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Stadt Offenbach

Hakan Celik im Interview: "Wir hören dir zu, ohne zu urteilen"

28.06.2018 – Anfang Januar öffnete in Offenbach die erste Beratungsstelle mit dem Ziel, extremistischen Haltungen entgegen zu wirken. Das Land Hessen, der Förderverein Sicheres Offenbach und Violence Prevention Network (VPN) ermöglichen das Angebot. Vor Ort stellt sich Hakan Celik mit seinem Team jeden Mittwoch von 10 bis 13 Uhr den Fragen von Jugendlichen, Eltern und Fachpersonal zu religiös motiviertem Extremismus. Wir haben mit dem studierten Islamwissenschaftler über seine Arbeit gesprochen.

Mit welchen Anliegen kommen die Menschen in Offenbach bisher zu Ihnen?

Das Beratungsangebot der Außenstelle Offenbach wird bisher in vier Fällen direkt von betroffenen Angehörigen genutzt, deren Söhne oder Töchter sich zum Teil substantiell radikalisiert haben. Wir beraten natürlich auch Institutionen – vor allem Schulen.

Die mediale Berichterstattung ist derzeit geringer, da weniger junge radikalisierte Jugendliche nach Syrien oder Irak ausreisen. Somit ist auch die Problematik nicht mehr so stark im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Trotzdem gibt es weiterhin ideologisierte Gruppen, die sehr subversiv und subtil agieren. Sie sprechen unbescholtene Jugendliche unmittelbar oder über entsprechende Angebote im Internet an. Deshalb ist es immens wichtig für Angehörige oder Betroffene unser Beratungsangebot zu nutzen.

Was kennzeichnet Menschen, die für extremistische Tendenzen gewonnen werden können?

Vor allem die fehlende Ambiguitätstoleranz, das bedeutet: Menschen, die sich in extremistische Weltbilder flüchten, können sehr schwer die bei uns existierende Vielfalt aushalten. Daran müssen wir mit ihnen arbeiten. Oft sind es aber auch Bruchstellen in ihrem Leben, die sie in den Extremismus führen.

Teil unseres Konzeptes ist es daher, die eigene Biographie aufzuarbeiten und diese Bruchstellen zu benennen. Oft ist die Einstellung gar nicht religiös motiviert, sondern hat andere Auslöser wie eine fehlende Vaterfigur oder eine gescheiterte schulische Karriere. Hier bietet die Szene der Islamisten eine Gemeinschaft, die Trost spenden und sogar als Ersatzfamilie dienen kann, wenn das Elternhaus nicht präsent ist. Wenn die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen erstmal Halt in der Gemeinschaft gefunden haben, sind sie leicht durch die Extremisten zu lenken.

Warum geht es bei Ihnen auch um Demokratieförderung?

Vielen fällt es schwer zu sehen, wie Demokratie und Islam zusammenpassen. Die theologische Argumentation ist hier oft krude und dünn. Wir zeigen ihnen die Grundwerte auf, die Demokratie und Islam gemeinsam haben. Zusammen mit den Klienten versuchen wir, ihre Identität und ihr Selbstverständnis zu ergründen und sie zu eigenständigem Denken anzuleiten. Immer wieder erleben wir auch eine Art kollektive Opfermentalität: Eine Weltverschwörung gegen die Muslime wird als Ursache für das eigene Versagen gesehen – und nicht der eigene Schulabbruch. Gleichwohl ist dieses Erleben verbunden mit echten Diskriminierungserfahrungen, die die Jugendlichen von der Mehrheitsgesellschaft entfremden.

Wie funktioniert eine Beratung konkret?

Wir suchen den direkten Kontakt, sprechen die Jugendlichen an, schaffen erst einmal eine Beziehung und bauen Vertrauen auf. Ich bin ja Offenbacher und man kennt mich hier schon. Hier zählt die richtige Kommunikationsstrategie – wir versuchen einen Reflexionsprozess anzustoßen und dabei sozialpädagogische und theologische Narrative zu verbinden. Wir schauen uns Strukturen und Familie an mit der Frage, was dem Betroffenen gut tut und was nicht. Wir vermitteln die Botschaft ‚Wir hören dir zu, ohne zu urteilen‘ in unseren Gesprächen. Viele sind eigentlich auf der Suche nach Geborgenheit, Gemeinschaft, Anerkennung. Dazu kommen Konflikte in der Schule. In der Familie wird nie über so etwas gesprochen.

Offenbach gilt als Stadt der Vielfalt – gibt es auch hier extremistische religiöse Tendenzen?

Das Rhein-Main-Gebiet ist ein sogenannter Hotspot dafür und auch in Offenbach gibt es Aktivitäten. Violence Prevention Network ist ja schon seit 2014 in Hessen aktiv. Damals begann das, was ich Dschihad-Pop nenne: Videos auf Facebook und Youtube des IS zur Rekrutierung. Da haben uns viele Eltern – vor allem Mütter – angerufen: ‚Unser Kind will ausreisen‘. Unser Ziel ist die Prävention, aber inzwischen gibt es auch viele Fälle von Radikalisierten und auch Rückkehrern, die wir bearbeiten.

Welche Unterstützung würden Sie sich wünschen?

Es fehlt eine Plattform für offene Debatten: Zum Beispiel, was heißt Heimat? Oder wo liegen die Unterschiede zwischen Kultur und Religion?

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