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Stadt Offenbach

Die Wohnungsnot zu lindern: Gründung der GBO im Jahr 1921

26.03.2021 – Die GBO, heute eine Gesellschaft der Stadtwerke Offenbach, wurde vor 100 Jahren gegründet. Wie es dazu kam, dass sich die Stadt Offenbach und kommunale Unternehmer zusammenschlossen, um den Wohnungsbau voranzutreiben, hat der Offenbacher Journalist Anton Jakob Weinberger im Auftrag der städtischen Wohnungsbaugesellschaft recherchiert.

von Anton Jakob Weinberger

Noch lange nach Ende des Ersten Weltkriegs fehlte es in Offenbach an allem, was man damals zum Leben brauchte: Schuhe, Kohle, genießbares Brot. Zu den drängendsten Bedürfnissen vieler Offenbacher gehörte es, eine Wohnung zu finden. Die Stadt suchte 1920 das Geld für den brachliegenden  Mietwohnungsbau durch eine „Wohnungsluxussteuer“ zu beschaffen. Doch das genügte nicht. Auch war die Kooperation mit Baugenossenschaften gescheitert. Es fehlte das Geld.

Eine neue Idee kam auf: Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften sollten kleine, billige Mietwohnungen für Leute anbieten, die wegen ihres geringen Einkommens als „minderbemittelt“ galten. So gründeten am 31. Dezember 1921 namhafte Unternehmer aus der Maschinenbaubranche und dem Baugewerbe zusammen mit Bürgermeister Dr. Heinrich Aull und der Kommune die GBO, die sich zur größten Wohnungsbaugesellschaft in der Stadt entwickeln sollte.

„Kleinwohnungen für Minderbemittelte“

Im Gesellschaftsvertrag benennen die GBO-Gründer den Geschäftszweck so: „Gegenstand des Unternehmens ist die Erstellung von Kleinwohnungen in Offenbach a.M. für Minderbemittelte, die Förderung des Baues solcher Wohnungen und die Beteiligung an verwandten Unternehmungen.“ Das Stammkapital der neuen Gesellschaft betrug 134 900 Reichsmark. Den GBO-Gesellschaftsvertrag paraphierte der Hessische Notar und Rechtsanwalt Dr. Siegfried Guggenheim, seit 1900 Sozius der renommierten Offenbacher Kanzlei des Rechtsanwalts Otto von Brentano, der im Volksstaat Hessen als Innen- und Justizminister wirkte.   

Gemeinsam mit der Frankfurter Baufirma Philipp Holzmann AG bildete die GBO 1929 eine Gesellschaft, die 209 Wohnungen baute. Der „Holzmann-Block“ wurde zwischen Waldstraße und Birkenlohrstraße erstellt. Im gleichen Jahr rief die Stadt zusammen mit Offenbacher Handwerks- und Baufirmen die Kleinwohnungsbaugesellschaft „Dornbusch“ ins Leben. An der Waldstraße, Birkenlohrstraße und Dornbuschstraße wurden 182 Wohnungen und vier Läden errichtet. Diesen Gesellschaftsvertrag paraphierte der Rechtsanwalt und Hessische Notar Erwin Stein, als CDU-Politiker nach dem Ende der NS-Diktatur einer der „Gründungsväter“ der Hessischen Verfassung sowie Kultur- und Justizminister.

Nähe von Wohnen und Arbeiten

Die stadtgestalterische Wurzel der GBO liegt im Nordend, einem typischen Offenbacher Arbeiterviertel. Die ersten 20 Wohnungen der GBO, 1923 bezogen, wurden in der Lilistraße errichtet, Hausnummer 63 und 65, nahe des vormaligen Industriehafens und des früheren Gaswerks gelegen. Es waren Mehrfamilienhäuser. In der Nähe befanden sich wichtige Maschinenbaufirmen, etwa der Großbetrieb Collet & Engelhardt. Im zügig wachsenden Industriezentrum Offenbach galt es für die GBO, rasch neue Mietwohnungen zu schaffen. Zwischen 1875 und 1919 war die Einwohnerzahl Offenbachs von 26 000 auf 75 380 Personen gestiegen.

Ein Dreiklang: Kommune, Unternehmer, Baufirmen

Den Gründungsvertrag der GBO unterschrieben folgende Persönlichkeiten, die eigenes Kapital in die neue Gesellschaft einbrachten: Bürgermeister und Rechtsanwalt Dr. Heinrich Aull, ein profilierter Sozialdemokrat; die Schraubenfabrik Gebr. Heyne, ferner die Unternehmer Willi, Julius und Hermann Heyne; Armin Engelhardt, Maschinenfabrik Collet & Engelhard; Paul Hohlfeld, Mitinhaber der Schuhfabrik Heroux; Jakob Hinkel, Inhaber einer Metallwarenfabrik; Gustav Stöhr, Inhaber einer Firma für Fördertechnik; Phlipp Leo, Steinkohlehändler; die Bauunternehmer F.A. Beck, Ludwig Hasenbach und Casimir Stock; Fritz Harth, Direktor der Maschinenfabrik Hartmann. 

„Heiratsboom“ und Wohnungssuche

Antrieb zur Gründung der GBO war nicht nur das soziale Engagement der daran beteiligten namhaften Offenbacher Persönlichkeiten und Unternehmer. Der Mangel an Wohnungen nach dem Ersten Weltkrieg war unübersehbar. So stieg die Zahl der Wohnungssuchenden 1919 von 503 auf 1023 Personen und 1920 alsdann auf 3557 Menschen. Von ihnen hatten 1250 Personen gar keine Wohnung. Sie lebten oft in Baracken. Hinzukam, dass viele junge Leute während des Krieges nicht hatten heiraten können, sich nun jedoch trauen ließen und eine Wohnung suchten. Offenbach erlebte nach dem Krieg einen „Heiratsboom“.

Bürgermeister Ernst Weil zog in seiner „Denkschrift“, die er den Stadtverordneten im Mai 1921 vortrug, nüchtern Bilanz. Weil blickte zudem über Offenbach hinaus – bis nach Mannheim. Dort fand er ein Modell, das aus seiner Sicht auch in Offenbach helfen könnte. Es galt, den privaten Wohnungsbau anzukurbeln und drei Akteure zusammenzuführen: die Bauwirtschaft, Industriefirmen und die Kommune. So geschah es in der GBO.

Wohnen im „Dornbusch-Block“

Wer 1930 in den Dornbusch-Block einziehen wollte, musste sich bei der Baugesellschaft bewerben. Doch das durfte nicht jeder. Wer allein lebte und keine Wohnung hatte, schied ebenso aus wie Leute, die keine Offenbacher waren oder sich in der Stadt nicht angemeldet hatten, etwa Untermieter. Die Monatsmiete im Dornbusch-Block betrug, je nach Wohnungsgröße, zwischen 42 Reichsmark für eine 40 Quadratmeter große Ein-Zimmerwohnung samt Küche, Bad und Balkon und bis zu 78 Reichsmark für eine 73 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung mit zusätzlich zwei Kammern.

„Wohnungsnot nur gemildert“

Der Offenbacher Historiker Otto Schlander weist darauf hin, dass zwischen Kriegsende und 1927 in der Stadt 671 Wohnhäuser mit insgesamt 1200 Wohnungen, darunter 477 Einfamilienhäuser, geschaffen wurden. Dennoch hätten damals in Offenbach 1700 Familien ohne Wohnung gelebt. Um diesen Missstand zu beseitigen, hätte man 2500 Wohnungen erstellen müssen: „Dies ist in der Weimarer Zeit nicht mehr gelungen. Die republikanische Zeit begann in Offenbach mit einer fürchterlichen Wohnungsnot, herbeiführen konnte man in den 14 Jahren der Republik lediglich eine Milderung.“ (Otto Schlander, Zwischen Monarchie und Diktatur, Offenbach 1992, S. 83)

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