenter um die Betreuung von jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren und hat sich damit Kompetenz und lokale Netzwerke erarbeitet. Diese Strukturen zu zerschlagen, wird erhebliche Auswirkungen haben. Viele jungen Menschen, die in den Jobcentern betreut werden und häufig in einem schwierigen privaten Umfeld aufwachsen und komplexe Unterstützungsbedarfe haben, benötigen eine enge Betreuung. Die Bundesagentur für Arbeit hat dafür bislang weder die personellen Ressourcen noch Erfahrungen und Fachwissen.“

Susanne Pfau, Geschäftsführerin der MainArbeit. Kommunales Jobcenter Offenbach weist darauf hin, dass viele junge Menschen in den Jobcentern vor einem erfolgreichen Schulabschluss oder vor einer erfolgreichen Bewerbung zunächst ein intensives, ganzheitliches auf sie zugeschnittenes Coaching und nicht selten auch besondere, unterstützende Ausbildungsformen oder eine Ausbildungsbegleitung benötigen. „In den Jobcentern gibt es für diese Zielgruppe eigene, spezialisierte Teams. Gemeinsam mit den jungen Menschen werden die für sie individuell passenden Maßnahmen auf dem teilweise mühevollen Weg vom Schulabschluss zu einer erfolgreichen Ausbildung und in eine nachhaltige berufliche Integration gefunden. Dabei werden sie von ihren persönlichen Ansprechpartnerinnen und -partnern eng und vertrauensvoll begleitet. Auch eine familienzentrierte Beratung kann ein Schlüssel zum Erfolg sein. Das alles gibt es in der Agentur für Arbeit so nicht.“

Martin Wilhelm macht darauf aufmerksam, dass nicht umsonst mit dem vor einem halben Jahr beschlossenen neuen Bürgergeld die Ausweitung einer ganzheitlichen Beratung und damit verbundene Förderangebote gestärkt wurde. Das Ziel ist die Chancengleichheit für junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu verbessern, sie als aktive Mitglieder der Gesellschaft teilhaben zu lassen und dadurch auch ihre vorhandenen Potenziale als zukünftige und dringend benötigte Arbeitskräfte zu nutzen. Diese Ziele sieht er durch den Zuständigkeitswechsel gefährdet: „Ein wesentliches Element einer erfolgreichen Integration für die benachteiligten jungen Menschen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist auch die enge, regionale Verzahnung, die langjährig aufgebauten Netzwerke der Jobcenter mit spezialisierten Maßnahmeträgern, Arbeitgebern, Wohlfahrtsverbänden und weiteren Akteuren. Dabei bieten Jobcenter wie die MainArbeit nicht nur die finanzielle Hilfe, sondern eben auch die für die Jugendlichen so wichtigen maßgeschneiderten Hilfen aus einer Hand, die es dann so nicht mehr gäbe.“

In 2023 verwendet die MainArbeit 3,3 Millionen Euro ihrer vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel für die Ausbildungsvorbereitung, die Ausbildung und weiterer Unterstützungsmaßnahmen junger Menschen. Das sind bei einem Anteil von rund 17 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 35 Prozent der geplanten Bundesmittel in Höhe von fast 9,5 Millionen Euro.

In einer jungen Stadt wie Offenbach ist diese überproportionale Förderung der Zielgruppe essentiell. Dreizehn geförderte Projekte haben einen ausbildungsvorbereitenden Charakter mit einem Volumen von 1,1 Millionen Euro. Davon können im Jahresverlauf rund 400 Jugendliche profitieren. Darüber hinaus werden im Umfang von 1,9 Millionen Euro insgesamt 266 jungen Menschen entweder eine außerbetriebliche Ausbildung finanziert oder sie werden bei einer betrieblichen Ausbildung intensiv unterstützt.

Für die Arbeit mit Jugendlichen in den einzelnen Stadtteilen und für die Unterstützung wohnungsloser jungen Menschen oder für diejenigen, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, werden rund 330.000 Euro veranschlagt. Diese Projekte kommen 80 jungen Menschen zugute.

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