Stolperstein für Emil, Fanny Liebmann, geb. Strauss, und Alice Liebmann
Beschreibung
Emil Liebmann war als Inhaber einer der größten Schuhfabriken in Offenbach wohlbekannt. Geboren wurde er mit dem Namen Emanuel am 26. Januar 1855 in Vöhl, seine Eltern waren Juden. Seine kaufmännische und praktische Ausbildung erhielt er vermutlich in der Lederbranche in Offenbach. Seit dem 20. März 1875 hatte er seinen Wohnsitz in der Geleitsstraße 105.
1884 wurde er in der aufstrebenden Industriestadt Teilhaber der Schuhfabrik von Louis Wallerstein. Sie errichteten 1890 gemeinsam ein erfolgreiches Unternehmen, welches das moderne, amerikanische System der Schuhfabrikation einführte.
1891 heiratete Emil Liebmann Fanny Strauss, die am 26. März 1868 in Geißenheim geboren wurde. Das Paar bekam vier Kinder: Adolf Ernst 1892, Gertrude 1893, Alice 1894 und Antonia 1896.
Nach der Trennung von seinem Geschäftspartner in 1896, ließ Liebmann ab 1901 in der Sedanstraße (heutige Christian-Pleß-Straße) für die neugegründete Firma mit dem Namen „Schuhfabrik Hassia“ ein repräsentatives Firmengebäude im neoklassizistischen Stil errichten. Dort produzierte er hochwertige Damen-und Herrenschuhe und wurde bereits 1902 auf der Düsseldorfer Industrie-und Gewerbe-Ausstellung für seine Qualitätserzeugnisse mit der Goldmedaille ausgezeichnet.
Durch den Absatz der erstklassigen Schuhe war Liebmann 1921 in der Lage, das Fabrikgebäude mit zwei fünfstöckigen Seitenflügeln zu vergrößern. Er wandelte die Firma in eine Aktiengesellschaft um, die nach dem 1. Weltkrieg die folgende Inflation recht gut überstand.
Im Vorstand der Firma waren neben Emil Liebmann, sein Sohn Ernst Liebmann (10.08.1892) und Paul Goldschmidt (Jg. 1882) vertreten, der am 22.03.1920 Gertrud, die Tochter Liebmanns, geheiratet hatte. Die Tochter Alice Liebmann Jg. 1894) war seit 1921 in der Schuhfabrik als Prokuristin tätig.
In der Weimarer Zeit, aber auch noch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurden in dem erfolgreichen Unternehmen Markenschuhe von
mehreren hundert Arbeitskräften gefertigt. Hassia war nach der überstandenen Weltwirtschaftskrise für Fach- und Hilfsarbeiter ein gefragter Arbeitgeber in Offenbach.
Ab Mitte der dreißiger Jahre stand das erfolgreiche jüdische Unternehmen Liebmann unter dem Druck der NSDAP und „arischer Kaufinteressenten“. Aufgrund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ wurden Emil Liebmann und seine Familie im Oktober 1938 gezwungen, das Unternehmen zu veräußern. Nach dem Verkauf des Unternehmens wurden ab dem 04.11.1938 die Gremien der Firma im „arischen“ Sinne neu besetzt.
Emil Liebmann, Ernst Liebmann und Paul Goldschmidt mussten ihre Vorstandsmandate niederlegen und Alice Liebmann ihre Position als Prokuristin aufgeben. Durch die „Arisierung“ entging die Firma von Emil Liebmann während der Pogrome in Offenbach der Zerstörungswut durch SA-Leute und NS-Sympathisanten. Auch das Wohnhaus der Familie in der Geleitsstraße 105 wurde von Übergriffen verschont.
Emil Liebmann und seine Frau Fanny mussten dieses 1939 weit unter Preis verkaufen, um die Emigration vorzubereiten. Der Erlös aus dem Hausverkauf und dem Verkauf der Aktien konnte aber nicht zum Aufbau einer neuen Existenz in England verwendet werden. Von dem Kaufpreis musste die Familie nach Auflagen der NS-Regierung noch 25 Prozent Reichsfluchtsteuer und 20 Prozent Judenvermögensabgabe zahlen. Auch über den verbliebenen Teil des Vermögens konnten die Liebmanns nicht frei verfügen, da es auf Sperrkonten blockiert und zusätzlich durch Zwangsabgaben für die „Ausreise“ gemindert wurde.
Laut jüdischer Meldekarte emigrierte das Ehepaar Emil und Fanny mit ihrer Tochter Alice am 28. August 1939. Auf der Rückseite wurde später in die Meldekartei der Vermerk eingetragen: „Laut Bekanntmachung des Reichsministers des Innern vom 11.8.1941 wird die Staatsangehörigkeit aberkannt.“
Das arisierte Unternehmen wurde unter dem Namen „Hassia“ weitergeführt. Nach Beginn des Krieges stieg wegen der Produktion von Militärstiefeln sogar noch die Zahl der Arbeitnehmer. 1943 wurde das Unternehmen durch einen Bombenangriff schwer beschädigt. Nur unter großen Einschränkungen konnte die Produktion fortgesetzt werden. Nach dem Ende des Krieges in Offenbach, d.h. nach dem Einmarsch der Amerikaner am 26.03.1945, wurde nur für kurze Zeit die Produktion unterbrochen.
Bereits Ende April erhielt das Unternehmen nach Überprüfung der Militärregierung wieder die Genehmigung, für die amerikanischen Soldaten und die Bevölkerung Schuhe zu produzieren. Bis Ende Dezember 1948 erhielten die Geschädigten die Möglichkeit, ihre Ansprüche bei der Wiedergutmachungskammer der Militärregierung anzumelden. Vor diesem Hintergrund stellte auch die Familie Liebmann Ansprüche auf Rückerstattung der Aktien und der Immobilien. Das Verfahren zog sich vor verschiedenen Gerichten bis in die sechziger Jahre hin.
Stolperstein für Emil, Fanny Liebmann, geb. Strauss, und Alice Liebmann
Geleitsstraße 105
63067 Offenbach