Einprägende Ideen für eine viel-seitige Erfahrung / Klingspor Museum: Neue Leiterin baut Vermittlungsformate aus
Offenbach am Main, 10. Februar 2022 – Das Klingspor Museum in Offenbach hat seit 1. Dezember 2021 eine neue Leitung: Dr. Dorothee Ader, die 2013 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Haus für zeitgenössische Buch- und Schriftkunst kam, hat das Amt von Dr. Stefan Soltek übernommen. „Frau Ader, Herr Soltek und ich konnten einvernehmlich gemeinsam vereinbaren, dass Herr Soltek dem Haus für eine Übergangszeit auch im vermeintlichen Ruhestand mit kleinem Zeitbudget und konkreten Projekten als wissenschaftlicher Beirat erhalten bleibt“, freut sich Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke über den geräuschlosen Übergang und das runde Gesamtpaket. Gemeinsam wollen sie nun das renommierte Museum mehr in die Gesellschaft hinein öffnen – regional wie international.
„Stefan Soltek hat die Leitung des Klingspor Museums nicht nur inne gehabt, er hat sie gelebt und geliebt. Das hat man bei jeder Begegnung gespürt. Normalerweise wäre eine schöne Verabschiedung angebracht gewesen, dazu hatten wir uns auch mit der Vereinigung der Freunde des Klingspor Museums schon ausgetauscht. Wie so vieles, ist es aber der Pandemie zum Opfer gefallen. Umso wichtiger ist es mir, auch auf diesem Wege nochmal meinen ausdrücklichen Dank für die Arbeit zum Wohle des Hauses und der Sichtbarkeit der Stadt zu betonen. Zugleich bin ich fest überzeugt, mit Dorothee Ader das Museum in gute Hände gelegt zu haben, sie hat sich in einem offenen Verfahren durchgesetzt und war die erste Wahl. Dies sind die besten Voraussetzungen für eine weiterhin erfolgreiche Arbeit, die dem Haus und der Stadt internationale Beachtung, etwa im Rahmen der Vereinigung der Europäischen Druckmuseen AEPM, bringen“, betont Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke.
„Was können wir den Menschen bieten? Welche Ideen und Inspirationen kann das Klingspor Museum vermitteln? Diese Fragen haben uns gerade in der Pandemiezeit begleitet“, berichtet Dorothee Ader. Die Germanistin und Buchwissenschaftlerin hat schon vor ihrer Klingspor-Zeit am Mainzer Gutenberg-Museum freiberuflich als Museumspädagogin gearbeitet. In Offenbach baute sie in den vergangenen Jahren neue Workshops und Vermittlungsformate auf: „Vor Corona hatten wir jährlich bis zu 400 Veranstaltungen.“ Hinzu kommt die Ende 2020 eröffnete Druckwerkstatt im Bernardbau: „Dieses Angebot wollen wir vor allem für Schulklassen erweitern.“ Ende Januar brachten Kinder dorthin selbstgeschöpftes Papier mit, um es mit sorgfältig ausgewählten Kraft-Worten zu bedrucken, die ihnen durch die Pandemie helfen sollen. „Das ist pädagogisch ein toller Effekt, der wirklich einen Mehr-Wert bietet.“ So bringe seine Nachfolgerin „die Entwicklung für morgen“ rund um das Museum voran, bemerkt Stefan Soltek.
Handwerksbetrieb als Brutstätte für außergewöhnliche Kunst
Das städtische Klingspor Museum im Südflügel des Büsing-Palais ging 1953 aus der privaten Sammlung des Schriftgießereibetreibers Karl Klingspor hervor. Zu den zeitgenössischen Objekten der Buchkunst und des Grafikdesigns zählen die Nachlässe von Rudolf Koch, Werner Klemke und Rudo Spemann. Auf diesem Grundstock von ca. 3.000 Werken basiert die heutige Sammlung von rund 80.000 Künstler- und Malerbüchern, Druckgrafiken und Pressedrucken, Kalligrafien, Kinderbüchern und Schriftteppichen. „Im Geiste des um 1900 aufkommenden Jugendstils, der Gegenstände des täglichen Lebens in künstlerische Gestaltungen einbezog, nutzte Karl Klingspor seinen Handwerksbetrieb als Brutstätte für außergewöhnliche Kunst“, berichtet Soltek. Der Offenbacher Vordenker sah das Buch nicht nur als „Gefäß“ für den Text – er erfasste den weiteren Kontext: „Bilder und Buchstaben, Formate und Materialien: Bücher lassen sich auf vielseitige Art künstlerisch behandeln“, sagt Dorothee Ader.
Diese Prozesse und ihre hohe Qualität in der Bildenden Kunst darzustellen, sei durchaus komplex, weiß Stefan Soltek: „Ein Van-Gogh-Gemälde lässt sich viel leichter vermitteln.“ Der gebürtige Kölner begeisterte sich schon in seiner Jugend für Bücher: „Die illustrierten Geschichten von Erich Kästner habe ich geliebt.“ In seinem Kunstgeschichte-Studium spielten die Bücher des Mittelalters eine wichtige Rolle. Am Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt wirkte Soltek in der (buch)grafischen Abteilung, bis er 2002 die Leitung des Klingspor Museums übernahm. Zu den Höhepunkten in seiner Amtszeit zählt er die Aufstockung des Museums 2011 mit einem „wunderschönen“ Dachgeschoss: „Das war sehr wichtig für die Entwicklung des Hauses und brachte uns, auch durch den im Vorfeld gegründeten Förderverein, deutlich mehr Aufmerksamkeit.“ Insgesamt habe sich das Museum stets frei entwickeln dürfen: „Wir haben traditionell wenig Geld und Personal, aber viel Raum für unsere Entfaltung.“
Mit Unterstützung der Stadtwerke Offenbach sorgte Soltek dafür, dass das Haus auch international Aufmerksamkeit erhielt: Ausstellungsplakate, die der berühmte Grafik-Designer Prof. Uwe Loesch bis heute für das Klingspor Museum gestaltet, waren schon weltweit zu sehen, unter anderem im Museum of Modern Art in New York, im Plakatmuseum von Aarhus/Dänemark sowie bei Plakatwettbewerben in Moskau, Warschau und Teheran. „Damit tragen wir zum Stadtmarketing für Offenbach bei – global wie regional“, unterstreicht Stadtwerke-Geschäftsführer Peter Walther. Seine Konzernzentrale in der Senefelderstraße in Offenbach präsentiert zudem seit 2010 jedes Jahr eine neue Ausstellung von Buchkünstlerinnen und Buchkünstlern, die damit ein neues Publikum erreichen.
Museum präsentiert sich in Südkorea
Wertvoll ist auch die Mitgliedschaft des Hauses im Verband Europäischer Druckmuseen: Stefan Soltek fungiert dort aktuell als Präsident und bereitet in dieser Funktion eine Ausstellung in der südkoreanischen Großstadt Cheongju vor. Sie richtet alle zwei Jahre ein „Jikji“-Festival aus – der Ausdruck bezeichnet das wohl älteste gedruckte Buch der Welt, das dort 1377 (also 78 Jahre vor der Gutenberg-Bibel) mit Metall-Lettern gefertigt wurde. Wenn die Pandemie es zulässt, wird Dorothee Ader Anfang September 2022 nach Südkorea reisen, um dort einen Querschnitt der Klingspor-Bestände zu präsentieren.
Das schärft den Blick von außen nach Offenbach – und auch von innen heraus wird der Fokus neu ausgerichtet. „Wir wollen das für Offenbach so relevante Thema des Druckens stärker in der Stadt verankern und alle Beteiligten mehr vernetzen“, betont die neue Museumsleiterin. So ist für den 9./10. Juli das erste Druckfestival „Hot Printing“ im Büsinghof geplant, 75 Druckgrafikerinnen und Druckgrafiker haben sich bereits dafür angemeldet. Was mit diesen Verfahren alles möglich ist – von der Schriftgießerei Klingspor und Senefelders Erfindung der Lithografie bis hin zu innovativer Druckkunst aus Offenbachs heutigen Werkstätten – verdeutlicht die Ausstellung „Experiment Druck“ ab dem 16. Juni. „Drucken ist das Einprägen einer Idee in Papier“, sagt Soltek. Diese Kommunikationstechnologie mit ihrem Prozess des Wahrnehmens, Feststellens und Identifizierens sei eng mit der gesamten Entwicklung der Stadt Offenbach verbunden: „Wenn wir uns das als Gesellschaft bewusst machen, können wir uns nochmal ganz neu erkennen.“
Kreatives Rahmenprogramm für jedes Alter
Zurück zu den Wurzeln führt auch die erste neue Ausstellung 2022: „Beyond the Archive – Von der Gießerei zum Klingspor Type Archiv“ stellt ab dem 12. März die international bekannte Schriftgießerei Gebr. Klingspor als Wiege der Schriftschöpfung dar, die mit ihrem künstlerischen Anspruch und dem Designer Rudolf Koch neue Maßstäbe setzte. Parallel zu der von HfG-Studierenden realisierten Schau entsteht eine digitale Archivplattform, für die Dorothee Ader ein Konzept entwickelt hat. Sie soll dazu beitragen, die Klingspor-Schätze besser nutzbar zu machen.
Doch im Vordergrund steht 2022 die Vermittlung des haptischen Erlebens, der persönlichen Erfahrung. Das Rahmenprogramm macht dazu umfangreiche Angebote: Kita-Kinder betrachten sich im Spiegel, erkunden ihre Gefühle und gestalten eine Darstellung dazu. Schulklassen stempeln ihr eigenes Dschungel-Buch, bringen den Jugendstyle von heute zu Papier und drücken auf Plakaten aus, was sie schon immer einmal sagen wollten. Familien staunen im Cyanotypie-Workshop über surreale Foto-Effekte aus einfachen Mitteln, Erwachsene entdecken die eigene Kreativität im Kalligrafiekurs. „Wir wollen, dass immer mehr Menschen es wagen, zu uns zu kommen“, unterstreicht Dorothee Ader. In diesem Austausch entstehen dann Räume voller Möglichkeiten, innen wie außen.
Das Klingspor Museum, Herrnstraße 80 (Südflügel des Büsing-Palais) in Offenbach,
hat zu folgenden Zeiten geöffnet: dienstags, donnerstags und freitags von 13 bis18 Uhr, mittwochs von 14 bis 19 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen von 11 bis 18 Uhr. Aktuell gelten für einen Besuch die 2G-Plus-Regeln. Am Sonntag, 20. Februar, öffnet sich der magische Glitzervorhang zum letzten Mal für die Internationale Kinderbuchausstellung. Von 11 bis 18 Uhr können kleine und große Gäste bei freiem Eintritt die Kinderbücher aus vielen Ländern ansehen. Ab 15 Uhr bietet der Offenbacher Künstler Marc Simon einen offenen Workshop für Kinder an: Mit seiner Unterstützung können sie fantastische Buchstaben malen.
Alle weiteren Informationen finden sich unter www.klingspormuseum.de.