Zusammenleben ist Arbeit – die Demokratiekonferenz nahm Akteure und Möglichkeiten in den Blick
21.12.2021 – „Demokratie wird nicht einfach serviert, sie ist kein verfassungsmäßig garantierter Zustand, sondern sie will gelebt und geübt sein. Dazu gehört auch eine Kultur des Austauschs, der Toleranz und des Streitens“: begrüßte Stadtrat und Ordnungsdezernent Paul-Gerhard Weiß die Teilnehmer der Demokratiekonferenz am 30. November.
Auf Einladung der Partnerschaft für Demokratie hatten sich verschiedene Akteure aus Stadt und Kreis Offenbach zum Austausch im virtuellen Raum zusammengefunden, um sich über Aktuelles, Erwartungen und Ideen auszutauschen. Mit dabei waren unter anderem Vertreter des Freiwilligenzentrums (Sigrid Jacob und Renate Schulte-Spechtel), der Volkshochschule Offenbach (Beatrice Ploch), der Präventionsarbeit am Polizeipräsidium Südhessen (Jürgen Schmatz), vom Fanprojekt Offenbach (Antje Hagel), vom Schulamt für Stadt und Kreis (Susanne Meißner), Geschichtswerkstatt (Ellen Katusic), Ordnungsamt der Stadt Offenbach (Frank Weber) sowie der AWO Kreisverband Offenbach Land e.V., Koordinierungsfachstelle der Partnerschaft für Demokratie Offenbach (Anna Christ).
Zu allererst: Eine Demokratiekonferenz? Ob man sich denn Sorgen machen müsse, fragte Weiß, der Philosophie und Politikwissenschaft studiert hat und früher Referent und Seminarleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung war. Eine rhetorische Frage also, aber auch ihn habe erschreckt, dass um den 9. November herum verschwörungstheoretische und antisemitische Graffiti in der Stadt auftauchten und Corona als „ein jüdischer Fake“ bezeichnet wurde. „Wir können Hass hier nicht gebrauchen, in Offenbach leben viele verschiedene Menschen unterschiedlichster Herkunft, wie ich finde, erstaunlich gut zusammen. Zumal es unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie gibt“, so Weiß weiter, „manche haben sie in ihrem Herkunftsland schlicht nicht erfahren und lernen erst jetzt, was es heißt, frei von Angst mitreden zu können.“ Das gemeinsame Ringen um gesellschaftliche Positionen und Entscheidungen brauche gegenseitigen Respekt. „Als Schuldezernent erlebe ich eine eskalierende Sprache und eine zunehmende Verhärtung bei Zuschriften, gerade zum Thema Corona. Das finde ich beunruhigend. Umso wichtiger ist der heutige Austausch über die Projekte – schließlich haben wir ein breites Netzwerk unterschiedlicher Akteure hier, die täglich daran arbeiten, Menschen gut miteinander ins Gespräch zu bringen.“
So ist beispielsweise das Jugendkunstmobil seit 2010 in den Stadtteilen unterwegs und lädt Kinder und Jugendliche in die Kunst- und Experimentierwerkstatt auf Rädern. Dort können sie sich nach Herzenslust kreativ austoben und unter Anleitung kreative Techniken erlernen. Oder das Projekt „Football in your life“, das, so Gründer und Sportcoach Birger Naß, „Toleranz und Partizipation vermittelt“. Der diplomierte Betriebswirt blickt auf eine lange sportliche Laufbahn zurück und ist jetzt unter anderem in Schulen unterwegs, um mit der Kraft des Fußballs Themen wie Inklusion, Integration, Erlernen der deutschen Sprache, Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu vermitteln.
Mitreden von Anfang an – darum geht es im Kinder- und Jugendparlament (KJP). Seit 1998 haben Kinder und Jugendliche eine eigene politische Vertretung in der Stadt, für das KJP nahmen Muhammed Hüseyin Simsek und Hanna Komin an dem Austausch teil. Sie berichteten unter anderem von dem gemeinsam mit dem Amt für Stadtplanung und Stadtverordnetenvorsteher Stephan Färber durchgeführten Beteiligungsworkshop Anfang Juli auf der Kinder- und Jugendfarm. Dabei ging es konkret um die Frage, wie die jungen Bewohnerinnen und Bewohner in Planungen und bei Gestaltungsfragen einbezogen werden können, wie sie ihre Ideen von Anfang an miteinbringen können. „Der Austausch war gut und hat in direkt Früchte getragen“, berichtet Simsek, „das KJP wurde bei den Spielplatzplanungen im Neubeugebiet Bieber jetzt unmittelbar miteinbezogen. Wir wurden ernst genommen und auf Augenhöhe beteiligt.“ Das sei wichtig, denn auch bei einem guten Mix aus Spaß zähle die Möglichkeit, auch wirklich etwas bewegen zu können, ergänzt Komin.
Noch in der Entwicklung ist der Stadtbaukasten, an dem die beiden Gestalterinnen Marina Kampka und Brigitte Brautmann derzeit arbeiten. Dieser soll bald allen 24 Offenbacher Grundschulen zur Verfügung stehen und den Zugang zur Stadt erleichtern. Ein Methodenkoffer mit Informationen zu Orten, Menschen und Geschichten, mit Tipps und Inspirationen für den Unterricht. Die Idee dahinter, erklärt Brautmann: „Wir wollen die Identität der Stadt herausarbeiten und Lehrerinnen und Lehrern, die nicht aus der Stadt kommen und Offenbach nicht kennen, den Zugang erleichtern. Es geht darum, die Identifikation mit der Stadt und damit auch Wertschätzung und Engagement für sie zu fördern. Man bleibt dann vielleicht auch eher da.“ Christian Keller, Lehrer an der Leibnizschule bekundet spontan Interesse und wünscht sich den Ausbau der Aktivitäten für Schülerinnen und Schüler für weiterführende Schulen.
Für ein erfolgreiches Miteinander laden die Stadtkirchen in Frankfurt und Offenbach unter dem Titel „Jerusalem am Main?“, Manuela Baumgardt berichtete aus dem Projekt und Fotograf Zino Peterek über die Reaktionen zu seiner Ausstellung „Racist Traces“, die Ende September im Büsingpark zu sehen war und sich mit Alltagsrassismus beschäftigt. “Alltagsrassismus, der gesamtgesellschaftlich über alle Bereiche des Lebens verbreitet ist, beginnt da, wo Menschen beispielsweise aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer Religionszugehörigkeit anders behandelt, ausgegrenzt und diskriminiert werden“, sagt Peterek. So weit, so gut – aber wie reagieren auf rechtsradikale Schmierereien zum Beispiel? Schnell übermalen löst nicht das Problem, da sind sich alle einig, es brauche einen kreativen Umgang mit rechten Graffitis. Der spontan organisierte Schweigemarsch anlässlich der aktuellen Parolen an den Wänden war „eine wichtige zivilgesellschaftliche schnelle Reaktion“, findet Anna Christ von der Koordinierungs- und Fachstelle „Demokratie leben!“ für die Kreisstadt Dietzenbach und Stadt Offenbach am Main.
In unterschiedlichen Gruppen wurden weitere Reaktionsmöglichkeiten und Handlungsfelder erarbeitet und diskutiert. Es brauche eine Antidiskriminierungsstelle, den koordinierten Austausch, meinten einige. Andere sprachen sich dafür aus, die bestehende Netzwerke besser zu nutzen und keine Doppelstrukturen zu schaffen. Aber es brauche weitere Gesprächsräume und Anlässe zum Austausch. Das gemeinsame Erleben und Begegnungen auf Augenhöhe, „wir müssen in die Stadtteile gehen und Themen setzen“, forderte Ellen Katusic von der Geschichtswerkstatt. Außerdem brauche es Fortbildungsangebote, die auch für subtile Formen von Verschwörungstheorien, Homophobie, Rassismus und Antisemitismus sensibilisieren. „Das waren viele Ideen und Impulse“, dankte Mitorganisator Frank Weber am Ende der Demokratiekonferenz allen Beteiligten.
Die Partnerschaft für Demokratie Offenbach am Main setzt sich ein für Demokratie und gegen Extremismus. Sie wird organisiert vom AWO Kreisverband Offenbach Land e.V. im Auftrag der Stadt Offenbach am Main, Geschäftsstelle Kommunale Prävention (Ordnungsamt). Sie wird im Zuge des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Hessischen Ministeriums des Inneren und Sports gefördert.